ROUSSEAU, Jean-Jacques (Q842): Difference between revisions

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quotation: Der natürliche Mensch und die verdorbene Gesellschaft Berühmt geworden ist Rousseau durch den Discours über die Preisfrage der Akademie von Dijon: Si le rétablissement des sciences et des arts a contribue à épurer ^ moeurs (1750). Zunächst, so führt er aus, stellt sich die moderne Entwicklung der Wissenschaften und Künste, der neuzeitlichen Kultur als ein glanzvolles und großar-llges Schauspiel dar.

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ROUSSEAU, Jean-Jacques
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    ROUSSEAU, Jean-Jacques (français)
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    Rousseau Die ersten starken Anregungen auf dem Gebiet einer Erneuerung des inneren Menschen aus raum-zeitlichem Naturerleben heraus gehen auf Rousseau, besonders auf seine Werke La Nouvelle.
    Rousseaus Haltung der Natur gegenüber ist von vornherein die eines bewußten inneren Kontaktnehmens mit der Landschaft und ihren Menschen: Je gravissais lentement et à pied des sentiers assez rudes, conduit par un homme que j’avais pris pour être mon guide, et dans lequel, durant toute la route, j’ai trouvé plutôt un ami qu’un mercenaire1.
    Jahrhundert verloren gegangene Satzharmonie2 w’ird hier im subjektiven Naturerlebnis Rousseaus wiedergefunden : Tantôt d’immenses roches pendaient en ruines au-dessus de ma tête.
    Aus solchen räumlich betonten Erfahrungen von der Belebtheit der Natur ergibt sich für Rousseau eine direkte Beziehung zu seinen eigenen seelischen Zuständen.
    Das Mensch und Natur in gleicher Weise durchwaltende Grundgesetz des Lebens3 4 5 6 ist hier leib- und geisthaft fühlbar geworden. Rousseau ist reiner Romantiker in dieser wesenhaften Reaktivierung des gesamten Ich aus der Natur heraus.
    Rousseaus nicht theoretisch gedachte, sondern im lebendigen Erleben erfahrene Existence stützt sich ausschließlich auf den in sich selbst eingekehrten, voraussetzungslos gewordenen Geist6. Ihm bieten sich das eigene Selbst, Natur und Gott als ursächliche Lebenszusammenhänge 1 J.
    Lamartines Naturbetrachtung bringt auch keine direkte Beziehung zwischen dem Ich und den gleichgearteten Teilen der Natur zum Ausdruck , wie sie in Rousseaus Gleichklangserlebnis und der daraus folgenden wesenhaften Regeneration seiner ganzen Persönlichkeit vorlag.
    In beiden Fällen läßt sich beobachten, daß oft im umgekehrten Verhältnis wie bei Rousseau der Dichter auf die Landschaft einwirkt, indem er nur die landschaftlichen Züge beibehält, die ihn zur élévation irn Sinne der durée absolue führen. Aus diesem Grunde wird die Natur, sofern der Dichter ihr nicht indifferent gegenübersteht3 4, auch direkt als Abbild des Göttlichen angesehen : Lamartine bezeichnet sie als Ces vastes attributs qui n’achèvent pas ton nom,1 als immer gegenwärtige, stets unveränderlich wirksame Trösterin des Menschen5, als Schöpfung schlechthin, hinter der Gott als schöpfende Ursache entdeckt werden will : Dieu pour le concevoir a fait l’intelligence, Sous la nature enfin découvre son auteur6 Nur durch intelligence, d. h. durch die Fähigkeit des intellegere, der Einsicht ist dem Menschen das Erkennen Gottes in der Natur möglich.
    Die von Rousseau konsequent verteidigte Ansicht, dass alles in der Natur und auch der Mensch von Natur gut sei, dass nur die misérables conventions ihn verderben (VIL 312), hat Diderot bald wieder aufgegeben11).
    Rousseau sagt sich von der langen Reihe der traditionellen Romanciers los: „Die vornehmen Leute, die Frauen à la mode, die Großen, die Militärs, das sind die Akteure aller eurer Romane.“34 Er greift insbesondere von seinem Standpunkt aus Werke an, in denen „das Landvolk nichts gilt“, jene Autoren, in deren „Erzählungen, Romanen, Theaterstücken alles die Provinzler aufs Korn nimmt, alles die Einfachheit der ländlichen Sitten verspottet, alles die Manieren und Vergnügen der vornehmen Welt predigt“.35 Während diese Romane die kleinbürgerlichen Schichten „von ihrem Stand abstoßen“, will Rousseau sie „an ihren Stand binden, indem er ihn ihnen angenehm macht“.38 Zu diesem Zweck beschreibt er die Schönheit und den Nutzen der Arbeit, des Familienlebens, der Natur, des Dorfes.
    „Die Literatur und das Wissen unseres Jahrhunderts“, schreibt er „tendieren viel mehr dazu, zu zerstören als aufzubauen.“51 Dagegen entwirft er das Bild einer idealen Wirklichkeit, eine Natur, in der alles Kunst ist, eine positive Gesellschaft, eine erhabene Umgebung, positive Helden, schöne Seelen, eine zauberhafte Sprache.
    Rousseau möchte in dem Menschen, der bereits durch Erziehung, Sitten und den falschen Verlauf der Vergesellschaftung depraviert ist, das Naturgegebene, Ursprüngliche vom Künstlichen unterscheiden, das die Zivilisation hinzugefügt hat.
    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    In Opposition zur Stadt Paris, die Saint-Preux in seinen Briefen kritisch analysiert, schafft Rousseau das ländliche Clärens, das als Familien- und Naturidylle wegen des dort herrschenden neuen Erziehungskonzeptes, der Freundschaft und des Glückes als Utopie erscheint, letztlich aber als solche nicht realisierbar ist.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Er lernt 1772 Rousseau kennen, mit dem er die Liebe zur Natur und die kritische Sicht der zivilisierten Gesellschaft teilt (s.
    Die Alpen aber, Kindheits- und Sehnsuchtsort Rousseaus, entfalten sich von der nordfranzösischen Einsiedelei aus zu jenem grandiosen Gemälde erhabener Natur (vgl. bes. Groh: 1991), welches die Korrespondenz von Mensch und Natur beschwört und Rousseau gleichsam zum ersten Landschaftsmaler'' der Literaturgeschichte gemacht hat.
    Sie war der zuletzt tödlich eingelöste Traum jener “Rückkehr zur Natur', die wie automatisch mit dem Namen Rousseau genannt wird und keineswegs zu tun hat mit dem Alpentourismus, der im Gefolge seiner Naturschilderungen verstärkt einsetzte.
    De Man: 1983, 111—113), und die Überschreibung der Todeserfahrungen und Kindheitsverluste — der Tod der Mutter, das frühe Verschwinden des ungeratenen Bruders, die Kriminalisierung und Expatriation des Vaters, als Jean-Jacques zehn Jahre alt ist — durch romaneske Glückstopoi, exklusiven Freundschaftskult und schwärmerischc Naturbetrachtung 6 Vgl. Rousseaus Zeitgenossen Georg Christoph Lichtenberg: “So wird es aber (...) allen großen Geistern ergehen, die mit tiefer Einsicht uber den Menschen schreiben. Solche Werke sind Spiegel; wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel heraussehen (Über Phsiognomik; Wider die Phsiognomen. Zur Beför- derung der Menschenliebe und Menschenkennmniss, in: ders . : 1992, 280). Sa fille ainée etoit morte, mais il avoit un fils de même age que moi.
    Das rousseauistische Schnsuchtsmotiv von “sensibilité'', Sympathie und Natur ist hier erneut angestimmt (zur latenten Homosexualität und Feminisierung Rousseaus vgl. schon Laforgue: 1927/1944, ebenso Raymond: 1972, 95) in einer Passage, die erzähltechnisch kaum die Unvermitteltheit der kindlichen Erlebnisperspektive, wohl aber jene des mythologisierenden literarischen Rückblicks wiedergeben dürfte.
    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
    Rousseaus ebenso leidenschaftlicher wie guter Naturmensch ist, wie die Ordnung, die er begründen soll, ein Gedankenkonstrukt — mythologisch in der chri- stologischen Bildfülle, paradox als Gesellschaftsutopie jenseits aller Kultur.
    5 references
    Rousseaus Haltung der Natur gegenüber ist von vornherein die eines bewußten inneren Kontaktnehmens mit der Landschaft und ihren Menschen: Je gravissais lentement et à pied des sentiers assez rudes, conduit par un homme que j’avais pris pour être mon guide, et dans lequel, durant toute la route, j’ai trouvé plutôt un ami qu’un mercenaire1.
    Lamartine Wie bei Rousseau und Chateaubriand bildet das landschaftliche Raumerlebnis in der Dichtung Lamartines den Ansatzpunkt zu seinem Zeiterlebnis.
    Aus dieser Verankerung des landschaftlichen Raumerlebnisses im Symbol erklärt es sich, daß wir nie den direkten regeneratorischen Einfluß der Landschaft auf den Menschen verspüren wie bei Rousseau und nie die mit Künstlerauge gesehene und beschriebene pittoreske Landschaft vorfinden wie bei Chateaubriand.
    In beiden Fällen läßt sich beobachten, daß oft im umgekehrten Verhältnis wie bei Rousseau der Dichter auf die Landschaft einwirkt, indem er nur die landschaftlichen Züge beibehält, die ihn zur élévation irn Sinne der durée absolue führen.
    “Rêverie', wird Rousseau einer solchen Landschaft, die den *contemplatifs solitaires'' sinnliche und besinnliche Reize gewährt, das epochema- 180 Walburga Hülk chende Attribut “romantiquen verleihen (R, 1040;2 vgl. dazu Eigeldinger: 1978, 86-93) Es ist freilich eine Landschaft, deren Natürlichkeit sich entladen kann in ihrer abgründigen Verführungsgewalt, und sie fungiert dann als Spiegel der bedrohlichen Zerissenheit zwischen “raison' und “vertu' auf der einen, unvermittelter “passion' auf der anderen Seite, die ihrerseits, wie schon einmal bei Tristan und Isolde, z einer ganz eigenen, der Natur gemäßen Tugend der Liebenden wird.
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    Rousseaus Haltung der Natur gegenüber ist von vornherein die eines bewußten inneren Kontaktnehmens mit der Landschaft und ihren Menschen: Je gravissais lentement et à pied des sentiers assez rudes, conduit par un homme que j’avais pris pour être mon guide, et dans lequel, durant toute la route, j’ai trouvé plutôt un ami qu’un mercenaire1.
    Das Mensch und Natur in gleicher Weise durchwaltende Grundgesetz des Lebens3 4 5 6 ist hier leib- und geisthaft fühlbar geworden. Rousseau ist reiner Romantiker in dieser wesenhaften Reaktivierung des gesamten Ich aus der Natur heraus.
    Die von Rousseau konsequent verteidigte Ansicht, dass alles in der Natur und auch der Mensch von Natur gut sei, dass nur die misérables conventions ihn verderben (VIL 312), hat Diderot bald wieder aufgegeben11).
    Rousseau hebt hervor, in welch hohem Grade die Gedanken der Menschen ihre Sprache und ihr Verhalten den Interessen der Körperschaften, Zünfte und Stände untergeordnet sind: „Wenn ein Mensch spricht, ist es sozusagen sein Gewand und nicht er, der eine Meinung hat; und er wird sie ohne weiteres ebenso häufig wie den Stand wechseln ...
    Die Auseinandersetzung mit der Wr’ Stellung eines weisen und allmächtigen Weltenschöpfers, der trotz seiner Allmacht das Böse und Üble in der Welt geschehen läßt — wie sie von Leibniz, ShaftesbuD ' Pope, Voltaire geführt worden ist -, findet man bei Rousseau nicht. Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    In Rousseaus Text werden die geistige und die gesellschaftliche Entwicklung miteinander verquickt; die Geschichte hat demnach die Selbsterkenntnis des Menschen, die Erkenntnis und Beherrschung der äußeren Natur sowie die Gestaltung des Geschicks der Menschheit herbeigeführt.
    Den falschen Weg der Menschheitsgeschichte und die Korruption der gegenwärtigen Gesellschaft liest Rousseau an dem Widerspruch zwischen einer hochentwickelten verfeinerten Kultur (»politesse«, »goût délicat«, »bienséance«) und der Heimtücke, dem Haß, der Furcht und der Gefühlskälte ab, die sich unter dem trügerischen Schein der feinen Bildung verbergen.
    Rousseau möchte in dem Menschen, der bereits durch Erziehung, Sitten und den falschen Verlauf der Vergesellschaftung depraviert ist, das Naturgegebene, Ursprüngliche vom Künstlichen unterscheiden, das die Zivilisation hinzugefügt hat.
    Teil des Discours sur l'origine et les fondements de I inégalité parmi les hommes (publiziert 1755) stellt Rousseau dem zivilisierten Menschen („l'homme civil") den primitiven Menschen („l'homme naturel") gegenüber und arbeitet dabei die guten Eigenschaften des letzteren heraus (körperliche Stärke, natürliche Moral).
    In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Auf- gäbe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    Noch facettenreicher, radikaler und origineller ist Rousseaus 1755 erschienener zweiter Discours: Discours sur l’origine et les fondements de l’inegalite parmi les hommes (Discours sur l’inegalite), wiederum eine Antwort auf eine von der Akademie von Dijon ausgeschriebene Preisfrage, für die Rousseau aber nicht ausgezeichnet wird. Die Schrift wird schon 1756 von Moses Mendelssohn ins Deutsche übersetzt und beeinflusst maßgeblich die in der Folge einsetzende Debatte über die Möglichkeit der unendlichen Vervollkommnung des Menschen.
    Rousseau fragt, wie der Mensch zu dem wurde, was er heute ist.
    Ursprünglich sei der Mensch weder gut noch böse, aber die Gesellschaft verderbe ihn, so behauptet Rousseau im zweiten Discours.
    Rousseaus Werk Emile, das zugleich Theorie, Fiktion und Erzählung ist, thematisiert die individuelle Menschwerdung, während der etwa gleichzeitig entstandene politische Traktat Du contrat social die kollektive Menschwerdung als Bürger eines aufgeklärten republikanischen Gemeinwesens analysiert.
    Regression ins Glück des primitiven Menschen, der die Wälder allein durchstreift und sprachlos, präreflexiv, a-rational, amoralisch und sich selbst genug ist: Dieses Glück beschwören Rousseaus Rêveries.
    Es sind die Schweizer Berge, die der Genfer Bürger und politisch Verfolgte Jean- Jacques Rousseau sich erwandert, erträumt und geformt hat als utopische Gegenwelt der von ihm verhaßten Zivilisation, welche er verantwortlich macht für das Unglück seines eigenen Lebens und das der von Natur aus guten Menschheit.
    Groh: 1991), welches die Korrespondenz von Mensch und Natur beschwört und Rousseau gleichsam zum ersten Landschaftsmaler'' der Literaturgeschichte gemacht hat.
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998). Es ist eine Kulturkritik, welche die Frage nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte, ihren fundamentalen Strukturen stellt - die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter, der Sprache, des Besitzes - und eine durchgängige Ungleichheit diagnostiziert.
    Es sind die ersten Worte, welche Rousseau den Menschen sprechen läßt, “parole néfaste' (Starobinski: 1971, 385) des primordialen Menschen, der aus dem mythischen Naturzustand heraustritt in die Kultur, in die Geschichte und der sich fortan korrumpieren wird.
    Eitel und unverbindlich sind die Worte geworden, unfähig, einen Bezug zu den Dingen her- zustellen, unfähig auch, das Innere des Menschen auszudrücken und eine Sympathie der Menschen untereinander zu bewirken. Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
    Rousseaus ebenso leidenschaftlicher wie guter Naturmensch ist, wie die Ordnung, die er begründen soll, ein Gedankenkonstrukt — mythologisch in der chri- stologischen Bildfülle, paradox als Gesellschaftsutopie jenseits aller Kultur.
    6 references
    Aus solchen räumlich betonten Erfahrungen von der Belebtheit der Natur ergibt sich für Rousseau eine direkte Beziehung zu seinen eigenen seelischen Zuständen.
    Der Veräußerlichung sucht er mit der Verinnerlichung, der Rückbesinnung auf den inneren Kern, auf die Seele, das Herz, das Gemüt zu begegnen.
    Rousseau untermauert seine Anschauung auch philosophisch, indem er auf die Dogmen vom freien Willen und von der immateriellen Seele zurückgreift, die ihm durch seine religiöse Erziehung vertraut sind.
    Dieser sanftere, aber viel weniger erhabene Zustand ließ den glühenden Enthusiasmus, der mich so lange Zeit durchdrungen hatte, zerrinnen...“ 47 Mit der politisch-moralischen Wandlung zu einer realistischeren Einstellung ändert Rousseau auch seinen literarischen Stil; greift er zum Genre des Romans: „Bis dahin hatte die Entrüstung der Tugend bei mir Apollo vertreten, diesmal vertraten ihn die Zärtlichkeit und die Sanftmut der Seele.“48 Während er sich im ersten Discours noch mehr an einem wirklichkeitsferneren Gesellschaftsideal, an den antiken Republiken orientiert, seine Citoyenmoral dementsprechend abstrakter gefaßt ist, hält er sich jetzt mehr an die gesellschaftliche Wirklichkeit seiner Zeit, wie er sie aus seiner Schweizer Heimat kennt.
    Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
    H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
    1 reference
    Rousseaus nicht theoretisch gedachte, sondern im lebendigen Erleben erfahrene Existence stützt sich ausschließlich auf den in sich selbst eingekehrten, voraussetzungslos gewordenen Geist6. Ihm bieten sich das eigene Selbst, Natur und Gott als ursächliche Lebenszusammenhänge 1 J.
    5 references
    Rousseaus bahnbrechende Tat ist es gewesen, dem Menschen im Raum-Zeiterlebnis durch leib-geistige Ganzheitserfahrung das zugleich individuellste wie universellste Grundgesetz des Lebens offenbart zu haben.
    Die Auseinandersetzung mit der Wr’ Stellung eines weisen und allmächtigen Weltenschöpfers, der trotz seiner Allmacht das Böse und Üble in der Welt geschehen läßt — wie sie von Leibniz, ShaftesbuD ' Pope, Voltaire geführt worden ist -, findet man bei Rousseau nicht. Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    Die ganze Kindheit Jean- Jacques', die gemäß der rousseauistischen Anthropologie und Pädagogik das ganze Leben entwirft und trägt, entrollt sich in einer fatalen Abfolge von Wunsch und Strafe, Bild und Faktum: Das Paradies des glücklichen Paares wird zerstört durch die Geburt des Sohnes; die Vater-Sohn-Dyade wird zunichte gemacht durch die Unehrenhaftigkeit des Vaters; die Idylle der Ersatzfamilie und Freundschaft findet ihr jähes Ende in der lächerlichen und gleichwohl folgenschweren Episode des Kamms der Mlle Lambercier, zu der die Knaben ein inniges, ja kindlich-intimes Verhältnis entwickelt hatten, “comme Mlle Lambercier avoit pour nous l'affection d'une mere' (C, I, 15): Eines Tages nämlich legt das Hausmädchen die gewasche- 198 Walburga Hülk nen Kämme der Mlle Lambercier zum Trocknen auf die Kaminplatte und entdeckt wenig später, daß an einem Kamm die Zähne abgebrochen sind.
    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
    Das Schicksal aber, dem sich der junge Jean-Jacques mit diesen Worten ausliefert, zeich- net einen Riß zwischen Traum und Wirklichkeit, Vorstellungskraft und Leben, einen modalen Riß zwischen Konditional und vergangener Zukunft, den einzig die Schrift zu überzeichnen vermag in der Wellenbewegung von Elend und Idylle: [...] il suivoit que l'état le plus simple, celui qui donnoit le moins de tracas et de soins, celui qui laissoit l'esprit le plus libre, étoit celui qui me convenoit le mieux; et c'étoit précisément le mien.
    1 reference
    Das niederländische und das deutsche Naturrecht des 17. Jh.s geben der französischen Aufklärung bis hin zu Rousseau wesentliche Impulse.
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    Auch die europaweit einflussreichsten Hauptwerke der französischen politischen Philosophie des 18. Jh.s, Montesquieus De l'esprit des lois (1748) und Rousseaus Du contrat social (1762), sind dieser Zeit zuzurechnen.
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rousseau mit politisch-philosophischen Problemen beschäftigt.
    Die Nouvelle Héloïse wurde in einen Gegensatz zu seinen politisch-philosophischen Arbeiten gestellt.21 Die Fragwürdigkeit einer derartigen Interpretation wird bereits deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Rousseau 1762, ein Jahr nach dem Erscheinen der Nouvelle Héloïse, den Contrat social („Gesellschaftsvertrag“) veröffentlicht und auch in späteren Arbeiten, wie in den Lettres sur la législation de la Corse (1764; „Briefe über die Verfassung Korsikas“) und in den Considérations sur le gouvernement de Pologne (1772; „Betrachtungen über die Regierung Polens“), erneut politische Reformprogramme entwickelt.
    Er kann sich die Sittlichkeit nur als Ergebnis des freien Willens, einer bewußten Anstrengung gegen die Natur vorstellen: „... seinem Willen jede Freiheit nehmen bedeutet: seinen Handlungen jeden sittlichen Charakter nehmen“41,......und vor allem im Bewußtsein dieser Freiheit zeigt sich die Geistigkeit seiner Seele.“42 Die moralisch-politische Grundlage des Staats der freien und gleichen Bürger wird von Rousseau im Contrat social (1762; „Gesellschaftsvertrag“) herausgearbeitet.
    Erziehungstraktat Emile In dem romanhaften Erziehungstraktat Emile ou De l'éducation (1762) führt Rousseau, wie oben angedeutet, seine philosophischen und politischen Überlegungen zu einer Synthese.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours , seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    In Du con-trat social ou Principes du droit politique (1762) leitet Rousseau die Legitimität politischer Herrschaft aus einem hypothetischen Vertrag zwischen den Individuen her.
    Unfähig, von sich aus zu gehen, bittet Saint-Preux seine Schülerin, ihn fortzu- schicken, um augenblicklich sein Recht auf Liebe zu verteidigen: gegen eine Welt der Vorurteile und Privilegien, ein Argument, das so die Liebenden der Alpen ganz 172 Walburga Hülk hineinnimmt in Rousseaus ureigene politische, hier ungebrochen aufklärerische Philosophie: 1 Vous, me chasser!
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    Diesbezüglich spielt Rousseaus Zivilisations- und Aufklärungsskepsis eine zentrale Rolle.
    Doch so optimistisch die Fortschrittstheorie der Hochaufklärung bis hin zu Condorcet auch sein mag, so unüberhörbar warnen Zivilisationsskeptiker wie Rousseau vor der Kehrseite der Perfektionierung des Menschen und vor den Risiken der Überzivilisiertheit.
    Rousseau (Lettre sur la providence, 1756) hält dagegen, das Erdbeben sei eine verhängnisvolle Folge menschlicher Zivilisation und menschlicher Manipulationen an der Natur; er sei nicht bereit, den Trost des Optimismus durch Voltaires Skepsis und Sarkasmus zerstören zu lassen.
    Er sieht allerdings nicht primär - wie Rousseau - im wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt die Ursachen für den moralischen Verfall der Gesellschaft und teilt darum auch nicht dessen Schlußfolgerungen für eine Erneuerung der Gesellschaft auf der Grundlage einer Einschränkung der Produktion und der Einführung egalitärer Besitzverhältnisse, Der Enzyklopädist begeistert sich an der Fülle der Früchte der Zivilisation, an den materiellen und geistigen Werten, die durch den von der Bourgeoisie betriebenen Austausch die Gesellschaft immer mehr überfluten.
    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse.
    Rousseau möchte in dem Menschen, der bereits durch Erziehung, Sitten und den falschen Verlauf der Vergesellschaftung depraviert ist, das Naturgegebene, Ursprüngliche vom Künstlichen unterscheiden, das die Zivilisation hinzugefügt hat.
    Morellet hat seine unmitte Erfahrung der Epoche anscheinend Rousseaus pessimistischer Vermutung unt g ordnet, daß Revolutionen in einem fortgeschrittenen Stadium der Zivilisat unmöglich seien und den Untergang des Gemeinwesens bedeuteten: car [le peuple] peut se rendre libre tant qu’il n’est que barbare, mais il ne le peut plus qu ’ ressort civil est usé.
    Teil des Discours sur l'origine et les fondements de I inégalité parmi les hommes (publiziert 1755) stellt Rousseau dem zivilisierten Menschen („l'homme civil") den primitiven Menschen („l'homme naturel") gegenüber und arbeitet dabei die guten Eigenschaften des letzteren heraus (körperliche Stärke, natürliche Moral).
    Diese Schrift, die Rousseaus Zivilisationskritik noch einmal deutlich belegt, besiegelt den endgültigen Bruch mit den Enzyklopädisten, die - wie etwa Voltaire - gar zu erbitterten Feinden werden.
    Er lernt 1772 Rousseau kennen, mit dem er die Liebe zur Natur und die kritische Sicht der zivilisierten Gesellschaft teilt (s.
    Dieser deutlich aufklärungskritische Einspruch just in den Jahren des Beginns der Hochaufklärung und dessen Auszeichnung durch eine Provinzakademie mögen überraschen, ganz ohne Vorbilder ist Rousseaus Zivilisationsskepsis indes nicht; zu diesen zählen Doria und Vico.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours , seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält.
    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer >Selbstaufklärung der Aufklärung<.
    Es sind die Schweizer Berge, die der Genfer Bürger und politisch Verfolgte Jean- Jacques Rousseau sich erwandert, erträumt und geformt hat als utopische Gegenwelt der von ihm verhaßten Zivilisation, welche er verantwortlich macht für das Unglück seines eigenen Lebens und das der von Natur aus guten Menschheit.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern. Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will;
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    Diesbezüglich spielt Rousseaus Zivilisations- und Aufklärungsskepsis eine zentrale Rolle.
    Doch so optimistisch die Fortschrittstheorie der Hochaufklärung bis hin zu Condorcet auch sein mag, so unüberhörbar warnen Zivilisationsskeptiker wie Rousseau vor der Kehrseite der Perfektionierung des Menschen und vor den Risiken der Überzivilisiertheit.
    Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
    Vielmehr versucht Rousseau auch hier neben der Kritik am Bestehenden im Schwerpunkt bereits das Modell einer neuen auf bürgerlich-plebejischen Grundsätzen basierenden Gesellschaft zu entwickeln.
    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse.
    Rousseaus bittere Überzeugung von der abgrundtiefen Verdorbenheit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung führt über die Sozialkritik der übrigen Aufklärer hinaus.
    Rousseau bricht diese ideologische Perspektive mit einer totalen Kulturkritik auf.
    (Ebd., S. 147) Diese deutliche Kritik des gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustandes erinnert uns an Rousseau.
    Rousseau gehört anfangs zu den Mitarbeitern der Encyclopédie (s. S. 74-76), zu der er Artikel über Musik und Philosophie beisteuert. Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    Wegen seiner harschen Kritik erhält Rousseau in diesem Wettbewerb keinen Preis.
    Diese Schrift, die Rousseaus Zivilisationskritik noch einmal deutlich belegt, besiegelt den endgültigen Bruch mit den Enzyklopädisten, die - wie etwa Voltaire - gar zu erbitterten Feinden werden.
    Kommentar Viele Passagen erhellen Rousseaus Gesellschaftskritik, sein Erziehungskonzept und auch die Entstehungsgeschichte seiner Werke.
    Er lernt 1772 Rousseau kennen, mit dem er die Liebe zur Natur und die kritische Sicht der zivilisierten Gesellschaft teilt (s.
    Dieser deutlich aufklärungskritische Einspruch just in den Jahren des Beginns der Hochaufklärung und dessen Auszeichnung durch eine Provinzakademie mögen überraschen, ganz ohne Vorbilder ist Rousseaus Zivilisationsskepsis indes nicht; zu diesen zählen Doria und Vico.
    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer >Selbstaufklärung der Aufklärung<.
    Les Rēveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern. Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will;
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    Diesbezüglich spielt Rousseaus Zivilisations- und Aufklärungsskepsis eine zentrale Rolle.
    Nach seiner Lektüre, hofft er, werden seine ländlichen Leser - „das Landvolk bildet die Nation“37 - „dieselben Funktionen ausüben, aber sie werden sie mit einer anderen Seele ausüben, und sie werden als wahre Patriarchen tun, was sic vorher als Bauern taten“.38 Rousseau gibt seinem Roman einen offen aufklärerischen Sinn: er will die Standesmenschen zu wahren „Menschen“, das heißt, zunächst einmal zu wenigstens bewußtseinsmäßig freien und gleichen Individuen erziehen, ehe es zur Bildung auch eines entsprechenden Staates kommt.
    Das menschliche Geschlecht völlig vergessend, schuf ich mir eine Schar vollkommener Wesen, an Tugend und Schönheit gleich himmlisch, treue, verläßliche, zärtliche Freunde, wie ich sie hienie-den niemals gefunden hatte.“49 In einem Zustand des Enthusiasmus, der Verzückung, des Fiebers schafft er „Wesen nach seinem Herzen“.50 Von dieser Position aus wendet er sich auch dagegen, Aufklärung vor allem unter dem Aspekt der Negation und Destruktion herrschender Anschauungen zu betreiben, ohne zugleich ein positives Leitbild an deren Stelle zu setzen.
    Rousseau selbst nennt die pathetischen Briefe seines Romans „Hymnen“.54 Und in der Tat lassen sich in ihnen eine große Zahl reimlose Verse nachweisen. Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar.
    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse. Wie für die Verbreitung der Aufklärung, so bieten sie auch für das Problem der Gleichheit der Menschen und für die Eigentumsfrage eine dichotomische Lösung zugunsten einiger weniger und zuungunsten der Mehrheit an.
    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer >Selbstaufklärung der Aufklärung<.
    Man könnte, ohne Jean-Jacques Rousseau zu nahe zu treten, sein Schreiben begreifen als Indiskretion: Indiskretion eines Menschen, der sein Herz entblößt, um seine stets verstohlenen Wünsche zu entschuldigen, Indiskretion eines Schriftstellers, der in bisher nicht gekannter Weise die Leser einlädt zu jener Ungeniertheit, der Entlarvung, der Demaskierung, aber auch den Fluchten eines “Ich” zuzusehen oder die verbotene, noch auf dem Totenbett praktizierte Liebeskorrespondenz junger Leute zu konsumieren, um dann, in einem eigentlich indiskreten Tränenstrom, sich allseitiger Empfindsamkeit zu versichern. Die Rede wird sein von den Enthüllungen und Verstellungen, den Legitimationen und Strategien eines zutiefst schwierigen Menschen, seiner komplexen, monumentalen Textproduktion, welche politische, philosophische, religiöse Konzepte der Aufklärung vermittelt und durchkreuzt sowie neue Wege der Subjektivität, der Selbstwahmehmung und -reflexivität buchstäblich erwandert, auf der Suche nach den Ursprüngen des Seins (Sexualität), des Habens (Besitz) und der Sprache (Zeichen).
    Unfähig, von sich aus zu gehen, bittet Saint-Preux seine Schülerin, ihn fortzu- schicken, um augenblicklich sein Recht auf Liebe zu verteidigen: gegen eine Welt der Vorurteile und Privilegien, ein Argument, das so die Liebenden der Alpen ganz 172 Walburga Hülk hineinnimmt in Rousseaus ureigene politische, hier ungebrochen aufklärerische Philosophie: 1 Vous, me chasser!
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    Von zentraler Bedeutung für die Aufklärung ist die Anthropologie, die einen starken Akzent auf die vergleichende Ethnologie setzt (der zivilisierte Mensch im Gegensatz zum >barbare< oder zum >bon sauvage<) und mit neuem Interesse das Rätsel der Sprachentstehung zu lösen versucht (wie in den Sprachentstehungstheorien bei Condillac oder Rousseau).
    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt. Mit der Selbstkonstituierung der Menschheit, mit dem Entstehen von Sprache, Moral, Religiosität, Institutionen und Staatlichkeit beginne aber zugleich ein verhängnisvoller destruktiver Prozess, der den Menschen langfristig förmlich zum Tyrannen seiner selbst und der Natur mache.
    An anderem Ort legt Rousseau eine Sprachentstehungstheorie vor (Essai sur l'origine des langues, oü il est parle de la melodie et de l’imitation musicale, entstanden 1754/1761, erschienen postum 1781).
    Man könnte, ohne Jean-Jacques Rousseau zu nahe zu treten, sein Schreiben begreifen als Indiskretion: Indiskretion eines Menschen, der sein Herz entblößt, um seine stets verstohlenen Wünsche zu entschuldigen, Indiskretion eines Schriftstellers, der in bisher nicht gekannter Weise die Leser einlädt zu jener Ungeniertheit, der Entlarvung, der Demaskierung, aber auch den Fluchten eines “Ich” zuzusehen oder die verbotene, noch auf dem Totenbett praktizierte Liebeskorrespondenz junger Leute zu konsumieren, um dann, in einem eigentlich indiskreten Tränenstrom, sich allseitiger Empfindsamkeit zu versichern. Die Rede wird sein von den Enthüllungen und Verstellungen, den Legitimationen und Strategien eines zutiefst schwierigen Menschen, seiner komplexen, monumentalen Textproduktion, welche politische, philosophische, religiöse Konzepte der Aufklärung vermittelt und durchkreuzt sowie neue Wege der Subjektivität, der Selbstwahmehmung und -reflexivität buchstäblich erwandert, auf der Suche nach den Ursprüngen des Seins (Sexualität), des Habens (Besitz) und der Sprache (Zeichen).
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998). Es ist eine Kulturkritik, welche die Frage nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte, ihren fundamentalen Strukturen stellt - die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter, der Sprache, des Besitzes - und eine durchgängige Ungleichheit diagnostiziert.
    Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
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    Voltaires) wie auch zur Kennzeichnung einer originellen Idee verwendet; lange nicht-fiktionale essayistische Passagen werden in den Kontext einer Erzählung eingebettet (Rousseau, Sade).
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    Rousseau (Lettre sur la providence, 1756) hält dagegen, das Erdbeben sei eine verhängnisvolle Folge menschlicher Zivilisation und menschlicher Manipulationen an der Natur; er sei nicht bereit, den Trost des Optimismus durch Voltaires Skepsis und Sarkasmus zerstören zu lassen.
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    In Frankreich markiert Rousseaus Julie ou La nou-velle Heloise (1761) den Höhepunkt der Gattung des empfindsamen Briefromans.
    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    jean-)acques Rousseau, ee u a N veee Héloise (1761) ny - uu us onfessions (1/ ) l m Walburga Hülk (Siegen) an könnte, ohne Jean-Jacques Rousseau zu nahe zu treten, sein Schreiben begrei- fen als Indiskretion: Indiskretion eines Menschen, der sein Herz entblößt, um seine stets verstohlenen Wünsche zu entschuldigen, Indiskretion eines Schriftstellers, der jn bisher nicht gckannter Weise die Leser einlädt zu jener Ungeniertheit, der Entlarvung, der Demaskierung, aber auch den Fluchten eines “Ich'' zuzusehen oder die verbotene, noch auf dem Totenbett praktizierte Liebeskorrespondenz junger Leute zu konsumieren, um dann, in einem cigentlich indiskreten Tränenstrom, sich allseitiger Empfindsamkeit zu versichem.
    Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
    Das rousseauistische Schnsuchtsmotiv von “sensibilité'', Sympathie und Natur ist hier erneut angestimmt (zur latenten Homosexualität und Feminisierung Rousseaus vgl. schon Laforgue: 1927/1944, ebenso Raymond: 1972, 95) in einer Passage, die erzähltechnisch kaum die Unvermitteltheit der kindlichen Erlebnisperspektive, wohl aber jene des mythologisierenden literarischen Rückblicks wiedergeben dürfte.
    Rousseaus oben erwähnter Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse“ steht exemplarisch für die zwei dominierenden Tendenzen des Romans in der zweiten Jahrhunderthälfte, da sich hier der sentimentale Roman mit dem narrativen Muster des Briefromans verbindet.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend. Seine “grande idée morale mise en action et rendue dramatique” (Mme de Staël, Essai sur les fictions) wird zum Vorbild vor allem des sentimentalen, empfindsamen Romans.
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    In der autobiographischen Tradition im engeren Sinne stehen Rousseaus die weitere Gattungstradition (Alfieri, Goethe) dominierende Confessions (postum 1782/1788).
    Autobiografische Werke Confessions *n ^en Jahren der Verfolgung beginnt Rousseau seine Autobiografie, die Confessions (Bände 1-6: 1765-1767; Bände 7-12: 1769-1770).
    Diese Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus der Aufklärung, die insbesondere die von Rousseau begründete Autobiographie widerspiegelt („Confessions”, zwischen 1765 und 1770 verfaßt, 1782 und 1789 publiziert), markiert den Beginn jener als tournant des Lumières bezeichneten Phase zwischen 1770 und 1820/1830, die den Bruch mit den poctologischen Konzepten des 17.
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung. Zugleich ist er einer der profiliertesten und einflussreichsten Aufklärungskritiker. Einem großen Roman, seiner Autobiographie und seinen selbstreflexiven Spätschriften verdankt er seinen hohen schriftstellerischen Rang.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours , seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
    Die Frage nach Ursprung und Ende hat Rousseau nie mehr losgelassen. Sie steht am Anfang seines ebenfalls voluminösen autobiographischen Textes Les Confessions, der gleichsam zum Modell dieser raffinierten literarischen Gattung geworden ist, mit dem Titel die religiöse Autobiographie des Augustinus, Confessiones, zitiert, die dann umcodiert wird in einen Erinnerungstext, der nicht mehr Nachschrift einer Bekehrung und Glaubensbekenntnis ist, wohl aber eine Lebensbeichte, welche die Möglichkeiten und Tücken der Erinnerungsarbeit mitreflektiert (Assmann: 1999, 252-254).
    Der Prozeß des eigenen Lebens, den Rousseau in den “Bekenntnissen'' erzählt, ist hier zugleich dezidiert geführt als Prozeß gegen die Zeitgenossen und als Recht-Sprechung des eigenen Daseins, der Wünsche und Taten vor den Augen der Welt und des “Etre éternel'' (C, I, 5).
    Nie schrieb der wortgewaltige Rousseau lakonischer als es hier Jean-Jacques in seiner ersten Beichte tut, die ihm fast die Worte absterben läßt, um das eine, nie an die Mutter adressierte Wort “maman” in die spätere, durchaus ödipale Liebesbeziehung zu Madame de Warens zu verschieben, die vor allem in Buch 2 und Buch 6 eindringlich geschildert wird. Sie setzt sich vernichtend an den Anfang der Geständnisse nachfolgender, ungleich harmloserer “Vergehen”, die den Prozeß der tatsächlichen und imaginierten Anschuldigungen, der Selbstbeschuldigungen und Entschuldigungen schier endlos “anhängig” erhalten. Es ist ein Prozeß erzählten Lebens, der von Anfang an den Schreibakt selbst reflektiert, “au moment où j écris ceci” (C, I, 8), beständig und insistierend die Möglichkeiten des autobiographischen Schreibens und auch der Erinnerung anzweifelt und damit auch die so provokant versprochene Totalität der selbstentblößenden Transparenz relativiert:
    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
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    In Rousseaus Julie ou La nouvelle Heloise (1761) zeigt sich deutlich, wie Bukolik und Utopie einander überlagern.
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    In Rousseaus Julie ou La nouvelle Heloise (1761) zeigt sich deutlich, wie Bukolik und Utopie einander überlagern.
    Rousseaus Nouvelle Héloïse ist in weiten Teilen der utopische Entwurf einer solchen im bürgerlichen Sinne harmonisierten Gesellschaft.
    Es sind die Schweizer Berge, die der Genfer Bürger und politisch Verfolgte Jean- Jacques Rousseau sich erwandert, erträumt und geformt hat als utopische Gegenwelt der von ihm verhaßten Zivilisation, welche er verantwortlich macht für das Unglück seines eigenen Lebens und das der von Natur aus guten Menschheit.
    Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens. Von Beginn an war seine Utopie, die Saint-Preux in Julies Seele stellvertretend für die ame humaine'' (J, I. 21, 73) ver- wirklicht sah als “ce divin accord de la vertu, de l'amour, et de la nature' (J, l, 21, 73), nichts als ein “pays des chimeres', “en ce monde le scul digne d'être habité (J, VI, 8, 693), wie Julie in ihrem vorletzten Brief an Saint-Preux schrieb.
    “Se circonscrire'' (R, 1040) wird Rousseau dieses Unternehmen in den Rêveries du promeneur solitaire nennen, die er selbst als appendice'' (R, 1000) der Confessions bezeichnet und die wie jene seine Einsamkeit und Fremdheit intonieren: se circonscrire'', sich abgrenzen, sich beschränken, sich umschreiben als unendliche Schreibbewegung in Texten, die einer um den anderen fragmentarisch geblieben sind und jene Eigentümlichkeit und Ganzheit der Person umkreisen, die in der Gesellschaft der Anderen und im Leben überhaupt nicht zu erringen ist und die bereits in der Nouvelle Héloise als proble- matische Utopie erscheinen mußte.
    Rousseaus ebenso leidenschaftlicher wie guter Naturmensch ist, wie die Ordnung, die er begründen soll, ein Gedankenkonstrukt — mythologisch in der chri- stologischen Bildfülle, paradox als Gesellschaftsutopie jenseits aller Kultur.
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    Ihre ideologischen und künstlerischen Kulminationspunkte werden wir bei Rousseau und Diderot finden. Diese Wende ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß jetzt die Romane und Erzählungen zielgerichtet die Propagierung einer vorgestellten bürgerlichen Moral übernehmen.
    Rousseau sagt sich von der langen Reihe der traditionellen Romanciers los: „Die vornehmen Leute, die Frauen à la mode, die Großen, die Militärs, das sind die Akteure aller eurer Romane.“34 Er greift insbesondere von seinem Standpunkt aus Werke an, in denen „das Landvolk nichts gilt“, jene Autoren, in deren „Erzählungen, Romanen, Theaterstücken alles die Provinzler aufs Korn nimmt, alles die Einfachheit der ländlichen Sitten verspottet, alles die Manieren und Vergnügen der vornehmen Welt predigt“.35 Während diese Romane die kleinbürgerlichen Schichten „von ihrem Stand abstoßen“, will Rousseau sie „an ihren Stand binden, indem er ihn ihnen angenehm macht“.38 Zu diesem Zweck beschreibt er die Schönheit und den Nutzen der Arbeit, des Familienlebens, der Natur, des Dorfes.
    Wenn er zwei Garantien für die Beständigkeit und Sicherheit, gegen die fortschreitende Entartung der menschlichen Verhältnisse anbietet, nämlich eine innere, die Citoyenmoral, und eine äußere, die kleinbürgerliche Wirklichkeit - eine Gesellschaft ohne Konkurrenz, daher ohne Gefahr für Freiheit und Gleichheit der kleinbürgerlichen Schichten -, so wird offenbar, wie in seinem Gesellschaftsbild Ideal und Wirklichkeit verschmelzen.
    Vielmehr versucht Rousseau auch hier neben der Kritik am Bestehenden im Schwerpunkt bereits das Modell einer neuen auf bürgerlich-plebejischen Grundsätzen basierenden Gesellschaft zu entwickeln.
    An die Stelle der traurigen Eiben, die die Mauern bedeckten, sind tüchtige Obstspaliere gepflanzt worden...“53 Rousseaus Anliegen, durch ein hohes moralisches Bewußtsein geprägte Menschen in ihren alltäglichen bürgerlichen Verhältnissen zu zeigen und damit ein verbindliches Leitbild für die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft zu geben, hat auch insofern Konsequenzen für seinen Roman, als er keine „roma-nesken“ äußeren Verwicklungen benötigt.
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    Ihre ideologischen und künstlerischen Kulminationspunkte werden wir bei Rousseau und Diderot finden. Diese Wende ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß jetzt die Romane und Erzählungen zielgerichtet die Propagierung einer vorgestellten bürgerlichen Moral übernehmen.
    Er kann sich die Sittlichkeit nur als Ergebnis des freien Willens, einer bewußten Anstrengung gegen die Natur vorstellen: „... seinem Willen jede Freiheit nehmen bedeutet: seinen Handlungen jeden sittlichen Charakter nehmen“41,......und vor allem im Bewußtsein dieser Freiheit zeigt sich die Geistigkeit seiner Seele.“42 Die moralisch-politische Grundlage des Staats der freien und gleichen Bürger wird von Rousseau im Contrat social (1762; „Gesellschaftsvertrag“) herausgearbeitet.
    An die Stelle der traurigen Eiben, die die Mauern bedeckten, sind tüchtige Obstspaliere gepflanzt worden...“53 Rousseaus Anliegen, durch ein hohes moralisches Bewußtsein geprägte Menschen in ihren alltäglichen bürgerlichen Verhältnissen zu zeigen und damit ein verbindliches Leitbild für die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft zu geben, hat auch insofern Konsequenzen für seinen Roman, als er keine „roma-nesken“ äußeren Verwicklungen benötigt.
    Der Gesellschaftsvertrag zwischen den mächtigen Reichen und den Armen ist em Ausbeutungs- und Unterwerfungsvertrag. [88] Rousseau hat bei seiner Darstellung verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen reich und arm, den »beiden Standen«, im Auge: die rechtliche Ungleichheit oder Ungleichbehandlung; das ständische Ansehen, die ungleiche steuerliche Belastung, die Ungleichheit der wirtschaftlichen Chancen (»Geld ist der Samen des Geldes«) und nicht zuletzt die moralische Erniedrigung oder Korruption des Armen - »aber ich halte ihn für einen verlorenen Mann, wenn er zu seinem Unglück eine anständige Seele, eine liebenswürdige hübsche Tochter und einen mächtigen Nachbarn hat«.
    Rousseau hat den Widerspruch zwischen Neigung und Pflicht erkannt und mit seltener Eindringlichkeit dargestellt; aber - das unterscheidet seine Psychologie von Kants Sittenlehre - er versucht trotzdem eine Versöhnung zwischen den Leidenschaften und der Sittlichkeit.
    Teil des Discours sur l'origine et les fondements de I inégalité parmi les hommes (publiziert 1755) stellt Rousseau dem zivilisierten Menschen („l'homme civil") den primitiven Menschen („l'homme naturel") gegenüber und arbeitet dabei die guten Eigenschaften des letzteren heraus (körperliche Stärke, natürliche Moral).
    Kommentar Rousseaus Erziehungskonzept will die guten Anlagen des Kindes fördern, um dessen moralische und natürliche Freiheit zu garantieren.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Diese Position vertritt auch Rousseau, der in „Emile ou De l'éducation” (1762) den Geschmack als fundamentale moralische Urteilsinstanz definiert und das Geschmacksurteil als Folge von Erfahrungsaustausch und gesellschaftlicher Prägung betrachtet. 1787 schließlich beschäftigt sich Marmontel in seinem „Essai sur le goüt“ nochmals ausführlich mit dem Gcschmacksbegriff, den er in historischer Perspektivierung von der Antike bis zu Voltaire behandelt, dessen Werk ihm als Inbegriff des guten Geschmacks gilt.
    Jean-Jacques Rousseau: Von den Ursprüngen erzählen Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt Jean-Jacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt. Mit der Selbstkonstituierung der Menschheit, mit dem Entstehen von Sprache, Moral, Religiosität, Institutionen und Staatlichkeit beginne aber zugleich ein verhängnisvoller destruktiver Prozess, der den Menschen langfristig förmlich zum Tyrannen seiner selbst und der Natur mache.
    Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
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    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rousseau mit politisch-philosophischen Problemen beschäftigt.
    Rousseau gehört anfangs zu den Mitarbeitern der Encyclopédie (s. S. 74-76), zu der er Artikel über Musik und Philosophie beisteuert.
    Erziehungstraktat Emile In dem romanhaften Erziehungstraktat Emile ou De l'éducation (1762) führt Rousseau, wie oben angedeutet, seine philosophischen und politischen Überlegungen zu einer Synthese.
    Zusammen mit Montesquieu, Voltaire und Diderot gehört Rousseau (1712-1778) zu den herausragenden Persönlichkeiten des 18. Jh. Sein Werk umspannt philosophische, staatstheoretische, pädagogische, musikwissenschaftliche und literarische Arbeiten, die zukunftsweisende Konzepte enthalten.
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    Die Nouvelle Héloïse wurde in einen Gegensatz zu seinen politisch-philosophischen Arbeiten gestellt.21 Die Fragwürdigkeit einer derartigen Interpretation wird bereits deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Rousseau 1762, ein Jahr nach dem Erscheinen der Nouvelle Héloïse, den Contrat social („Gesellschaftsvertrag“) veröffentlicht und auch in späteren Arbeiten, wie in den Lettres sur la législation de la Corse (1764; „Briefe über die Verfassung Korsikas“) und in den Considérations sur le gouvernement de Pologne (1772; „Betrachtungen über die Regierung Polens“), erneut politische Reformprogramme entwickelt.
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    Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“22 Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“23 Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie.
    Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
    Rousseau hebt hervor, in welch hohem Grade die Gedanken der Menschen ihre Sprache und ihr Verhalten den Interessen der Körperschaften, Zünfte und Stände untergeordnet sind: „Wenn ein Mensch spricht, ist es sozusagen sein Gewand und nicht er, der eine Meinung hat; und er wird sie ohne weiteres ebenso häufig wie den Stand wechseln ...
    der Richter nimmt ein adliges Gehabe an, der Finanzmann spielt den Seigneur, der Bischof spricht galant, der Hofmann spricht über Philosophie, der Staatsmann über schöngeistige Dinge, und selbst der einfache Handwerker, der keinen anderen Ton als den seinen annehmen kann, kleidet sich sonntags schwarz, um vornehm auszusehen.“25 Rousseau greift hier äußere Symptome der in Auflösung begriffenen Ständegesellschaft auf, ist sich aber bewußt, daß damit das von der Ständegesellschaft geprägte Denken vieler Menschen noch in keiner Weise erschüttert, sondern nach wie vor in Vorurteilen befangen ist: „. .. ihre Meinungen dringen nicht aus ihrem Herzen, ihre Einsichten wurzeln nicht in ihrem Geist, ihre Worte stehen nicht für ihre Gedanken .. ,“26 Im Zusammenhang mit der Überwindung ständischem Denkens ist auch Rousseaus Kritik am französischen Theater zu sehen, der ein ganzer Brief seiner Nouvelle Héloïse gewidmet ist.
    Der Gesellschaftsvertrag zwischen den mächtigen Reichen und den Armen ist em Ausbeutungs- und Unterwerfungsvertrag. [88] Rousseau hat bei seiner Darstellung verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen reich und arm, den »beiden Standen«, im Auge: die rechtliche Ungleichheit oder Ungleichbehandlung; das ständische Ansehen, die ungleiche steuerliche Belastung, die Ungleichheit der wirtschaftlichen Chancen (»Geld ist der Samen des Geldes«) und nicht zuletzt die moralische Erniedrigung oder Korruption des Armen - »aber ich halte ihn für einen verlorenen Mann, wenn er zu seinem Unglück eine anständige Seele, eine liebenswürdige hübsche Tochter und einen mächtigen Nachbarn hat«.
    Rousseau habe »die ganze objektive Tragik des gewaltigsten Klassenzusammenstoßes in dieser Epoche« gestaltet. [98] Die »erschütternde und eindringliche Gestaltung des Konflikts« entspricht »in den ersten beiden Teilen der Nouvelle Héloïse den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die Liebe zwischen dem Bürgersohn und dem adligen Mädchen scheitert am feudalen Standesvorurteil«.
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    Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“22 Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“23 Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie.
    In der damit einsetzenden Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Tugend und Verlangen entwickeln Julie und Saint-Preux ein Übermaß an gesteigerten sittlichen Empfindungen und Gefühlen, die einerseits den Idealforderungen Rousseaus im Hinblick auf eine erneuerte Gesellschaft Ausdruck verleihen, andererseits aber auch die ganze unlösbare Problematik solcher Art erzwungener Verhaltensweisen, die die Unterdrückung des natürlichen Gefühlslebens verlangt, erkennen lassen.
    Rousseau habe »die ganze objektive Tragik des gewaltigsten Klassenzusammenstoßes in dieser Epoche« gestaltet. [98] Die »erschütternde und eindringliche Gestaltung des Konflikts« entspricht »in den ersten beiden Teilen der Nouvelle Héloïse den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die Liebe zwischen dem Bürgersohn und dem adligen Mädchen scheitert am feudalen Standesvorurteil«.
    Eine unglückliche Liebesgeschichte gibt Anlass, große Gefühle sowie Leidenschaften und pathetische Liebesszenen zu schildern. Diese finden sich sowohl in Briefromanen, z. Die Verlegung einer leidenschaftlichen und tragischen Liebeshandlung in Schlossruinen und Kellergewölbe soll im genre sombre (auch roman noir) einen besonderen Nervenkitzel beim Publikum erzeugen.
    Es ist eine als Epitaph zu lesende Inschrift, die Rousseau hier einsetzt, Petrarcas Sone 338 auf den Tod seiner Gelicbten Laura entnommen, das damit auch, als ein Beispiel aus der europäischen Geschichte der Liebenden und der Liebesgeschichten, fungier als ein Prätext für diesen Roman, der sich bcreits mit seinem Titel einschreibt in die Tradition von Darstellungen der Schicksale unglückscliger Liebespaare — unglück- seliger Liebespaare zumal, die einander schreiben und über ihr Schicksal schreiben.
    II, Paris 1964 (Pléiade). )ean-)acques Rousseau 171 geworfene Frage nach dem rechten Gebrauch der Sprache auch Rousseau umtrieb, als das mit der rhetorischen Verpflichtung (ars dictandi) verbundene grundlegende Problem des Bezugs von Worten und Dingen, des Ursprungs der Sprache und der Möglichkeiten von Benennung überhaupt — der Liebe namentlich, und von ihr ist die Rede, sie spricht in Julie ou la Nouvelle Héloise.
    und ehe sich Saint-Preux und Julie versehen, kommt es zu einem scheuen Kuß, der dargestellt ist auf dem ersten der von Rousseau parallel zum Erstdruck veröffent- )ean-)acques Rousseau 173 lichten Kupferstiche (vgl. Ed. qu'as-tu fait, ma Julie?
    Daß es natürlich genau diese Rezeptur war, die den überwältigenden Erfolg der Nouvelle Héloise bewirkte, dürfte der durchaus kokette Rousseau gewußt haben, der, verkleidet als “éditeur', diese “Mängel'' rechtfertigt mit dem Gebot der Wahrhaftigkeit der Charaktere, die einander verfallen seien in einem aussichtslosen, gänzlich imaginären Liebesdelirium.
    Les Confessions sind ein Konvolut in 2 großen Teilen mit je 6 Büchern, die in unterschiedlicher Segmentierung Rousseaus Leben bis ins Jahr 1765 entwickeln. Während z.B. das 1. Buch die ersten 16 Jahre der Kindheit verdichtet (1712-1728), dehnt das zweite Buch neun entscheidende Monate des Jahres 1728, die Begegnung mit der 12 Jahre älteren Madame de Warens als Urszene von Liebe und Schreiben.
    Es ist eine Urszene, die hier und auf den folgenden Seiten erzählt wird, ein “roman des origines' als “origine du roman' (Robert: 1962): die Phantasie des eigenen Ursprungs aus dem schieren Glück idealisierter Eltern (der Vater arm, ehrlich und tüchtig; die Mutter reich, tugendhaft und schön), welche gleichsam als natürliche Besetzung eines rousseauistischen Liebes- und Familienromans auftreten.
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    In der damit einsetzenden Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Tugend und Verlangen entwickeln Julie und Saint-Preux ein Übermaß an gesteigerten sittlichen Empfindungen und Gefühlen, die einerseits den Idealforderungen Rousseaus im Hinblick auf eine erneuerte Gesellschaft Ausdruck verleihen, andererseits aber auch die ganze unlösbare Problematik solcher Art erzwungener Verhaltensweisen, die die Unterdrückung des natürlichen Gefühlslebens verlangt, erkennen lassen.
    Rousseau hat den Widerspruch zwischen Neigung und Pflicht erkannt und mit seltener Eindringlichkeit dargestellt; aber - das unterscheidet seine Psychologie von Kants Sittenlehre - er versucht trotzdem eine Versöhnung zwischen den Leidenschaften und der Sittlichkeit.
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    In der damit einsetzenden Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Tugend und Verlangen entwickeln Julie und Saint-Preux ein Übermaß an gesteigerten sittlichen Empfindungen und Gefühlen, die einerseits den Idealforderungen Rousseaus im Hinblick auf eine erneuerte Gesellschaft Ausdruck verleihen, andererseits aber auch die ganze unlösbare Problematik solcher Art erzwungener Verhaltensweisen, die die Unterdrückung des natürlichen Gefühlslebens verlangt, erkennen lassen.
    Rousseau hat den Widerspruch zwischen Neigung und Pflicht erkannt und mit seltener Eindringlichkeit dargestellt; aber - das unterscheidet seine Psychologie von Kants Sittenlehre - er versucht trotzdem eine Versöhnung zwischen den Leidenschaften und der Sittlichkeit.
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    In der damit einsetzenden Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Tugend und Verlangen entwickeln Julie und Saint-Preux ein Übermaß an gesteigerten sittlichen Empfindungen und Gefühlen, die einerseits den Idealforderungen Rousseaus im Hinblick auf eine erneuerte Gesellschaft Ausdruck verleihen, andererseits aber auch die ganze unlösbare Problematik solcher Art erzwungener Verhaltensweisen, die die Unterdrückung des natürlichen Gefühlslebens verlangt, erkennen lassen.
    Das menschliche Geschlecht völlig vergessend, schuf ich mir eine Schar vollkommener Wesen, an Tugend und Schönheit gleich himmlisch, treue, verläßliche, zärtliche Freunde, wie ich sie hienie-den niemals gefunden hatte.“49 In einem Zustand des Enthusiasmus, der Verzückung, des Fiebers schafft er „Wesen nach seinem Herzen“.50 Von dieser Position aus wendet er sich auch dagegen, Aufklärung vor allem unter dem Aspekt der Negation und Destruktion herrschender Anschauungen zu betreiben, ohne zugleich ein positives Leitbild an deren Stelle zu setzen.
    Die sensualistische Begründung des sozialkonforr*1^ Verhaltens wird allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von komplexe^ Darstellungen psychischer Motivationen oder der Interdependenz zwischen Tug«-’ und Verstand unterminiert — man denke an Rousseaus Julie ou la Nouvelle Hélo1 de Laclos’ Les Liaisons dangereuses, an de Sades Juliette.
    Rousseau hält dieser Kultur, die vom städtischen und höfischen Leben geprägt worden ist und deren Ansprüche durch die Wirklichkeit nicht eingelöst worden sind, das herausfordernde Bild eines nicht städtischen, ebenso tugendhaften wie kraftvollen Menschen entgegen: »L’homme de bien est un athlète qui se plaît à combattre nu [...]« (ebd., S. 5).
    Discours 'n seinem ersten bedeutenden Werk, dem Discours sur les sciences et les arts (1750), entwickelt Rousseau seine These, dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nicht - wie gemeinhin von den Aufklärern angenommen - die Sitten verbessere, sondern vielmehr die ursprüngliche und naturgegebene Tugend des Menschen korrumpiere.
    Rousseau zufolge haben Wissenschaften und Künste in der Gegenwart offenkundig einen Höhepunkt erreicht, im Laufe ihrer Entwicklung aber den gesellschaftlichen und moralischen Fortschritt keineswegs befördert, sondern vielmehr der Tugend und der Freiheit geschadet.
    Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
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    In der damit einsetzenden Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Tugend und Verlangen entwickeln Julie und Saint-Preux ein Übermaß an gesteigerten sittlichen Empfindungen und Gefühlen, die einerseits den Idealforderungen Rousseaus im Hinblick auf eine erneuerte Gesellschaft Ausdruck verleihen, andererseits aber auch die ganze unlösbare Problematik solcher Art erzwungener Verhaltensweisen, die die Unterdrückung des natürlichen Gefühlslebens verlangt, erkennen lassen.
    Rousseaus Nouvelle Héloïse ist in weiten Teilen der utopische Entwurf einer solchen im bürgerlichen Sinne harmonisierten Gesellschaft.
    Wenn er zwei Garantien für die Beständigkeit und Sicherheit, gegen die fortschreitende Entartung der menschlichen Verhältnisse anbietet, nämlich eine innere, die Citoyenmoral, und eine äußere, die kleinbürgerliche Wirklichkeit - eine Gesellschaft ohne Konkurrenz, daher ohne Gefahr für Freiheit und Gleichheit der kleinbürgerlichen Schichten -, so wird offenbar, wie in seinem Gesellschaftsbild Ideal und Wirklichkeit verschmelzen.
    Dieser sanftere, aber viel weniger erhabene Zustand ließ den glühenden Enthusiasmus, der mich so lange Zeit durchdrungen hatte, zerrinnen...“ 47 Mit der politisch-moralischen Wandlung zu einer realistischeren Einstellung ändert Rousseau auch seinen literarischen Stil; greift er zum Genre des Romans: „Bis dahin hatte die Entrüstung der Tugend bei mir Apollo vertreten, diesmal vertraten ihn die Zärtlichkeit und die Sanftmut der Seele.“48 Während er sich im ersten Discours noch mehr an einem wirklichkeitsferneren Gesellschaftsideal, an den antiken Republiken orientiert, seine Citoyenmoral dementsprechend abstrakter gefaßt ist, hält er sich jetzt mehr an die gesellschaftliche Wirklichkeit seiner Zeit, wie er sie aus seiner Schweizer Heimat kennt.
    Vielmehr versucht Rousseau auch hier neben der Kritik am Bestehenden im Schwerpunkt bereits das Modell einer neuen auf bürgerlich-plebejischen Grundsätzen basierenden Gesellschaft zu entwickeln.
    „Die Literatur und das Wissen unseres Jahrhunderts“, schreibt er „tendieren viel mehr dazu, zu zerstören als aufzubauen.“51 Dagegen entwirft er das Bild einer idealen Wirklichkeit, eine Natur, in der alles Kunst ist, eine positive Gesellschaft, eine erhabene Umgebung, positive Helden, schöne Seelen, eine zauberhafte Sprache.
    Sein Idealmodell einer harmonisierten Gesellschaft, das sein Roman ausschnittartig vorstellt, wird somit geographisch und historisch konkret verankert.
    Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
    Er sieht allerdings nicht primär - wie Rousseau - im wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt die Ursachen für den moralischen Verfall der Gesellschaft und teilt darum auch nicht dessen Schlußfolgerungen für eine Erneuerung der Gesellschaft auf der Grundlage einer Einschränkung der Produktion und der Einführung egalitärer Besitzverhältnisse, Der Enzyklopädist begeistert sich an der Fülle der Früchte der Zivilisation, an den materiellen und geistigen Werten, die durch den von der Bourgeoisie betriebenen Austausch die Gesellschaft immer mehr überfluten.
    Wenngleich die Romane Diderots - wie bereits bemerkt - erst nach der Revolution veröffentlicht wurden und damit keinen Einfluß mehr auf die aufklärerische Bewußtseinsbildung einer breiten Leserschaft auszuüben vermochten, so sind sie doch nicht weniger als die Werke Marmontels, Rétifs oder Rousseaus Ausdruck und Produkt der sozialen und ideologischen Prozesse in der vorrevolutionären Phase. Ihr Gegenstand sind die gleichen gesellschaftlichen Widersprüche wie in jenen Werken, nur zeichnet sich hier die Methode ihrer Behandlung und die Perspektive ihrer Überwindung durch qualitativ neue Momente aus.
    Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen. In seinem Discours sur l’économie politique (175-5) formuliert er diese Ablehnung der wirtschaftlichen und der darauf beruhenden sozialen Ordnung. [87] Die Vorteile der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung liegen für Rousseau auf der Seite der Reichen und Mächtigen.
    In Rousseaus Text werden die geistige und die gesellschaftliche Entwicklung miteinander verquickt; die Geschichte hat demnach die Selbsterkenntnis des Menschen, die Erkenntnis und Beherrschung der äußeren Natur sowie die Gestaltung des Geschicks der Menschheit herbeigeführt.
    In seinem zweiten Discours sur cette question proposée par l’Académie de Dijon: Quelle est l’origine de l’inégalité parmi les hommes et si elle est autorisée par la loi naturelle;' (1755) unternimmt Rousseau eine genetische Erklärung der Vergesellschaftung.
    Indem Rousseau diese besondere menschliche Eigenschaft festhält, vermag er die Unterwerfung des Menschen unter ungleiche Besitzver-a misse, den unwürdigen versklavenden Gesellschaftsvertrag anzuprangern, der am Anfang der fatalen Entartung steht. [93J Weil der Mensch ein mit freiem Willen egabtes Körper-Geist-Wesen ist, kann Rousseau einen Gesellschaftsvertrag konzipieren, der kein Unterwerfungsvertrag, sondern ein Vereinigungsvertrag freier Individuen sein soll.
    Rousseau sieht den fatalen Ausgangspunkt der Entwicklung vom Naturmenschen zum zivilisierten Menschen in der Etablierung des individuellen Eigentums; diese berühmte Formulierung hat Voltaire zu wütender Polemik gereizt. [94] Auch wenn Rousseau das Ergebnis der Vergesellschaftung negativ beurteilt, so erscheint ihm die Tatsache der Vergesellschaftung doch als eine unbedingte historische Notwendigkeit.
    Mit dem (.ontrat social (1762) wird Rousseau versuchen, den gesellschaftliche11 Zustand zu legitimieren und dabei der qualitativen Veränderung vom Naturzustand zum gesellschaftlichen Zusammenschluß — mit dem Ziel der gemeinsamen Naturbe-herrschung — gerecht zu werden.
    Rousseau habe »die ganze objektive Tragik des gewaltigsten Klassenzusammenstoßes in dieser Epoche« gestaltet. [98] Die »erschütternde und eindringliche Gestaltung des Konflikts« entspricht »in den ersten beiden Teilen der Nouvelle Héloïse den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten.
    Diese sittlich geläuterten schönen Seelen schließen sich zu einer Gemeinschaft außerhalb der Gesellschaft zusammen; so halten sie Rousseaus Forderung nach einer »radikalen Umgestaltung und Neugestaltung von Staat und Gesellschaft« im Sinn eines »ethischen Ideals der Vollkommenheit« fest. [106] Selbsterkenntnis und leidenschaftliche Vergötterung machen die beiden Haupt- figuren des Romans zu auserwählten, außerordentlichen Erscheinungen: »je n’ai rien vu de si extraordinaire que vous et votre amant«, bemerkt Milord Edouard (Julie, jj, 3).
    Morellet hat seine unmitte Erfahrung der Epoche anscheinend Rousseaus pessimistischer Vermutung unt g ordnet, daß Revolutionen in einem fortgeschrittenen Stadium der Zivilisat unmöglich seien und den Untergang des Gemeinwesens bedeuteten: car [le peuple] peut se rendre libre tant qu’il n’est que barbare, mais il ne le peut plus qu ’ ressort civil est usé.
    Teil legt Rousseau seine Überlegungen zur französischen Gesellschaft dar: Diese habe sich seit der Renaissance dergestalt entwickelt, dass alle ursprünglichen Tugenden durch einen Verfall der Sitten verloren gegangen seien.
    Neben dem Studium der Schriften von Hobbes, Locke, Montesquieu und Condillac stützt Rousseau sich auch auf Reiseberichte über primitive Gesellschaftsformen in der Südsee.
    In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Auf- gäbe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Kommentar Die schon genannte Opposition von idyllischer, naturverbundener und zivilisierter, korrupter Gesellschaft ist von Bernardins Freund Rousseau inspiriert.
    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt.
    Ursprünglich sei der Mensch weder gut noch böse, aber die Gesellschaft verderbe ihn, so behauptet Rousseau im zweiten Discours.
    Die Gesellschaft aber wird eingesetzt mit einem performativen Sprechakt: “Ceci est à moi'. Es sind die ersten Worte, welche Rousseau den Menschen sprechen läßt, “parole néfaste' (Starobinski: 1971, 385) des primordialen Menschen, der aus dem mythischen Naturzustand heraustritt in die Kultur, in die Geschichte und der sich fortan korrumpieren wird.
    Rousseaus ebenso leidenschaftlicher wie guter Naturmensch ist, wie die Ordnung, die er begründen soll, ein Gedankenkonstrukt — mythologisch in der chri- stologischen Bildfülle, paradox als Gesellschaftsutopie jenseits aller Kultur.
    In diesem Werk, das zu den Hauptwerken der Aufklärung zählt, entwik-kelt Rousseau das Konzept eines Gesellschaftsvertrages, das in der Folgezeit eine kaum zu überschätzende Wirkung auf die demokratische Verfassung der Revolution und aller modernen Staaten ausübt.
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    In der damit einsetzenden Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Tugend und Verlangen entwickeln Julie und Saint-Preux ein Übermaß an gesteigerten sittlichen Empfindungen und Gefühlen, die einerseits den Idealforderungen Rousseaus im Hinblick auf eine erneuerte Gesellschaft Ausdruck verleihen, andererseits aber auch die ganze unlösbare Problematik solcher Art erzwungener Verhaltensweisen, die die Unterdrückung des natürlichen Gefühlslebens verlangt, erkennen lassen.
    Wenngleich die Romane Diderots - wie bereits bemerkt - erst nach der Revolution veröffentlicht wurden und damit keinen Einfluß mehr auf die aufklärerische Bewußtseinsbildung einer breiten Leserschaft auszuüben vermochten, so sind sie doch nicht weniger als die Werke Marmontels, Rétifs oder Rousseaus Ausdruck und Produkt der sozialen und ideologischen Prozesse in der vorrevolutionären Phase. Ihr Gegenstand sind die gleichen gesellschaftlichen Widersprüche wie in jenen Werken, nur zeichnet sich hier die Methode ihrer Behandlung und die Perspektive ihrer Überwindung durch qualitativ neue Momente aus.
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    Wie man aus den letzten vier Büchern des Romans entnehmen kann, ist Julies ganzes Denken und Wirken nicht auf die Befriedigung individueller Bedürfnisse, sondern auf die praktische Realisierung humaner Ziele gerichtet, die ihrem Inhalt nach mit der im Roman geschilderten idealen Lebensweise der Walliser in Einklang stehen. Wenn Rousseau seinen Roman daher damit abschließt, daß Julie - nachdem sie ihr Kind, das zu ertrinken drohte, gerettet hat - angesichts des Todes einerseits erneut ihre Liebe zu Saint-Prcux beteuert und sogar die Hoffnung ausspricht, mit ihm einmal vereint zu sein, andererseits sich aber auch zu dem von ihr beschrittenen Weg bekennt, so ist dies keineswegs paradox.
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    der Richter nimmt ein adliges Gehabe an, der Finanzmann spielt den Seigneur, der Bischof spricht galant, der Hofmann spricht über Philosophie, der Staatsmann über schöngeistige Dinge, und selbst der einfache Handwerker, der keinen anderen Ton als den seinen annehmen kann, kleidet sich sonntags schwarz, um vornehm auszusehen.“25 Rousseau greift hier äußere Symptome der in Auflösung begriffenen Ständegesellschaft auf, ist sich aber bewußt, daß damit das von der Ständegesellschaft geprägte Denken vieler Menschen noch in keiner Weise erschüttert, sondern nach wie vor in Vorurteilen befangen ist: „. .. ihre Meinungen dringen nicht aus ihrem Herzen, ihre Einsichten wurzeln nicht in ihrem Geist, ihre Worte stehen nicht für ihre Gedanken .. ,“26 Im Zusammenhang mit der Überwindung ständischem Denkens ist auch Rousseaus Kritik am französischen Theater zu sehen, der ein ganzer Brief seiner Nouvelle Héloïse gewidmet ist.
    Rousseau errichtet hier ein durchaus geschlechtsspezifisches Lektüre- programm, das namentlich jene Tradition zu bestätigen scheint, die den Roman als tränentreibendes Lesefutter für Frauen geringschätzte. Und doch codiert er die nor- mative Gattungskritik deshalb um, weil er die Romanlektüre nicht nur deklariert als geliebtes mütterliches Erbe, sondem auch, weil er es als zwar nicht ungefährlichen, aber doch fruchtbaren Impuls der “sensibilité'' formuliert: “Je sentis avant de pen- ser; c'est le sort commun de l'humanité
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    Rousseaus Nouvelle Héloïse ist in weiten Teilen der utopische Entwurf einer solchen im bürgerlichen Sinne harmonisierten Gesellschaft. Allerdings ist hier zunächst nur der Unterschied zwischen Bürger und Adligem aufgehoben, während das Volk, repräsentiert durch die Bediensteten, noch der patriarchalischen Fürsorge bedarf. Es werden Haus, Hof, Landwirtschaft, die Arbeitsorganisation, das Zusammenleben zwischen den Gutsbesitzern, den Dienern und den Arbeitern beschrieben.
    Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen. In seinem Discours sur l’économie politique (175-5) formuliert er diese Ablehnung der wirtschaftlichen und der darauf beruhenden sozialen Ordnung. [87] Die Vorteile der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung liegen für Rousseau auf der Seite der Reichen und Mächtigen.
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    Es ist eine Briefsammlung.“33 Rousseau möchte damit den Wirklichkeitsbezug unterstreichen.
    Wenn er zwei Garantien für die Beständigkeit und Sicherheit, gegen die fortschreitende Entartung der menschlichen Verhältnisse anbietet, nämlich eine innere, die Citoyenmoral, und eine äußere, die kleinbürgerliche Wirklichkeit - eine Gesellschaft ohne Konkurrenz, daher ohne Gefahr für Freiheit und Gleichheit der kleinbürgerlichen Schichten -, so wird offenbar, wie in seinem Gesellschaftsbild Ideal und Wirklichkeit verschmelzen.
    Dieser sanftere, aber viel weniger erhabene Zustand ließ den glühenden Enthusiasmus, der mich so lange Zeit durchdrungen hatte, zerrinnen...“ 47 Mit der politisch-moralischen Wandlung zu einer realistischeren Einstellung ändert Rousseau auch seinen literarischen Stil; greift er zum Genre des Romans: „Bis dahin hatte die Entrüstung der Tugend bei mir Apollo vertreten, diesmal vertraten ihn die Zärtlichkeit und die Sanftmut der Seele.“48 Während er sich im ersten Discours noch mehr an einem wirklichkeitsferneren Gesellschaftsideal, an den antiken Republiken orientiert, seine Citoyenmoral dementsprechend abstrakter gefaßt ist, hält er sich jetzt mehr an die gesellschaftliche Wirklichkeit seiner Zeit, wie er sie aus seiner Schweizer Heimat kennt.
    Diese Wirklichkeit bildet Hintergrund und Rahmen seines Romans La Nouvelle Héloïse.
    Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
    Das Schicksal aber, dem sich der junge Jean-Jacques mit diesen Worten ausliefert, zeich- net einen Riß zwischen Traum und Wirklichkeit, Vorstellungskraft und Leben, einen modalen Riß zwischen Konditional und vergangener Zukunft, den einzig die Schrift zu überzeichnen vermag in der Wellenbewegung von Elend und Idylle: [...] il suivoit que l'état le plus simple, celui qui donnoit le moins de tracas et de soins, celui qui laissoit l'esprit le plus libre, étoit celui qui me convenoit le mieux; et c'étoit précisément le mien.
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    Rousseau sagt sich von der langen Reihe der traditionellen Romanciers los: „Die vornehmen Leute, die Frauen à la mode, die Großen, die Militärs, das sind die Akteure aller eurer Romane.“34 Er greift insbesondere von seinem Standpunkt aus Werke an, in denen „das Landvolk nichts gilt“, jene Autoren, in deren „Erzählungen, Romanen, Theaterstücken alles die Provinzler aufs Korn nimmt, alles die Einfachheit der ländlichen Sitten verspottet, alles die Manieren und Vergnügen der vornehmen Welt predigt“.35 Während diese Romane die kleinbürgerlichen Schichten „von ihrem Stand abstoßen“, will Rousseau sie „an ihren Stand binden, indem er ihn ihnen angenehm macht“.38 Zu diesem Zweck beschreibt er die Schönheit und den Nutzen der Arbeit, des Familienlebens, der Natur, des Dorfes.
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    Rousseau sagt sich von der langen Reihe der traditionellen Romanciers los: „Die vornehmen Leute, die Frauen à la mode, die Großen, die Militärs, das sind die Akteure aller eurer Romane.“34 Er greift insbesondere von seinem Standpunkt aus Werke an, in denen „das Landvolk nichts gilt“, jene Autoren, in deren „Erzählungen, Romanen, Theaterstücken alles die Provinzler aufs Korn nimmt, alles die Einfachheit der ländlichen Sitten verspottet, alles die Manieren und Vergnügen der vornehmen Welt predigt“.35 Während diese Romane die kleinbürgerlichen Schichten „von ihrem Stand abstoßen“, will Rousseau sie „an ihren Stand binden, indem er ihn ihnen angenehm macht“.38 Zu diesem Zweck beschreibt er die Schönheit und den Nutzen der Arbeit, des Familienlebens, der Natur, des Dorfes.
    In Opposition zur Stadt Paris, die Saint-Preux in seinen Briefen kritisch analysiert, schafft Rousseau das ländliche Clärens, das als Familien- und Naturidylle wegen des dort herrschenden neuen Erziehungskonzeptes, der Freundschaft und des Glückes als Utopie erscheint, letztlich aber als solche nicht realisierbar ist.
    Les Confessions sind ein Konvolut in 2 großen Teilen mit je 6 Büchern, die in unterschiedlicher Segmentierung Rousseaus Leben bis ins Jahr 1765 entwickeln. Während z.B. das 1. Buch die ersten 16 Jahre der Kindheit verdichtet (1712-1728), dehnt das zweite Buch neun entscheidende Monate des Jahres 1728, die Begegnung mit der 12 Jahre älteren Madame de Warens als Urszene von Liebe und Schreiben.
    Buch, gewissermaßen das Buch der Bücher, entwirft, gleich einer musika- lischen Ouverture, aus der Nach-Erzählung der Kindheit all jene Themen und Strukturen, welche Buch und Leben Rousseaus bestimmt haben und hier wie immer in seinen Schriften entbunden werden aus dem Mythos der verlorenen Unschuld.
    Es ist eine Urszene, die hier und auf den folgenden Seiten erzählt wird, ein “roman des origines' als “origine du roman' (Robert: 1962): die Phantasie des eigenen Ursprungs aus dem schieren Glück idealisierter Eltern (der Vater arm, ehrlich und tüchtig; die Mutter reich, tugendhaft und schön), welche gleichsam als natürliche Besetzung eines rousseauistischen Liebes- und Familienromans auftreten.
    Und während Rousseau in seinem Emile durch die “natürliche Erziehung'' genau diese Gefühlsbildung aus zweiter Hand zu verhindern sucht, scheint gleichwohl in der romanesken Gedächtnisschrift der frühen Kindheit bereits das Herzensprogramm der Nouvelle Héloise auf, deren begeisterte Leserin die Mutter des Autors gewesen wäre, wenn er sie nicht bereits bei der Geburt “geopfert' hätte.
    Wahrheitsbehauptung und Unschulds- und Glücksmythos aber, so demonstriert das erste Buch der Confessions wegweisend für alle weiteren, sind selten miteinander kompatibel, und möglicherweise erklärt sich hierher das grundsätzlich Verstohlene im Leben und Schreiben Rousseaus: die heimlichen Blicke auf Naschereien und Frauen, die kleinen Diebereien der Kindheit und die diebische Erregung bei nach- folgenden Züchtigungen, das Verstecken der eigenen Kinder in einem Waisenhaus und der eigenen Person in Montmorency.
    jean-)acques Rousseau 197 als Mythologemen der eigentlich von Rousseau erfundenen “Kindheit'' (Galle: 1981; Ariès: 1975) sind offenbar und gleichen bis in den emphatischen Stil hinein den Schilderungen der Nouvelle Héloise: 1 Je restai sous la tutelle de mon Oncle Bernard [...].
    Die ganze Kindheit Jean- Jacques', die gemäß der rousseauistischen Anthropologie und Pädagogik das ganze Leben entwirft und trägt, entrollt sich in einer fatalen Abfolge von Wunsch und Strafe, Bild und Faktum: Das Paradies des glücklichen Paares wird zerstört durch die Geburt des Sohnes; die Vater-Sohn-Dyade wird zunichte gemacht durch die Unehrenhaftigkeit des Vaters; die Idylle der Ersatzfamilie und Freundschaft findet ihr jähes Ende in der lächerlichen und gleichwohl folgenschweren Episode des Kamms der Mlle Lambercier, zu der die Knaben ein inniges, ja kindlich-intimes Verhältnis entwickelt hatten, “comme Mlle Lambercier avoit pour nous l'affection d'une mere' (C, I, 15): Eines Tages nämlich legt das Hausmädchen die gewasche- 198 Walburga Hülk nen Kämme der Mlle Lambercier zum Trocknen auf die Kaminplatte und entdeckt wenig später, daß an einem Kamm die Zähne abgebrochen sind.
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    Rousseau sagt sich von der langen Reihe der traditionellen Romanciers los: „Die vornehmen Leute, die Frauen à la mode, die Großen, die Militärs, das sind die Akteure aller eurer Romane.“34 Er greift insbesondere von seinem Standpunkt aus Werke an, in denen „das Landvolk nichts gilt“, jene Autoren, in deren „Erzählungen, Romanen, Theaterstücken alles die Provinzler aufs Korn nimmt, alles die Einfachheit der ländlichen Sitten verspottet, alles die Manieren und Vergnügen der vornehmen Welt predigt“.35 Während diese Romane die kleinbürgerlichen Schichten „von ihrem Stand abstoßen“, will Rousseau sie „an ihren Stand binden, indem er ihn ihnen angenehm macht“.38 Zu diesem Zweck beschreibt er die Schönheit und den Nutzen der Arbeit, des Familienlebens, der Natur, des Dorfes.
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    Aus der besonderen sozialen Position erklärt sich Rousseaus Idealismus, der eine sichtbare Ausprägung in der Nouvelle Héloïse erfährt.
    Wenn er zwei Garantien für die Beständigkeit und Sicherheit, gegen die fortschreitende Entartung der menschlichen Verhältnisse anbietet, nämlich eine innere, die Citoyenmoral, und eine äußere, die kleinbürgerliche Wirklichkeit - eine Gesellschaft ohne Konkurrenz, daher ohne Gefahr für Freiheit und Gleichheit der kleinbürgerlichen Schichten -, so wird offenbar, wie in seinem Gesellschaftsbild Ideal und Wirklichkeit verschmelzen.
    Dieser sanftere, aber viel weniger erhabene Zustand ließ den glühenden Enthusiasmus, der mich so lange Zeit durchdrungen hatte, zerrinnen...“ 47 Mit der politisch-moralischen Wandlung zu einer realistischeren Einstellung ändert Rousseau auch seinen literarischen Stil; greift er zum Genre des Romans: „Bis dahin hatte die Entrüstung der Tugend bei mir Apollo vertreten, diesmal vertraten ihn die Zärtlichkeit und die Sanftmut der Seele.“48 Während er sich im ersten Discours noch mehr an einem wirklichkeitsferneren Gesellschaftsideal, an den antiken Republiken orientiert, seine Citoyenmoral dementsprechend abstrakter gefaßt ist, hält er sich jetzt mehr an die gesellschaftliche Wirklichkeit seiner Zeit, wie er sie aus seiner Schweizer Heimat kennt.
    „Die Literatur und das Wissen unseres Jahrhunderts“, schreibt er „tendieren viel mehr dazu, zu zerstören als aufzubauen.“51 Dagegen entwirft er das Bild einer idealen Wirklichkeit, eine Natur, in der alles Kunst ist, eine positive Gesellschaft, eine erhabene Umgebung, positive Helden, schöne Seelen, eine zauberhafte Sprache.
    Sein Idealmodell einer harmonisierten Gesellschaft, das sein Roman ausschnittartig vorstellt, wird somit geographisch und historisch konkret verankert.
    Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
    Diese sittlich geläuterten schönen Seelen schließen sich zu einer Gemeinschaft außerhalb der Gesellschaft zusammen; so halten sie Rousseaus Forderung nach einer »radikalen Umgestaltung und Neugestaltung von Staat und Gesellschaft« im Sinn eines »ethischen Ideals der Vollkommenheit« fest. [106] Selbsterkenntnis und leidenschaftliche Vergötterung machen die beiden Haupt- figuren des Romans zu auserwählten, außerordentlichen Erscheinungen: »je n’ai rien vu de si extraordinaire que vous et votre amant«, bemerkt Milord Edouard (Julie, jj, 3).
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    Rousseau untermauert seine Anschauung auch philosophisch, indem er auf die Dogmen vom freien Willen und von der immateriellen Seele zurückgreift, die ihm durch seine religiöse Erziehung vertraut sind.
    In Rousseaus Text werden die geistige und die gesellschaftliche Entwicklung miteinander verquickt; die Geschichte hat demnach die Selbsterkenntnis des Menschen, die Erkenntnis und Beherrschung der äußeren Natur sowie die Gestaltung des Geschicks der Menschheit herbeigeführt. Allerdings entlarvt der Autor wenige Zeilen später diesen scheinbaren Glanz, indem er darunter die tatsächliche Versklavung des Menschen, den Verlust der ursprünglichen Freiheit entdeckt: L’esprit a ses besoins, ainsi que le corps.
    Rousseau faßt hingegen die gesamten Errungenschaften der Kultur, die andere Aufklärer als Instrumente der Befreiung und Erziehung des Menschengeschlechtes angespriesen haben, als betrügerischen Schein auf: Sie dienten dem angenehmen Zeitvertreib, mit dem die Unterdrückten über ihre Unfreiheit hinweggetäuscht und die Sitten korrumpiert werden; das Gemeinwesen werde mit ihrer Hilfe in unmündigem Müßiggang, im Zustand politischer Handlungsunfähigkeit gehalten.
    Gerade die Möglichkeit, die Freiheit auf dem Wege der Revc wiederzuerlangen, hat Rousseau bezweifelt oder gar bestritten.
    Kommentar Rousseaus Erziehungskonzept will die guten Anlagen des Kindes fördern, um dessen moralische und natürliche Freiheit zu garantieren.
    In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Auf- gäbe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    Rousseau zufolge haben Wissenschaften und Künste in der Gegenwart offenkundig einen Höhepunkt erreicht, im Laufe ihrer Entwicklung aber den gesellschaftlichen und moralischen Fortschritt keineswegs befördert, sondern vielmehr der Tugend und der Freiheit geschadet.
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    Er kann sich die Sittlichkeit nur als Ergebnis des freien Willens, einer bewußten Anstrengung gegen die Natur vorstellen: „... seinem Willen jede Freiheit nehmen bedeutet: seinen Handlungen jeden sittlichen Charakter nehmen“, „...und vor allem im Bewußtsein dieser Freiheit zeigt sich die Geistigkeit seiner Seele.“ Die moralisch-politische Grundlage des Staats der freien und gleichen Bürger wird von Rousseau im Contrat social (1762; „Gesellschaftsvertrag“) herausgearbeitet. (Vgl. Kap. VIII.) Er legt in diesem Werk dar, daß es nur ein abstraktes sittliches Gesetz sein kann, das alle Menschen ständig zu binden, ihre Interessen unter einen Hut zu bringen vermag. Es kann nicht in der Summe aller einzelnen, ganz unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Willen, sondern nur in dem idealen, in freier Entscheidung anerkannten vernünftigen, moralisch-politischen Willen aller, im Allgemeinwillen bestehen.
    In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Auf- gäbe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    Rousseaus Staatstheorie ist republikanisch bzw. basisdemokratisch angelegt. Auf Grund der prinzipiellen Dominanz des Gemeinwillens (>volonte generale<) über die Gesamtheit der Partikularinteressen (>volonte de tous<) trägt freilich die Rousseausche Republik autoritäre, potenziell totalitäre Züge.
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    Das menschliche Geschlecht völlig vergessend, schuf ich mir eine Schar vollkommener Wesen, an Tugend und Schönheit gleich himmlisch, treue, verläßliche, zärtliche Freunde, wie ich sie hienie-den niemals gefunden hatte.“49 In einem Zustand des Enthusiasmus, der Verzückung, des Fiebers schafft er „Wesen nach seinem Herzen“.50 Von dieser Position aus wendet er sich auch dagegen, Aufklärung vor allem unter dem Aspekt der Negation und Destruktion herrschender Anschauungen zu betreiben, ohne zugleich ein positives Leitbild an deren Stelle zu setzen.
    1 reference
    An die Stelle der traurigen Eiben, die die Mauern bedeckten, sind tüchtige Obstspaliere gepflanzt worden...“53 Rousseaus Anliegen, durch ein hohes moralisches Bewußtsein geprägte Menschen in ihren alltäglichen bürgerlichen Verhältnissen zu zeigen und damit ein verbindliches Leitbild für die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft zu geben, hat auch insofern Konsequenzen für seinen Roman, als er keine „roma-nesken“ äußeren Verwicklungen benötigt.
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    Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
    Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert.
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    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse.
    In Rousseaus Text werden die geistige und die gesellschaftliche Entwicklung miteinander verquickt; die Geschichte hat demnach die Selbsterkenntnis des Menschen, die Erkenntnis und Beherrschung der äußeren Natur sowie die Gestaltung des Geschicks der Menschheit herbeigeführt.
    Rousseau sieht den fatalen Ausgangspunkt der Entwicklung vom Naturmenschen zum zivilisierten Menschen in der Etablierung des individuellen Eigentums; diese berühmte Formulierung hat Voltaire zu wütender Polemik gereizt. [94] Auch wenn Rousseau das Ergebnis der Vergesellschaftung negativ beurteilt, so erscheint ihm die Tatsache der Vergesellschaftung doch als eine unbedingte historische Notwendigkeit.
    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    Discours 'n seinem ersten bedeutenden Werk, dem Discours sur les sciences et les arts (1750), entwickelt Rousseau seine These, dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nicht - wie gemeinhin von den Aufklärern angenommen - die Sitten verbessere, sondern vielmehr die ursprüngliche und naturgegebene Tugend des Menschen korrumpiere.
    Teil beschreibt Rousseau die schädlichen Seiten und Auswirkungen des Fortschrittsoptimismus.
    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern. Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will;
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    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse.
    Rousseau sieht den fatalen Ausgangspunkt der Entwicklung vom Naturmenschen zum zivilisierten Menschen in der Etablierung des individuellen Eigentums; diese berühmte Formulierung hat Voltaire zu wütender Polemik gereizt. [94] Auch wenn Rousseau das Ergebnis der Vergesellschaftung negativ beurteilt, so erscheint ihm die Tatsache der Vergesellschaftung doch als eine unbedingte historische Notwendigkeit.
    Man könnte, ohne Jean-Jacques Rousseau zu nahe zu treten, sein Schreiben begreifen als Indiskretion: Indiskretion eines Menschen, der sein Herz entblößt, um seine stets verstohlenen Wünsche zu entschuldigen, Indiskretion eines Schriftstellers, der in bisher nicht gekannter Weise die Leser einlädt zu jener Ungeniertheit, der Entlarvung, der Demaskierung, aber auch den Fluchten eines “Ich” zuzusehen oder die verbotene, noch auf dem Totenbett praktizierte Liebeskorrespondenz junger Leute zu konsumieren, um dann, in einem eigentlich indiskreten Tränenstrom, sich allseitiger Empfindsamkeit zu versichern. Die Rede wird sein von den Enthüllungen und Verstellungen, den Legitimationen und Strategien eines zutiefst schwierigen Menschen, seiner komplexen, monumentalen Textproduktion, welche politische, philosophische, religiöse Konzepte der Aufklärung vermittelt und durchkreuzt sowie neue Wege der Subjektivität, der Selbstwahmehmung und -reflexivität buchstäblich erwandert, auf der Suche nach den Ursprüngen des Seins (Sexualität), des Habens (Besitz) und der Sprache (Zeichen).
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998). Es ist eine Kulturkritik, welche die Frage nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte, ihren fundamentalen Strukturen stellt - die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter, der Sprache, des Besitzes - und eine durchgängige Ungleichheit diagnostiziert.
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    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse.
    In seinem Discours sur l’économie politique (175-5) formuliert er diese Ablehnung der wirtschaftlichen und der darauf beruhenden sozialen Ordnung. [87] Die Vorteile der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung liegen für Rousseau auf der Seite der Reichen und Mächtigen. Die lukrativen Positionen sind in ihren Händen und die Ämter sind mit Privilegien ausgestattet; das Gesetz begünstigt sie; ihre Verbrechen werden rasch vergessen, indessen Vergehen atn Reichtum sofort die geballte Macht des Gesetzesapparates in Bewegung setzen.
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    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse. Wie für die Verbreitung der Aufklärung, so bieten sie auch für das Problem der Gleichheit der Menschen und für die Eigentumsfrage eine dichotomische Lösung zugunsten einiger weniger und zuungunsten der Mehrheit an.
    Der Gesellschaftsvertrag zwischen den mächtigen Reichen und den Armen ist em Ausbeutungs- und Unterwerfungsvertrag. [88] Rousseau hat bei seiner Darstellung verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen reich und arm, den »beiden Standen«, im Auge: die rechtliche Ungleichheit oder Ungleichbehandlung; das ständische Ansehen, die ungleiche steuerliche Belastung, die Ungleichheit der wirtschaftlichen Chancen (»Geld ist der Samen des Geldes«) und nicht zuletzt die moralische Erniedrigung oder Korruption des Armen - »aber ich halte ihn für einen verlorenen Mann, wenn er zu seinem Unglück eine anständige Seele, eine liebenswürdige hübsche Tochter und einen mächtigen Nachbarn hat«.
    Dieser Zustand hat nach Rousseau eine weitgehende Unabhängigkeit des Einzelnen — vergleichbar dem ersten Naturzustand - und doch gefühlsmäßige Bindungen garantiert: L’habitude de vivre ensemble fit naître les plus doux sentiments qui soient connus des hommes, l’amour conjugal et l’amour paternel. (Ebd., S. 70) Wichtig ist die Selbstgenügsamkeit dieses Zustandes; der unheilvolle Drang zur Vervollkommnung habe sich unter den gegebenen wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht melden können. [95] Die nächste, die »große Revolution« wird durch die Metallbearbeitung und den Ackerbau hervorgerufen; mit der notwendig werdenden Arbeitsteilung entwickelt sich aus der natürlichen physischen Ungleichheit die »inégalité d’institution«, das heißt: die ungleichwertige Abhängigkeit der Menschen voneinander.
    In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Auf- gäbe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    Im bürgerlichen Zustand sind zwar alle Menschen zunächst als Bürger (politisch und rechtlich) gleich, aber die soziale und ökonomische Ungleichheit zwischen ihnen wächst ständig, was laut Rousseau zum Verfall des Rechtsstaates und zum Despotismus führt, in dem langfristig die Menschen zu willfährigen Sklaven einer autoritären Herrschaft degradiert werden.
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998). Es ist eine Kulturkritik, welche die Frage nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte, ihren fundamentalen Strukturen stellt - die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter, der Sprache, des Besitzes - und eine durchgängige Ungleichheit diagnostiziert.
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    Die Auseinandersetzung mit der Wr’ Stellung eines weisen und allmächtigen Weltenschöpfers, der trotz seiner Allmacht das Böse und Üble in der Welt geschehen läßt — wie sie von Leibniz, ShaftesbuD ' Pope, Voltaire geführt worden ist -, findet man bei Rousseau nicht. Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    In Opposition zur Stadt Paris, die Saint-Preux in seinen Briefen kritisch analysiert, schafft Rousseau das ländliche Clärens, das als Familien- und Naturidylle wegen des dort herrschenden neuen Erziehungskonzeptes, der Freundschaft und des Glückes als Utopie erscheint, letztlich aber als solche nicht realisierbar ist.
    Regression ins Glück des primitiven Menschen, der die Wälder allein durchstreift und sprachlos, präreflexiv, a-rational, amoralisch und sich selbst genug ist: Dieses Glück beschwören Rousseaus Rêveries.
    De Man: 1983, 111—113), und die Überschreibung der Todeserfahrungen und Kindheitsverluste — der Tod der Mutter, das frühe Verschwinden des ungeratenen Bruders, die Kriminalisierung und Expatriation des Vaters, als Jean-Jacques zehn Jahre alt ist — durch romaneske Glückstopoi, exklusiven Freundschaftskult und schwärmerischc Naturbetrachtung 6 Vgl. Rousseaus Zeitgenossen Georg Christoph Lichtenberg: “So wird es aber (...) allen großen Geistern ergehen, die mit tiefer Einsicht uber den Menschen schreiben. Solche Werke sind Spiegel; wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel heraussehen (Über Phsiognomik; Wider die Phsiognomen. Zur Beför- derung der Menschenliebe und Menschenkennmniss, in: ders . : 1992, 280). Sa fille ainée etoit morte, mais il avoit un fils de même age que moi.
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    Die Auseinandersetzung mit der Wr’ Stellung eines weisen und allmächtigen Weltenschöpfers, der trotz seiner Allmacht das Böse und Üble in der Welt geschehen läßt — wie sie von Leibniz, ShaftesbuD ' Pope, Voltaire geführt worden ist -, findet man bei Rousseau nicht. Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
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    Die Auseinandersetzung mit der Wr’ Stellung eines weisen und allmächtigen Weltenschöpfers, der trotz seiner Allmacht das Böse und Üble in der Welt geschehen läßt — wie sie von Leibniz, ShaftesbuD ' Pope, Voltaire geführt worden ist -, findet man bei Rousseau nicht. Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    Damit wendet Rousseau sich dezidiert gegen die Vorstellung, die soziale Ungerechtigkeit sei gott- oder naturgegeben.
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    Für ihn liegen Glück und Elend des Menschen, der Sinn seines Daseins in der Gestaltung sozialen Lebens begründet; Sinn und Glück des Daseins sind an der sozialen Gerechtigkeit zu messen. [86] Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegen* wärtigen Daseins der Menschen.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.
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    In seinem Discours sur l’economie politique (1755) formuliert er diese Ablehnung der wirtschaftlichen und der darauf beruhenden sozialen Ordnung. Die Vorteile der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung liegen für Rousseau auf der Seite der Reichen und Mächtigen. Die lukrativen Positionen sind in ihren Händen und die Ämter sind mit Privilegien ausgestattet; das Gesetz begünstigt sie; ihre Verbrechen werden rasch vergessen, indessen Vergehen am Reichtum sofort die geballte Macht des Gesetzesapparates in Bewegung setzen.
    2 references
    Der Gesellschaftsvertrag zwischen den mächtigen Reichen und den Armen ist em Ausbeutungs- und Unterwerfungsvertrag. [88] Rousseau hat bei seiner Darstellung verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen reich und arm, den »beiden Standen«, im Auge: die rechtliche Ungleichheit oder Ungleichbehandlung; das ständische Ansehen, die ungleiche steuerliche Belastung, die Ungleichheit der wirtschaftlichen Chancen (»Geld ist der Samen des Geldes«) und nicht zuletzt die moralische Erniedrigung oder Korruption des Armen - »aber ich halte ihn für einen verlorenen Mann, wenn er zu seinem Unglück eine anständige Seele, eine liebenswürdige hübsche Tochter und einen mächtigen Nachbarn hat«.
    Den falschen Weg der Menschheitsgeschichte und die Korruption der gegenwärtigen Gesellschaft liest Rousseau an dem Widerspruch zwischen einer hochentwickelten verfeinerten Kultur (»politesse«, »goût délicat«, »bienséance«) und der Heimtücke, dem Haß, der Furcht und der Gefühlskälte ab, die sich unter dem trügerischen Schein der feinen Bildung verbergen.
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    Der Gesellschaftsvertrag zwischen den mächtigen Reichen und den Armen ist em Ausbeutungs- und Unterwerfungsvertrag. [88] Rousseau hat bei seiner Darstellung verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen reich und arm, den »beiden Standen«, im Auge: die rechtliche Ungleichheit oder Ungleichbehandlung; das ständische Ansehen, die ungleiche steuerliche Belastung, die Ungleichheit der wirtschaftlichen Chancen (»Geld ist der Samen des Geldes«) und nicht zuletzt die moralische Erniedrigung oder Korruption des Armen - »aber ich halte ihn für einen verlorenen Mann, wenn er zu seinem Unglück eine anständige Seele, eine liebenswürdige hübsche Tochter und einen mächtigen Nachbarn hat«.
    Den falschen Weg der Menschheitsgeschichte und die Korruption der gegenwärtigen Gesellschaft liest Rousseau an dem Widerspruch zwischen einer hochentwickelten verfeinerten Kultur (»politesse«, »goût délicat«, »bienséance«) und der Heimtücke, dem Haß, der Furcht und der Gefühlskälte ab, die sich unter dem trügerischen Schein der feinen Bildung verbergen.
    Wahrheitsbehauptung und Unschulds- und Glücksmythos aber, so demonstriert das erste Buch der Confessions wegweisend für alle weiteren, sind selten miteinander kompatibel, und möglicherweise erklärt sich hierher das grundsätzlich Verstohlene im Leben und Schreiben Rousseaus: die heimlichen Blicke auf Naschereien und Frauen, die kleinen Diebereien der Kindheit und die diebische Erregung bei nach- folgenden Züchtigungen, das Verstecken der eigenen Kinder in einem Waisenhaus und der eigenen Person in Montmorency.
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    Der natürliche Mensch und die verdorbene Gesellschaft Berühmt geworden ist Rousseau durch den Discours über die Preisfrage der Akademie von Dijon: Si le rétablissement des sciences et des arts a contribue à épurer ^ moeurs (1750). Zunächst, so führt er aus, stellt sich die moderne Entwicklung der Wissenschaften und Künste, der neuzeitlichen Kultur als ein glanzvolles und großar-llges Schauspiel dar.
    Rousseau bezweifelt damit eine der wesentlichen Grundlagen der bisherigen Kritik der Vorurteile, die sogenannten exakten Wissenschaften.
    Discours 'n seinem ersten bedeutenden Werk, dem Discours sur les sciences et les arts (1750), entwickelt Rousseau seine These, dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nicht - wie gemeinhin von den Aufklärern angenommen - die Sitten verbessere, sondern vielmehr die ursprüngliche und naturgegebene Tugend des Menschen korrumpiere.
    Rousseau zufolge haben Wissenschaften und Künste in der Gegenwart offenkundig einen Höhepunkt erreicht, im Laufe ihrer Entwicklung aber den gesellschaftlichen und moralischen Fortschritt keineswegs befördert, sondern vielmehr der Tugend und der Freiheit geschadet.
    Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
    Zusammen mit Montesquieu, Voltaire und Diderot gehört Rousseau (1712-1778) zu den herausragenden Persönlichkeiten des 18. Jh. Sein Werk umspannt philosophische, staatstheoretische, pädagogische, musikwissenschaftliche und literarische Arbeiten, die zukunftsweisende Konzepte enthalten.
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    Der natürliche Mensch und die verdorbene Gesellschaft Berühmt geworden ist Rousseau durch den Discours über die Preisfrage der Akademie von Dijon: Si le rétablissement des sciences et des arts a contribue à épurer ^ moeurs (1750). Zunächst, so führt er aus, stellt sich die moderne Entwicklung der Wissenschaften und Künste, der neuzeitlichen Kultur als ein glanzvolles und großar-llges Schauspiel dar.
    Discours 'n seinem ersten bedeutenden Werk, dem Discours sur les sciences et les arts (1750), entwickelt Rousseau seine These, dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nicht - wie gemeinhin von den Aufklärern angenommen - die Sitten verbessere, sondern vielmehr die ursprüngliche und naturgegebene Tugend des Menschen korrumpiere.
    Rousseau zufolge haben Wissenschaften und Künste in der Gegenwart offenkundig einen Höhepunkt erreicht, im Laufe ihrer Entwicklung aber den gesellschaftlichen und moralischen Fortschritt keineswegs befördert, sondern vielmehr der Tugend und der Freiheit geschadet.
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    In Rousseaus Text werden die geistige und die gesellschaftliche Entwicklung miteinander verquickt; die Geschichte hat demnach die Selbsterkenntnis des Menschen, die Erkenntnis und Beherrschung der äußeren Natur sowie die Gestaltung des Geschicks der Menschheit herbeigeführt.
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung. Zugleich ist er einer der profiliertesten und einflussreichsten Aufklärungskritiker. Einem großen Roman, seiner Autobiographie und seinen selbstreflexiven Spätschriften verdankt er seinen hohen schriftstellerischen Rang.
    In seinen Reveries schafft Rousseau eine höchst subtile Form von Reflexionsprosa, die die Grenzen zwischen theoretischer Erörterung, Erzählen und literarischer Fiktion hinter sich lässt und in Gedankenlyrik übergeht.
    Man könnte, ohne Jean-Jacques Rousseau zu nahe zu treten, sein Schreiben begreifen als Indiskretion: Indiskretion eines Menschen, der sein Herz entblößt, um seine stets verstohlenen Wünsche zu entschuldigen, Indiskretion eines Schriftstellers, der in bisher nicht gekannter Weise die Leser einlädt zu jener Ungeniertheit, der Entlarvung, der Demaskierung, aber auch den Fluchten eines “Ich” zuzusehen oder die verbotene, noch auf dem Totenbett praktizierte Liebeskorrespondenz junger Leute zu konsumieren, um dann, in einem eigentlich indiskreten Tränenstrom, sich allseitiger Empfindsamkeit zu versichern. Die Rede wird sein von den Enthüllungen und Verstellungen, den Legitimationen und Strategien eines zutiefst schwierigen Menschen, seiner komplexen, monumentalen Textproduktion, welche politische, philosophische, religiöse Konzepte der Aufklärung vermittelt und durchkreuzt sowie neue Wege der Subjektivität, der Selbstwahmehmung und -reflexivität buchstäblich erwandert, auf der Suche nach den Ursprüngen des Seins (Sexualität), des Habens (Besitz) und der Sprache (Zeichen).
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    Rousseau faßt hingegen die gesamten Errungenschaften der Kultur, die andere Aufklärer als Instrumente der Befreiung und Erziehung des Menschengeschlechtes angespriesen haben, als betrügerischen Schein auf: Sie dienten dem angenehmen Zeitvertreib, mit dem die Unterdrückten über ihre Unfreiheit hinweggetäuscht und die Sitten korrumpiert werden; das Gemeinwesen werde mit ihrer Hilfe in unmündigem Müßiggang, im Zustand politischer Handlungsunfähigkeit gehalten.
    Rousseau macht darauf aufmerksam, daß sich erste Keime des Verfalls der menschlichen Natur bereits in diesem vorgesellschaftiichen Zustand der Seßhaftigkeit entdecken lassen: Verweichlichung, Müßiggang, Eitelkeit, Rivalitätsdenken. Trotzdem preist er diesen zweiten Naturzustand, in dem die Menschen ohne Gesetze, nur durch Sitten und Lebensweise miteinander verbunden sind, als einen der Gattung angemessenen glücklichen Zustand, als »die eigentliche Jugend der Welt« (ebd., S. 72).
    Das hier zugespitzte Spiel um Authentizität und Fiktion freilich praktizierte Rousseau auf seine Art: Der vorgeschobene “éditeur” nämlich läßt hier seine Eingriffe in die Korrespondenz im unklaren, gibt nur vage vor, die Topographie grob verändert zu haben, an den wirklichen Orten des Geschehens hingegen niemals den Protagonisten begegnet zu sein. Den Effekt der Echtheit wie den der Romanhaftigkeit der Briefe vereitelt er wechselseitig, um statt dessen dezidiert die Sittenlosigkeit seiner Zeit anzuklagen und dem “siècle corrompu” mit der Nouvelle Héloïse einen Spiegel vorzuhalten, der aber nach seinen Worten in sich so widersprüchlich sei, daß er sicherlich allen mißfallen werde:
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will; seine „Lettre à d’Alembert sur les spectacles“ (1758), in der er die korrumpierende Wirkung des Theaters auf die Sitten darlegt, führt zum Bruch mit den Enzyklopädisten und dem Rückzug in die Einsamkeit, wo sein Briefroman „Julie ou La nouvelle Héloïse” (1761) und sein Erziehungstraktat „Emile ou De l’éducation“ (1762) entstehen;
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    Den falschen Weg der Menschheitsgeschichte und die Korruption der gegenwärtigen Gesellschaft liest Rousseau an dem Widerspruch zwischen einer hochentwickelten verfeinerten Kultur (»politesse«, »goût délicat«, »bienséance«) und der Heimtücke, dem Haß, der Furcht und der Gefühlskälte ab, die sich unter dem trügerischen Schein der feinen Bildung verbergen.
    Jean-Jacques Rousseau: Von den Ursprüngen erzählen Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt Jean-Jacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours , seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält.
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998). Es ist eine Kulturkritik, welche die Frage nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte, ihren fundamentalen Strukturen stellt - die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter, der Sprache, des Besitzes - und eine durchgängige Ungleichheit diagnostiziert.
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    Den falschen Weg der Menschheitsgeschichte und die Korruption der gegenwärtigen Gesellschaft liest Rousseau an dem Widerspruch zwischen einer hochentwickelten verfeinerten Kultur (»politesse«, »goût délicat«, »bienséance«) und der Heimtücke, dem Haß, der Furcht und der Gefühlskälte ab, die sich unter dem trügerischen Schein der feinen Bildung verbergen.
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    Den falschen Weg der Menschheitsgeschichte und die Korruption der gegenwärtigen Gesellschaft liest Rousseau an dem Widerspruch zwischen einer hochentwickelten verfeinerten Kultur (»politesse«, »goût délicat«, »bienséance«) und der Heimtücke, dem Haß, der Furcht und der Gefühlskälte ab, die sich unter dem trügerischen Schein der feinen Bildung verbergen.
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    In seinem zweiten Discours sur cette question proposée par l’Académie de Dijon: Quelle est l’origine de l’inégalité parmi les hommes et si elle est autorisée par la loi naturelle;' (1755) unternimmt Rousseau eine genetische Erklärung der Vergesellschaftung. Er verfolgt damit nicht die Absicht, den Menschen in den Naturzustand zurückzuführen; er möchte ihn vielmehr auf den Naturzustand zurückblicken lassen, ihm den Naturzustand als Maßstab der Orientierung geben. [92] Der gegenwärtige Zustand der Gesellschaft soll als Ergebnis eines Gesellschaftsvertrages dargestellt werden, der von falschen Voraussetzungen ausging.
    Mit dieser Charakterisierung des ursprünglichen Naturzustandes unterscheidet sich Rousseaus Konzept deutlich von der naturrechtlichen Tradition, die in der Formulierung der Preisfrage mit thematisiert ist.
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    Indem Rousseau diese besondere menschliche Eigenschaft festhält, vermag er die Unterwerfung des Menschen unter ungleiche Besitzver-a misse, den unwürdigen versklavenden Gesellschaftsvertrag anzuprangern, der am Anfang der fatalen Entartung steht. [93J Weil der Mensch ein mit freiem Willen egabtes Körper-Geist-Wesen ist, kann Rousseau einen Gesellschaftsvertrag konzipieren, der kein Unterwerfungsvertrag, sondern ein Vereinigungsvertrag freier Individuen sein soll.
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    Rousseau habe »die ganze objektive Tragik des gewaltigsten Klassenzusammenstoßes in dieser Epoche« gestaltet. [98] Die »erschütternde und eindringliche Gestaltung des Konflikts« entspricht »in den ersten beiden Teilen der Nouvelle Héloïse den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten.
    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
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    Rousseau habe »die ganze objektive Tragik des gewaltigsten Klassenzusammenstoßes in dieser Epoche« gestaltet. [98] Die »erschütternde und eindringliche Gestaltung des Konflikts« entspricht »in den ersten beiden Teilen der Nouvelle Héloïse den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die Liebe zwischen dem Bürgersohn und dem adligen Mädchen scheitert am feudalen Standesvorurteil«.
    Der Kampf gegen Vorurteile und Intoleranz im Namen der raison einerseits und die Aufwertung des sentiment andererseits sind die Koordinaten des Romans der zweiten Jahrhunderthälfte, die Rousseau bereits 1761 mit .Julie ou La nouvelle Héloïse” zugunsten eines culte du moi verschiebt.
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    Rousseau hat den Widerspruch zwischen Neigung und Pflicht erkannt und mit seltener Eindringlichkeit dargestellt; aber - das unterscheidet seine Psychologie von Kants Sittenlehre - er versucht trotzdem eine Versöhnung zwischen den Leidenschaften und der Sittlichkeit.
    Eine unglückliche Liebesgeschichte gibt Anlass, große Gefühle sowie Leidenschaften und pathetische Liebesszenen zu schildern. Diese finden sich sowohl in Briefromanen, z. Die Verlegung einer leidenschaftlichen und tragischen Liebeshandlung in Schlossruinen und Kellergewölbe soll im genre sombre (auch roman noir) einen besonderen Nervenkitzel beim Publikum erzeugen.
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    Rousseau hat im Contrat social (III, 4) die Demokrat $ Regierungsform für Götter bezeichnet: »Un gouvernement si parfait ne <.011 ,^r à des hommes.« Erste Voraussetzung dieser Regierungsform sei »ein se r Staat, wo das Volk leicht Zusammentreffen kann«; weitere Voraussetzungen s,n »Einfachheit der Sitten«, die »Gleichheit nach Rang und Vermögen«, »wenig kein Luxus«.
    Es greift zentrale Gedanken aus Rousseaus Contrat social auf und formuliert demokratische Grundsätze.
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    Gerade die Möglichkeit, die Freiheit auf dem Wege der Revc wiederzuerlangen, hat Rousseau bezweifelt oder gar bestritten.
    Morellet hat seine unmitte Erfahrung der Epoche anscheinend Rousseaus pessimistischer Vermutung unt g ordnet, daß Revolutionen in einem fortgeschrittenen Stadium der Zivilisat unmöglich seien und den Untergang des Gemeinwesens bedeuteten: car [le peuple] peut se rendre libre tant qu’il n’est que barbare, mais il ne le peut plus qu ’ ressort civil est usé.
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    Ausgehend vom moralischen Verhaltensideal der sensibilité der 30er-Jahre (Prévost, Marivaux, Nivelle de La Chaussée) bricht sich der Gefühlskult mit Rousseau langsam Bahn, bis die Verabsolutierung von Herz und Leidenschaft bei André Chénier ihren Höhepunkt erreicht.
    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Eine unglückliche Liebesgeschichte gibt Anlass, große Gefühle sowie Leidenschaften und pathetische Liebesszenen zu schildern. Diese finden sich sowohl in Briefromanen, z. Die Verlegung einer leidenschaftlichen und tragischen Liebeshandlung in Schlossruinen und Kellergewölbe soll im genre sombre (auch roman noir) einen besonderen Nervenkitzel beim Publikum erzeugen.
    Diese Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus der Aufklärung, die insbesondere die von Rousseau begründete Autobiographie widerspiegelt („Confessions”, zwischen 1765 und 1770 verfaßt, 1782 und 1789 publiziert), markiert den Beginn jener als tournant des Lumières bezeichneten Phase zwischen 1770 und 1820/1830, die den Bruch mit den poctologischen Konzepten des 17.
    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
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    Jean-Jacques Rousseau steuert bis zum Zerwürfnis mit den encyclopédistes Artikel über Musik bei (s.
    Rousseau gehört anfangs zu den Mitarbeitern der Encyclopédie (s. S. 74-76), zu der er Artikel über Musik und Philosophie beisteuert.
    Die Musik ist eine seiner Leidenschaften, und er entwickelt, ohne großen Erfolg, ein innovatives musikalisches Notationssystem; seine zahlreichen musikwissenschaftlichen Beiträge zur Encyclopedie erscheinen 1767 gesammelt in seinem Dictionnaire de musique.
    Zusammen mit Montesquieu, Voltaire und Diderot gehört Rousseau (1712-1778) zu den herausragenden Persönlichkeiten des 18. Jh. Sein Werk umspannt philosophische, staatstheoretische, pädagogische, musikwissenschaftliche und literarische Arbeiten, die zukunftsweisende Konzepte enthalten.
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    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präro mantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde. Seine staatstheoretischen Konzepte fließen in die demokratischen Verfassungen der Revolution ein.
    Staatstheoretische Überlegungen Du contrat Die 1762 publizierte Abhandlung Du contrat social ou Principes du social droit politique zählt als staatstheoretischer Entwurf zu den Hauptwerken der Aufklärung. In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Auf- gäbe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    In De l'esprit des lois von Montesquieu und Du contrat social von Rousseau oder auch in utopischen Romanen sind neue Staatsformen diskutiert worden, ohne allerdings den Sturz der bestehenden Ordnung herbeiführen zu wollen: Die Aufklärungsbewegung und die Revolution stehen freilich nicht in einem kausalen Verhältnis von Ursache und Wirkung.
    Jean-Jacques Rousseau: Von den Ursprüngen erzählen Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt Jean-Jacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt. Mit der Selbstkonstituierung der Menschheit, mit dem Entstehen von Sprache, Moral, Religiosität, Institutionen und Staatlichkeit beginne aber zugleich ein verhängnisvoller destruktiver Prozess, der den Menschen langfristig förmlich zum Tyrannen seiner selbst und der Natur mache.
    Im bürgerlichen Zustand sind zwar alle Menschen zunächst als Bürger (politisch und rechtlich) gleich, aber die soziale und ökonomische Ungleichheit zwischen ihnen wächst ständig, was laut Rousseau zum Verfall des Rechtsstaates und zum Despotismus führt, in dem langfristig die Menschen zu willfährigen Sklaven einer autoritären Herrschaft degradiert werden.
    Zusammen mit Montesquieu, Voltaire und Diderot gehört Rousseau (1712-1778) zu den herausragenden Persönlichkeiten des 18. Jh. Sein Werk umspannt philosophische, staatstheoretische, pädagogische, musikwissenschaftliche und literarische Arbeiten, die zukunftsweisende Konzepte enthalten.
    Ebenfalls 1762 publiziert Rousseau seine staatstheoretische Abhandlung „Du contrat social“.
    Jedoch fällt das staatstheoretische Gedankengut der Aufklärer bei der Erarbeitung einer neuen Gesellschaftsordnung auf fruchtbaren Boden, so etwa Montesquieus Überlegungen zur Gewaltenteilung und Rousseaus Konzept des Staatsvertrages.
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    Neben dem Studium der Schriften von Hobbes, Locke, Montesquieu und Condillac stützt Rousseau sich auch auf Reiseberichte über primitive Gesellschaftsformen in der Südsee.
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    Roman Briefroman Kommentar Wirkung Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen.
    Der Fokussierung auf das Ich trägt der Briefroman Rechnung. Rousseau gilt sowohl formal als auch inhaltlich als Vorbild.
    Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloise eine Préface', und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloise: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousscau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner ean-)acques Rousseau 185 Länge und Komplexität erst mit der 2.
    In Rousseaus Roman ist sie das Vorwort eines “éditeur'', der vorgibt, eine Sammlung von Briefen herauszugeben, aber nicht sagt, woher er sie hat — im Gegensatz zur Editorfigur in Marivaux' Roman La Vie de Marianne (1741—44) und in Laclos' Les Liaisons dangereuses: Dort nämlich behauptet ein “rédacteur'', die nachfolgende Korrespondenz von diskreterweise nicht namentlich genannten Personen bekommen und dann geordnet zu haben, während zugleich ein *éditeur'' behauptet, das Ganze sei nichts als ein Roman.
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    In Opposition zur Stadt Paris, die Saint-Preux in seinen Briefen kritisch analysiert, schafft Rousseau das ländliche Clärens, das als Familien- und Naturidylle wegen des dort herrschenden neuen Erziehungskonzeptes, der Freundschaft und des Glückes als Utopie erscheint, letztlich aber als solche nicht realisierbar ist.
    Erziehungstraktat Emile In dem romanhaften Erziehungstraktat Emile ou De l'éducation (1762) führt Rousseau, wie oben angedeutet, seine philosophischen und politischen Überlegungen zu einer Synthese.
    Kommentar Rousseaus Erziehungskonzept will die guten Anlagen des Kindes fördern, um dessen moralische und natürliche Freiheit zu garantieren.
    Kommentar Viele Passagen erhellen Rousseaus Gesellschaftskritik, sein Erziehungskonzept und auch die Entstehungsgeschichte seiner Werke.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours , seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    Und während Rousseau in seinem Emile durch die “natürliche Erziehung'' genau diese Gefühlsbildung aus zweiter Hand zu verhindern sucht, scheint gleichwohl in der romanesken Gedächtnisschrift der frühen Kindheit bereits das Herzensprogramm der Nouvelle Héloise auf, deren begeisterte Leserin die Mutter des Autors gewesen wäre, wenn er sie nicht bereits bei der Geburt “geopfert' hätte.
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    In Opposition zur Stadt Paris, die Saint-Preux in seinen Briefen kritisch analysiert, schafft Rousseau das ländliche Clärens, das als Familien- und Naturidylle wegen des dort herrschenden neuen Erziehungskonzeptes, der Freundschaft und des Glückes als Utopie erscheint, letztlich aber als solche nicht realisierbar ist.
    De Man: 1983, 111—113), und die Überschreibung der Todeserfahrungen und Kindheitsverluste — der Tod der Mutter, das frühe Verschwinden des ungeratenen Bruders, die Kriminalisierung und Expatriation des Vaters, als Jean-Jacques zehn Jahre alt ist — durch romaneske Glückstopoi, exklusiven Freundschaftskult und schwärmerischc Naturbetrachtung 6 Vgl. Rousseaus Zeitgenossen Georg Christoph Lichtenberg: “So wird es aber (...) allen großen Geistern ergehen, die mit tiefer Einsicht uber den Menschen schreiben. Solche Werke sind Spiegel; wenn ein Affe hineinguckt, kann kein Apostel heraussehen (Über Phsiognomik; Wider die Phsiognomen. Zur Beför- derung der Menschenliebe und Menschenkennmniss, in: ders . : 1992, 280). Sa fille ainée etoit morte, mais il avoit un fils de même age que moi.
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    Rousseau gewährt seinem Publikum einen tiefen Einblick in seine Persönlichkeit im Laufe der schonungslosen Analyse seiner Psyche und der Preisgabe seines Inneren mit aller Größe, aber auch mit allen Schwächen (maßloser Ehrgeiz und Geltungssucht, gepaart mit Schüchternheit, Ängsten und Komplexen).
    Neben der Dokumentation der Situation eines Schriftstellers, sei- ner Probleme mit der Zensur und seinen Verlegern sowie einer ausufernden Fülle von Fakten, Daten und Details gewährt Rétif wie schon Rousseau Einblicke in seine Psyche (s.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
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    Diese Position vertritt auch Rousseau, der in „Emile ou De l'éducation” (1762) den Geschmack als fundamentale moralische Urteilsinstanz definiert und das Geschmacksurteil als Folge von Erfahrungsaustausch und gesellschaftlicher Prägung betrachtet. 1787 schließlich beschäftigt sich Marmontel in seinem „Essai sur le goüt“ nochmals ausführlich mit dem Gcschmacksbegriff, den er in historischer Perspektivierung von der Antike bis zu Voltaire behandelt, dessen Werk ihm als Inbegriff des guten Geschmacks gilt.
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    Der Kampf gegen Vorurteile und Intoleranz im Namen der raison einerseits und die Aufwertung des sentiment andererseits sind die Koordinaten des Romans der zweiten Jahrhunderthälfte, die Rousseau bereits 1761 mit .Julie ou La nouvelle Héloïse” zugunsten eines culte du moi verschiebt.
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    Die Lettre a d’Alembert sur son article Geneve (auch Lettre sur les spectacles) 1758) enthält Rousseaus Theatertheorie und seine Theorie des republikanischen Festes, welche sich in den großen revolutionären Volksfesten verwirklichen wird.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will; seine „Lettre à d’Alembert sur les spectacles“ (1758), in der er die korrumpierende Wirkung des Theaters auf die Sitten darlegt, führt zum Bruch mit den Enzyklopädisten und dem Rückzug in die Einsamkeit, wo sein Briefroman „Julie ou La nouvelle Héloïse” (1761) und sein Erziehungstraktat „Emile ou De l’éducation“ (1762) entstehen;
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    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt. Mit der Selbstkonstituierung der Menschheit, mit dem Entstehen von Sprache, Moral, Religiosität, Institutionen und Staatlichkeit beginne aber zugleich ein verhängnisvoller destruktiver Prozess, der den Menschen langfristig förmlich zum Tyrannen seiner selbst und der Natur mache.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours , seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    Die für Rousseaus Texte typische Figur der syntaktisch- semantischen Klimax, die sich aufblähenden Sätze und die Forcierung des Vokabulars (émotion ... terreur ... frayeur soudaine ... temblante et prête à tomber en défaillance; pureté ... dignité ... sainteté) suggerieren nachhaltig die Magie des Kirchenraums und die zeremonielle Choreographie: 1 Vous êtes depuis si longtems le dépositaire de tous les secrets de mon cœur, qu'il ne sauroit plus perdre une si douce habitude.
    Wegen freiheitlicher Gedanken zur Religion in „Emile“ und vor allem wegen des „Contrat social“ - schon 1762 werden beide Bücher zuerst in Paris, dann in Genf öffentlich verbrannt und von den jansenistischen „Nouvelles ecclésiastiques“ gebrandmarkt -muß Rousseau eine jahrelange Flucht antreten, die ihn über mehrere Stationen schließlich nach England führt.
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    In der natürlichen >pitie< des Menschen wurzelt Rousseau zufolge seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Vergesellschaftung, und seine >perfectibilite< ermögliche die geschichtliche Menschwerdung und den Fortschritt. Mit der Selbstkonstituierung der Menschheit, mit dem Entstehen von Sprache, Moral, Religiosität, Institutionen und Staatlichkeit beginne aber zugleich ein verhängnisvoller destruktiver Prozess, der den Menschen langfristig förmlich zum Tyrannen seiner selbst und der Natur mache.
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    Im bürgerlichen Zustand sind zwar alle Menschen zunächst als Bürger (politisch und rechtlich) gleich, aber die soziale und ökonomische Ungleichheit zwischen ihnen wächst ständig, was laut Rousseau zum Verfall des Rechtsstaates und zum Despotismus führt, in dem langfristig die Menschen zu willfährigen Sklaven einer autoritären Herrschaft degradiert werden.
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    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer >Selbstaufklärung der Aufklärung<.
    Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
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    Rousseaus Konkurrenz mit Montaigne um Authentizität, die er Montaigne abzusprechen bereit ist, erzeugt einen Zwang zur bedingungslosen Wahrhaftigkeit (»rendre mon ame transparente aux yeux du lecteur«, Confessions ).
    Die ganze Kindheit Jean- Jacques', die gemäß der rousseauistischen Anthropologie und Pädagogik das ganze Leben entwirft und trägt, entrollt sich in einer fatalen Abfolge von Wunsch und Strafe, Bild und Faktum: Das Paradies des glücklichen Paares wird zerstört durch die Geburt des Sohnes; die Vater-Sohn-Dyade wird zunichte gemacht durch die Unehrenhaftigkeit des Vaters; die Idylle der Ersatzfamilie und Freundschaft findet ihr jähes Ende in der lächerlichen und gleichwohl folgenschweren Episode des Kamms der Mlle Lambercier, zu der die Knaben ein inniges, ja kindlich-intimes Verhältnis entwickelt hatten, “comme Mlle Lambercier avoit pour nous l'affection d'une mere' (C, I, 15): Eines Tages nämlich legt das Hausmädchen die gewasche- 198 Walburga Hülk nen Kämme der Mlle Lambercier zum Trocknen auf die Kaminplatte und entdeckt wenig später, daß an einem Kamm die Zähne abgebrochen sind.
    Es ist diese Szene, die zeigt, wie die Lüge in Jean-Jacques' Leben kam und die gleichsam jenes Doppelspiel von Bekenntnis und Leugnung, schriftlicher Beglaubigung und Vertuschung in Gang setzt, das fortan den Prozeß um Unschuld und Schuld prägen wird: “nous commen- cions à nous cacher, à nous mutiner, à mentir'' (C, , z1).
    Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
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    Wie Montaigne stellt Rousseau eine schonungslose Offenbarung seiner Person in all ihren Facetten und bis in ihre menschlichen und moralischen Schwächen hinein in Aussicht.
    Die Confessions werden so zu einem Medium, das ideali- sierend und korrigierend zugleich ist — ein Spiegel, welcher die verkennenden Jubilationen zurückwirft, aber auch ein Spiegel, der den Affen zeigt.b Dieser dop- pelte, beständig oszillierende, nie eindeutige Blick, den Rousseau auf Jean-Jacqucs wirft und auf seine eigene Schrift, wird so zum Parameter jenes Wahrheits- anspruchs, den Rousseau formulierte mit dem Leitspruch seines Lebens und Schreibens: Vitam impendere vero.
    1 reference
    Man könnte, ohne Jean-Jacques Rousseau zu nahe zu treten, sein Schreiben begreifen als Indiskretion: Indiskretion eines Menschen, der sein Herz entblößt, um seine stets verstohlenen Wünsche zu entschuldigen, Indiskretion eines Schriftstellers, der in bisher nicht gekannter Weise die Leser einlädt zu jener Ungeniertheit, der Entlarvung, der Demaskierung, aber auch den Fluchten eines “Ich” zuzusehen oder die verbotene, noch auf dem Totenbett praktizierte Liebeskorrespondenz junger Leute zu konsumieren, um dann, in einem eigentlich indiskreten Tränenstrom, sich allseitiger Empfindsamkeit zu versichern. Die Rede wird sein von den Enthüllungen und Verstellungen, den Legitimationen und Strategien eines zutiefst schwierigen Menschen, seiner komplexen, monumentalen Textproduktion, welche politische, philosophische, religiöse Konzepte der Aufklärung vermittelt und durchkreuzt sowie neue Wege der Subjektivität, der Selbstwahmehmung und -reflexivität buchstäblich erwandert, auf der Suche nach den Ursprüngen des Seins (Sexualität), des Habens (Besitz) und der Sprache (Zeichen).
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    Es ist eine als Epitaph zu lesende Inschrift, die Rousseau hier einsetzt, Petrarcas Sone 338 auf den Tod seiner Gelicbten Laura entnommen, das damit auch, als ein Beispiel aus der europäischen Geschichte der Liebenden und der Liebesgeschichten, fungier als ein Prätext für diesen Roman, der sich bcreits mit seinem Titel einschreibt in die Tradition von Darstellungen der Schicksale unglückscliger Liebespaare — unglück- seliger Liebespaare zumal, die einander schreiben und über ihr Schicksal schreiben.
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    Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloise eine Préface', und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloise: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousscau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner ean-)acques Rousseau 185 Länge und Komplexität erst mit der 2.
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    Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
    2 references
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998). Es ist eine Kulturkritik, welche die Frage nach den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte, ihren fundamentalen Strukturen stellt - die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter, der Sprache, des Besitzes - und eine durchgängige Ungleichheit diagnostiziert.
    Rousseau errichtet hier ein durchaus geschlechtsspezifisches Lektüre- programm, das namentlich jene Tradition zu bestätigen scheint, die den Roman als tränentreibendes Lesefutter für Frauen geringschätzte.
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    Die Frage nach Ursprung und Ende hat Rousseau nie mehr losgelassen. Sie steht am Anfang seines ebenfalls voluminösen autobiographischen Textes Les Confessions, der gleichsam zum Modell dieser raffinierten literarischen Gattung geworden ist, mit dem Titel die religiöse Autobiographie des Augustinus, Confessiones, zitiert, die dann umcodiert wird in einen Erinnerungstext, der nicht mehr Nachschrift einer Bekehrung und Glaubensbekenntnis ist, wohl aber eine Lebensbeichte, welche die Möglichkeiten und Tücken der Erinnerungsarbeit mitreflektiert (Assmann: 1999, 252-254). Es ist eine Frage, die hier, wie schon in den philosophischen Schriften und der Nouvelle Héloïse, verhandelt wird vor dem Hintergrund des Problems von Schuld und Unschuld, Urteil und Freispruch.
    Buch, gewissermaßen das Buch der Bücher, entwirft, gleich einer musika- lischen Ouverture, aus der Nach-Erzählung der Kindheit all jene Themen und Strukturen, welche Buch und Leben Rousseaus bestimmt haben und hier wie immer in seinen Schriften entbunden werden aus dem Mythos der verlorenen Unschuld.
    Diese Szene ist der Beginn der lebenslangen Verfolgungsszenarien, und sie behauptet jene natürlich angeborene Unschuld der Gedanken, Worte und Werke, die Jean-Jacques fortan in steter Selbst- entblößung vor den Menschen und Gott verteidigen muß gegen die trügerischen Zeichen der Welt und die Zersplitterung des Selbstbildes: 1 Enfin je sortis de cette cruelle épreuve en pieces, mais triomphant.
    Es ist diese Szene, die zeigt, wie die Lüge in Jean-Jacques' Leben kam und die gleichsam jenes Doppelspiel von Bekenntnis und Leugnung, schriftlicher Beglaubigung und Vertuschung in Gang setzt, das fortan den Prozeß um Unschuld und Schuld prägen wird: “nous commen- cions à nous cacher, à nous mutiner, à mentir'' (C, , z1).
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    Les Confessions sind ein Konvolut in 2 großen Teilen mit je 6 Büchern, die in unterschiedlicher Segmentierung Rousseaus Leben bis ins Jahr 1765 entwickeln. Während z.B. das 1. Buch die ersten 16 Jahre der Kindheit verdichtet (1712-1728), dehnt das zweite Buch neun entscheidende Monate des Jahres 1728, die Begegnung mit der 12 Jahre älteren Madame de Warens als Urszene von Liebe und Schreiben.
    Nie schrieb der wortgewaltige Rousseau lakonischer als es hier Jean-Jacques in seiner ersten Beichte tut, die ihm fast die Worte absterben läßt, um das eine, nie an die Mutter adressierte Wort “maman” in die spätere, durchaus ödipale Liebesbeziehung zu Madame de Warens zu verschieben, die vor allem in Buch 2 und Buch 6 eindringlich geschildert wird. Sie setzt sich vernichtend an den Anfang der Geständnisse nachfolgender, ungleich harmloserer “Vergehen”, die den Prozeß der tatsächlichen und imaginierten Anschuldigungen, der Selbstbeschuldigungen und Entschuldigungen schier endlos “anhängig” erhalten. Es ist ein Prozeß erzählten Lebens, der von Anfang an den Schreibakt selbst reflektiert, “au moment où j écris ceci” (C, I, 8), beständig und insistierend die Möglichkeiten des autobiographischen Schreibens und auch der Erinnerung anzweifelt und damit auch die so provokant versprochene Totalität der selbstentblößenden Transparenz relativiert:
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    Der Gerichtstag, den Rousseau hier heraufbeschwört, ist der Jüngste Tag, das Ende aller Zeiten, das mit dem Jüngsten Gericht den mythischen Bogen zum Ursprung allen Lebens zurückschlagen und die Unschuldigen des Paradieses rehabilitieren wird.
    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
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    “Rêverie'', welche die Erinnerung an Rousseaus kurzen glückhaften Aufenthalt im Herbst 1765 auf der Ile-de-St-Pierre mitten auf dem Lac de Bienne (Bieler See) ist.
    Nie schrieb der wortgewaltige Rousseau lakonischer als es hier Jean-Jacques in seiner ersten Beichte tut, die ihm fast die Worte absterben läßt, um das eine, nie an die Mutter adressierte Wort “maman” in die spätere, durchaus ödipale Liebesbeziehung zu Madame de Warens zu verschieben, die vor allem in Buch 2 und Buch 6 eindringlich geschildert wird. Sie setzt sich vernichtend an den Anfang der Geständnisse nachfolgender, ungleich harmloserer “Vergehen”, die den Prozeß der tatsächlichen und imaginierten Anschuldigungen, der Selbstbeschuldigungen und Entschuldigungen schier endlos “anhängig” erhalten. Es ist ein Prozeß erzählten Lebens, der von Anfang an den Schreibakt selbst reflektiert, “au moment où j écris ceci” (C, I, 8), beständig und insistierend die Möglichkeiten des autobiographischen Schreibens und auch der Erinnerung anzweifelt und damit auch die so provokant versprochene Totalität der selbstentblößenden Transparenz relativiert:
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    Diese Szene ist der Beginn der lebenslangen Verfolgungsszenarien, und sie behauptet jene natürlich angeborene Unschuld der Gedanken, Worte und Werke, die Jean-Jacques fortan in steter Selbst- entblößung vor den Menschen und Gott verteidigen muß gegen die trügerischen Zeichen der Welt und die Zersplitterung des Selbstbildes: 1 Enfin je sortis de cette cruelle épreuve en pieces, mais triomphant.
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    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
    Rousseaus ebenso leidenschaftlicher wie guter Naturmensch ist, wie die Ordnung, die er begründen soll, ein Gedankenkonstrukt — mythologisch in der chri- stologischen Bildfülle, paradox als Gesellschaftsutopie jenseits aller Kultur.
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    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
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    Das Genre ändert sich mit- hin erneut, auf die pastoralen Szenen folgen nun die heroisch-tragischen, der mytho- graphische Impetus freilich des Autobiographen bleibt sich gleich: als Entwurf des eigenen Lebens, des Fühlens, Denkens und Handelns aus den faszinierenden Grundmustern der Kulturgeschichte, gipfelnd hier im christologischen Gestus des- sen, der die Fehler und Sünden der Welt auf sich nimmt — *comme si l'effet en [de toute action injuste — W. H.] retomboit sur moi'' (C, I, 20) — um sich, und sei es im Geiste, zu ihrem Heil zu opfern und die Missetäter zu richten: lean-)acques Rousseau 199 Quand je lis les cruautés d'un tyran féroce, les subtiles noirceurs d'un fourbe de prêtre, je partirois volontiers pour aller poignarder ces misérables, dussai-je cent fois y périr. Je me suis souvent mis en nage, à poursuivre à la course ou à coups de piere un coq, une vache, un chien, un animal que j'en voyois tourmenter un autre, uniquement parce qu'il se sentoit le plus fort. Ce mouvement peut m'être naturel, et je crois qu'il l'est; mais le souvenir profond de la prémiére injustice que j'ai soufferte y fut trop longtems et trop fortement lié, pour ne l'avoir pas beaucoup renforcé (C, I, 20). Die lächerliche und gleichwohl mythologisch aufgeladene Episode des Kamms ist in besonderer Weise kennzeichnend für das “labirinthe obscur et fangeux'' (C, I, 18) der Bekenntnisse, schwierig und peinlich zu erzählen, ce qui [...] coûte le plus à dire, c'est ce qui est ridicule et honteux'' (C, I, 18). Rousseaus Ringen um die Wahrheit und um jenes wahre Wort, welches der Zivilisationsprozeß zuschanden gemacht hat, konstituiert sich hier als ein eher düsteres Projekt, das nur ab und an heitere Augenblicke kennt — so die erste naturwissenschaftliche Errungenschaft Jean-Jacques' und seines Cousins, der Bau eines “Aquädukts'' für die von den Knaben heimlich gepflanzte Weide (vgl.
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    Buches der Confessions aber sind die Pforten des Paradieses endgültig versperrt: Der nun l6jährige Jean-Jacques, “dévoré de desirs dont j'ignorois l'objet, pleurant sans sujets de larmes, soupirant sans savoir de quoi; enfin caressant tendrement mes chiméres' (C, I, 41), der jetzt wie dann immer streunend seine Wünsche spazieren- führt in “promenades hors de la ville' (C, I, 41), steht bei der nächtlichen Heimkehr dreimal vor verschlossenen Türen — ein nachgerade biblisches Fanal von Verrat und Verstoß.
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    Buches der Confessions aber sind die Pforten des Paradieses endgültig versperrt: Der nun l6jährige Jean-Jacques, “dévoré de desirs dont j'ignorois l'objet, pleurant sans sujets de larmes, soupirant sans savoir de quoi; enfin caressant tendrement mes chiméres' (C, I, 41), der jetzt wie dann immer streunend seine Wünsche spazieren- führt in “promenades hors de la ville' (C, I, 41), steht bei der nächtlichen Heimkehr dreimal vor verschlossenen Türen — ein nachgerade biblisches Fanal von Verrat und Verstoß. Die Kindheit ist unwiederbringlich zu Ende, und dem Jüngling bleibt, wie danach den aus dem Paradies vertriebenen Figuren Heinrich von Kleists, nur die Flucht nach vorne, “m'abandonner à la fatalité de ma destinée'' (C, I, 43).
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    Das Schicksal aber, dem sich der junge Jean-Jacques mit diesen Worten ausliefert, zeich- net einen Riß zwischen Traum und Wirklichkeit, Vorstellungskraft und Leben, einen modalen Riß zwischen Konditional und vergangener Zukunft, den einzig die Schrift zu überzeichnen vermag in der Wellenbewegung von Elend und Idylle: [...] il suivoit que l'état le plus simple, celui qui donnoit le moins de tracas et de soins, celui qui laissoit l'esprit le plus libre, étoit celui qui me convenoit le mieux; et c'étoit précisément le mien.
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    Das Schicksal aber, dem sich der junge Jean-Jacques mit diesen Worten ausliefert, zeich- net einen Riß zwischen Traum und Wirklichkeit, Vorstellungskraft und Leben, einen modalen Riß zwischen Konditional und vergangener Zukunft, den einzig die Schrift zu überzeichnen vermag in der Wellenbewegung von Elend und Idylle: [...] il suivoit que l'état le plus simple, celui qui donnoit le moins de tracas et de soins, celui qui laissoit l'esprit le plus libre, étoit celui qui me convenoit le mieux; et c'étoit précisément le mien.
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    Das Schicksal aber, dem sich der junge Jean-Jacques mit diesen Worten ausliefert, zeich- net einen Riß zwischen Traum und Wirklichkeit, Vorstellungskraft und Leben, einen modalen Riß zwischen Konditional und vergangener Zukunft, den einzig die Schrift zu überzeichnen vermag in der Wellenbewegung von Elend und Idylle: [...] il suivoit que l'état le plus simple, celui qui donnoit le moins de tracas et de soins, celui qui laissoit l'esprit le plus libre, étoit celui qui me convenoit le mieux; et c'étoit précisément le mien.
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    Zusammen mit Montesquieu, Voltaire und Diderot gehört Rousseau (1712-1778) zu den herausragenden Persönlichkeiten des 18. Jh. Sein Werk umspannt philosophische, staatstheoretische, pädagogische, musikwissenschaftliche und literarische Arbeiten, die zukunftsweisende Konzepte enthalten.
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    Die sensualistische Begründung des sozialkonforr*1^ Verhaltens wird allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von komplexe^ Darstellungen psychischer Motivationen oder der Interdependenz zwischen Tug«-’ und Verstand unterminiert — man denke an Rousseaus Julie ou la Nouvelle Hélo1 de Laclos’ Les Liaisons dangereuses, an de Sades Juliette.
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    Der natürliche Mensch und die verdorbene Gesellschaft Berühmt geworden ist Rousseau durch den Discours über die Preisfrage der Akademie von Dijon: Si le rétablissement des sciences et des arts a contribue à épurer ^ moeurs (1750). Zunächst, so führt er aus, stellt sich die moderne Entwicklung der Wissenschaften und Künste, der neuzeitlichen Kultur als ein glanzvolles und großar-llges Schauspiel dar.
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    Er erzählt nicht allein;
    Wenn er in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, angesichts der „Unterdrückung und Misere in unserer Gesellschaftsordnung“, vor allem eine unversöhnliche heroische Tugendhaftigkeit demonstriert – „ich wurde tugendhaft oder wenigstens trunken vor Tugend“ – und sein Verhalten zu seinen Mitmenschen nach rücksichtslos militanten Grundsätzen gestaltet, so läßt er sich nun von der heroisch-erhabenen zu einer realistischeren Haltung herab.
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    H. Dörrie hat auf eine Reihe von Motiven in den 'Heroides’ hingewiesen, die die Verwandtschaft dieser Gattung zum Briefroman zeigen: das Festhalten am Dokumentarischen; die »»vorausgesetzte Intimität« des Briefschreibens; der Brief als Mittel zur Darstellung psychischer Situationen »»liebender Frauen, deren Liebe von äußeren oder inneren Gefahren bedroht ist«, oder das Motiv des Liebesverzichts bzw. der Sublimierung körperlicher Liebe in »»einer im rein Seelischen begründeten Freundschaft«, das zuerst in Alexander Popes ‘Eloisa to Abelard’ (1717) auftaucht und seitdem auf eine Reihe anderer Briefdichtungen wirkt, nicht zuletzt auf die Briefromane Rousseaus und Goethes.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
    Die autobiographisch-apologetischen und meditativen Spätwerke, die alle postum erscheinen, beziehen sich so offenkundig auf berühmte Vorbilder wie Augustinus, Petrarca und Montaigne, dass man von einer Selbstkanonisierung Rousseaus sprechen kann.
    Alexis François und George Havens bewiesen später, daß sich Rousseau bewußt mit seinen Zeitgenossen auseinandergesetzt hatte und besonders von Montesquieu beeinflußt worden war.
    Besonders wichtig ist hierbei die Beziehung zu Montesquieu, denn Rousseau übernahm in den Artikel Musique einen ganzen Abschnitt aus dem Esprit des Lois, in dem die politische und moralische Relevanz der Musik in der Antike erörtert wird.
    Es muß angenommen werden, daß Rousseau zu den ersten Lesern des Esprit des Lois gehörte, denn seine Beiträge zur Encyclopédie, mit denen er im Januar 1749 beschäftigt war (Leigh, 146), zeigen deutliche Spuren dieser Lektüre.
    Er übernahm nicht nur ein Kapitel daraus in seinen Artikel Musique, sondern übte auch Kritik an Montesquieus Theorie vom Einfluß der Musik auf die Sitten eines Volkes.
    Im folgenden soll gezeigt werden, wieweit sich Rousseau hier auf Montesquieu stützt, und welche Bedeutung diese Gedanken für die erste politische Schrift Rousseaus, nämlich für den Discours sur les Sciences et les Arts besitzen.
    Platon, auf den sich Rousseau mehrmals beruft, habe manche Musikarten verdammt, weil sie die Sitten verdürben, und andere gelobt, weil sie die Sitten bewahrten.
    Im umfangreichsten seiner Beiträge, im Artikel Musique, stellt Rousseau diesen Komplex ausführlicher dar, wobei er sich zum Teil eines Montesquieuschen Textes aus dem Esprit des Lois bedient.
    Rousseau übernimmt die Sätze fast wortgetreu aus dem Esprit des Lois.
    Die Bearbeitung des Artikels im Dictionnaire de Musique verrät die Absicht Rousseaus, den Inhalt nicht zu verändern, aber den Stil möglichst zu verfeinern. Doch weisen die geringfügigen Korrekturen daraufhin, daß er die Montesquieusche Diktion schätzte.
    11 references
    H. Dörrie hat auf eine Reihe von Motiven in den 'Heroides’ hingewiesen, die die Verwandtschaft dieser Gattung zum Briefroman zeigen: das Festhalten am Dokumentarischen; die »»vorausgesetzte Intimität« des Briefschreibens; der Brief als Mittel zur Darstellung psychischer Situationen »»liebender Frauen, deren Liebe von äußeren oder inneren Gefahren bedroht ist«, oder das Motiv des Liebesverzichts bzw. der Sublimierung körperlicher Liebe in »»einer im rein Seelischen begründeten Freundschaft«, das zuerst in Alexander Popes ‘Eloisa to Abelard’ (1717) auftaucht und seitdem auf eine Reihe anderer Briefdichtungen wirkt, nicht zuletzt auf die Briefromane Rousseaus und Goethes.
    Die Formulierungen erinnern an Richardson, und es ergeben sich ohne Zweifel Parallelen zu den voluminösen Briefromanen Richardsons, Rousseaus oder Hermes’, die in der minutiösen Selbstdarstellung ihrer Figuren im Zusammenhang detaillierter Schilderungen der äußeren Umstände eine möglichst lückenlose Motivation und Kausalkette zu entwickeln versuchen".
    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präromantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen. Der Hauslehrer Saint-Preux verliebt sich in seine Schülerin Julie, die seine Liebe erwidert. Aus Standesgründen widersetzt sich Julies Vater jedoch der Heirat der beiden Liebenden. Saint-Preux verlässt die Familie und geht nach Paris. Sein englischer Freund, Milord Edouard, versucht vergeblich, Julies Vater umzustimmen. Als Julie auf Wunsch des Vaters M. de Wolmar heiratet, bricht Saint-Preux zu einer Weltreise auf. Vier Jahre später folgt Saint-Preux Wolmars Einladung, zu ihm und seiner Familie – Julie hat inzwischen zwei Kinder -nach Clärens zu kommen. Es gelingt Julie und Saint-Preux, tugendhaft zu bleiben. Bei einem Spaziergang am Genfer See rettet Julie ihr Kind vor dem Ertrinken, stirbt aber wenig später an den Folgen ihres Sprunges in den kalten See. Saint-Preux übernimmt nach ihrem Tod die Erziehung ihrer Kinder. Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Tugend und Leidenschaft, den beide Protagonisten mit allen Höhen und Tiefen durchleben und schließlich in einem Akt höchster Beherrschung zu Gunsten der „vertu“ überwinden. Die sensibilité der Figuren und deren Gefühlskult finden in der Ichform des polyfonen Romans – Richardsons Einfluss ist unverkennbar – ihren adäquaten Ausdruck.
    Der lyrische Ton seiner Confessions, die leidenschaftliche Erzählweise und die entscheidende Rolle der Natur, die enthusiastisch besungen wird, machen Rousseau zum Wegbereiter der Romantik.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    So prekär der Status des Mitleids in Rousseaus Werk auch ist, die von Derrida gegen Starobinskis These von der Exklusivität des Essai mit Wucht vorgetragene Überzeugung, dass durchgehend in Rousseaus Schriften erst die Imagination das 'natürliche' Mitleid in ein den Menschen charakterisierendes Vermögen zu transformieren vermag – „L’imagination est le devenir humain de la pitié“ – besitzt eine erhebliche Erschließungskraft und darf uns als Ausgangspunkt dafür dienen, die vermögensproduktive Funktion der Imagination zu unterstreichen.
    Vorab werden auf dieser Basis die zahlreichen Verknüpfungen zwischen Mitleid, Identifikation und Rollenflexibilität anschließbar, die in dem vorgestellten Passus aus dem Essai ihren Niederschlag finden, im zweiten Discours zwar weitgehend fehlen, im Émile aber fortgeschrieben werden und auch die weiteren Werke Rousseaus durchziehen.
    Ihr Klang wecke in ihnen tiefes Heimweh, die Erinnerung an ihre Jugend und an vergangenes Glück und löse dadurch eine depressive Reaktion aus. «La musique alors n’agit point précisément comme musique, mais comme signe mémoratif.» - Der Unterschied zur Auffassung Montesquieus ist offensichtlich. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Dictionnaire erst 1767 gedruckt wurde, achtzehn Jahre nach dem Entwurf der Artikel für die Encyclopédie. ob die Musik der Griechen besser sei als die moderne Musik.
    Im Vergleich zu Samuel Richardson vertritt Rousseau zweifellos eine andere Vorstellung von Empfindsamkeit.
    Rousseaus Empfindsamkeitskonzeption impliziert damit den Kampf Julies, Raison und Leidenschaft ineinander aufzulösen.
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    Die Formulierungen erinnern an Richardson, und es ergeben sich ohne Zweifel Parallelen zu den voluminösen Briefromanen Richardsons, Rousseaus oder Hermes’, die in der minutiösen Selbstdarstellung ihrer Figuren im Zusammenhang detaillierter Schilderungen der äußeren Umstände eine möglichst lückenlose Motivation und Kausalkette zu entwickeln versuchen".
    Mit dieser im Verlauf des Discours aus der Perspektive der menschlichen Sittlichkeit und Authentizität problematisierten und angesichts der Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit bzw. der in des “citoyen de Genève” Augen desaströsen “Nebenwirkungen” weitgehend revozierten Hymne verweist Rousseau in der Jahrhundertmitte auf zentrale Anliegen und Zielvorstellungen aufklärerischen Denkens und Handelns und auf den Optimismus, der diesem zugrunde liegt:
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
    La Nouvelle Héloïse – drittens – bildet per se die intensivste künstlerische Inszenierung, die Rousseau, in pygmalionesker Manier, von der Leistungskraft der Imagination hinterlassen hat und ist insofern zusammen zu sehen mit der vierten Textgruppe, den autobiographischen Schriften (insbesondere: Les Confessions, Quatre Lettres à Malesherbes, Rêveries), die gemeinsam als zentrales Explorationsfeld der Imagination und des Imaginären zu betrachten sind, wobei vor allem die Rêveries gemeinhin als Höhepunkt einer imaginationsgestützten Annäherung an vollkommenes Glück gelesen werden.
    Im Deuxième Dialogue der späten autobiographischen Schrift Rousseau juge de Jean Jacques (Entstehungszeit 1773/74) finden sich zwei Phasen oder Aspekte der Imaginationsbildung – in unmittelbarer Nähe zueinander – thematisiert.
    Rousseaus Werk Émile, das zugleich Theorie, Fiktion und Erzählung ist, thematisiert die individuelle Menschwerdung, während der etwa gleichzeitig entstandene politische Traktat Du contrat social die kollektive Menschwerdung als Bürger eines aufgeklärten republikanischen Gemeinwesens analysiert.
    Wenn er in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, angesichts der „Unterdrückung und Misere in unserer Gesellschaftsordnung“, vor allem eine unversöhnliche heroische Tugendhaftigkeit demonstriert – „ich wurde tugendhaft oder wenigstens trunken vor Tugend“ – und sein Verhalten zu seinen Mitmenschen nach rücksichtslos militanten Grundsätzen gestaltet, so läßt er sich nun von der heroisch-erhabenen zu einer realistischeren Haltung herab.
    In der autobiographischen Tradition im engeren Sinne stehen Rousseaus die weitere Gattungstradition (Alfieri, Goethe) dominierende Confessions (postum 1782/1788).
    Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
    Durch die multiple Perspektivität der Gattung Briefroman versieht Rousseau seine Charaktere und die von ihnen geschilderten Empfindungen mit einer außerordentlichen „Lebensechtheit“, so stellt also auch die Natürlichkeit der Charaktere und der Handlung eines der grundsätzlichen Paradigmen des Rousseauschen Romans dar.
    Das Ungeschminkte - der sincérité verhaftete Charakteristika, wie Aufrichtigkeit, Offenheit und Authentizität - ist wiederum Teil von Rousseaus Tugendverständnis.
    Das hier zugespitzte Spiel um Authentizität und Fiktion freilich praktizierte Rousseau auf seine Art:
    Dieser doppelte, beständig oszillierende, nie eindeutige Blick, den Rousseau auf Jean-Jacques wirft und auf seine eigene Schrift, wird so zum Parameter jenes Wahrheitsanspruchs, den Rousseau formulierte mit dem Leitspruch seines Lebens und Schreibens:
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    »Philosophisch < verstanden als objektivierende (Richardson), einstimmende (Goethe) kritisch-reflektierende (Rousseau) oder auch ironisch-satirische (Hermes) Haltung des Herausgebers, der in Vorreden, Nachworten oder Eingriffen in den Erzählzusammenhang den Briefwechsel oder die Brieffolge begleitet.
    Der Egalitarismus Mesliers ist ihnen ebenso fremd wie Rousseaus negative Einschätzung des zivilisatorischen Fortschritts und seine scharfe Polemik gegen die Etablierung ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse.
    Höhnisch fordert Rousseau die Mächtigen auf, die Talente zu fördern;
    In seinem ersten bedeutenden Werk, dem Discours sur les sciences et les arts (1750), entwickelt Rousseau seine These, dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nicht – wie gemeinhin von den Aufklärern angenommen – die Sitten verbessere, sondern vielmehr die ursprüngliche und naturgegebene Tugend des Menschen korrumpiere.
    Wegen seiner harschen Kritik erhält Rousseau in diesem Wettbewerb keinen Preis.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern. Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will;
    und selbst die notorisch mit Rousseau assoziierte kulturkritische Polemik gegen eine ausschweifende Imagination ist mehr ein Signum der Zeit als bloß ein Erkennungszeichen seiner eigenen Philosophie.
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    Doch von der Régence an ist die Aufklärung, von Fontenelle, Bayle und anderen vorbereitet, nicht mehr aufruhalten, sowenig sie auch – und zwar von Anfang an – als eine einheitliche Bewegung mit gleichen und gleichbleibenden Zielen zu gelten hat Allein im religionsphilosophischen Bereich fallen eklatante Unterschiede etwa zwischen Atheisten wie dem Curé Meslier, Materialisten wie Diderot und La Mettrie, Deisten wie Voltaire und Vertretern der Gefühlsreligion wie Rousseau auf.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Es stammt von Rousseaus mélodrame Pygmalion (1755), der comédie larmoyante, dem drame bourgeois und dem Schauerroman ab und bezeichnet gegen Ende des 18. Jahrhunderts übertrieben sentimentale und pathetische populäre Rührstücke und Schauerdramen in pittoreskem Ambiente.
    Ihr Klang wecke in ihnen tiefes Heimweh, die Erinnerung an ihre Jugend und an vergangenes Glück und löse dadurch eine depressive Reaktion aus. «La musique alors n’agit point précisément comme musique, mais comme signe mémoratif.» - Der Unterschied zur Auffassung Montesquieus ist offensichtlich. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Dictionnaire erst 1767 gedruckt wurde, achtzehn Jahre nach dem Entwurf der Artikel für die Encyclopédie. ob die Musik der Griechen besser sei als die moderne Musik.
    die Erinnerung an ihre Jugend und an vergangenes Glück und löse dadurch eine depressive Reaktion aus. «La musique alors n’agit point précisément comme musique, mais comme signe mémoratif.» - Der Unterschied zur Auffassung Montesquieus ist offensichtlich. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Dictionnaire erst 1767 gedruckt wurde, achtzehn Jahre nach dem Entwurf der Artikel für die Encyclopédie. ob die Musik der Griechen besser sei als die moderne Musik.
    In seinem letzten, Fragment gebliebenen Text von 1776, Les Rêveries du promeneur solitaire, und dort in der berühmten 5. “Rêverie”, wird Rousseau einer solchen Landschaft, die den “contemplatifs solitaires” sinnliche und besinnliche Reize gewährt, das epochemachende Attribut “romantique” verleihen (R, 1040; vgl. dazu Eigeldinger 1978, 86-93) .
    Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade deshalb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte.
    Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur /’origine et les fondements de l inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloïse verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité” wahren und doch die Stimme der Natur vermitteln, bewahrheiten muß.
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    Obschon seine Überlegungen im Gedankengut der Aufklärung wurzeln, wird Rousseau jedoch durch die Ablehnung des aufklärerischen Fortschrittsoptimismus und vor allem wegen der präromantischen Naturschwärmerei (siehe préromantisme), der Betonung der sensibilité und der Aufwertung des Gefühls gegenüber dem Rationalismus zum erklärten Gegner seiner früheren Freunde.
    Der lyrische Ton seiner Confessions, die leidenschaftliche Erzählweise und die entscheidende Rolle der Natur, die enthusiastisch besungen wird, machen Rousseau zum Wegbereiter der Romantik.
    Mit diesen Lebenserinnerungen begründet Rousseau die Autobiographie (Art. 114), die wegen der Rückbesinnung auf das Ich und die eigene Vergangenheit, der psychologischen Analyse der Gefühle, des Hangs zu Träumereien, Einsamkeit und Naturschwärmerei den Beginn jener als tournant des Lumières bezeichneten Phase (1770 bis 1820/30) markiert, die parallel zur rationalistischen Strömung der Aufklärung entsteht.
    Es sei nicht eindeutig zu erkennen, warum eine Harmonie mehr gefalle als eine Disharmonie, wie man auch nicht erkennen können, warum Grün für die Augen angenehmer sei als Grau, und warum er, Rousseau, den Geruch des Jasmins mehr liebe als den des Klatschmohns.
    Die Vorstellung von einem ursprünglichen Naturzustand, zu dem es für den durch die Zivilisation korrumpierten Menschen zurückzukehren gilt, durchzieht Rousseaus gesamtes Werk.
    Zweifellos schreibt Rousseau der Natur damit ein außerordentliches Potenzial zu,
    Im Vergleich zu Samuel Richardson vertritt Rousseau zweifellos eine andere Vorstellung von Empfindsamkeit. Obwohl durchaus Parallelen zwischen den Konzepten zu verzeichnen sind, decken sich sensibility und sensibilité keinesfalls. Dabei meint das Stichwort Natur das Ausleben eines neuen Naturgefühls.
    Seinen Höhepunkt erreicht Rousseaus Naturdarstellung wie oben bereits beschrieben im vierten Teil des Romans, im Zusammenhang mit dem Ausflug in die Alpenlandschaft am Genfer See. Hier tritt die ganze Wirkungsmacht der Natur zutage:
    Die Intensität aber dieser ganz und gar Zeichenhaften, in die Schrift transponierten Liebe ebenso wie Julies Leben zum Tode hin werden gesteigert in der Wahrnehmung und durch die Wirkungsmacht jener Landschaft, als deren “Erfinder” Rousseau gelten kann, einer Landschaft, die biographischer Ausgangs- und Bezugspunkt mehrerer seiner Schriften ist und die hier Eingang gefunden hat in den Titel des Textes: Lettres de deux amans habitons d'une petite ville au pied des Alpes.
    Die Alpen aber, Kindheits- und Sehnsuchtsort Rousseaus, entfalten sich von der nordfranzösischen Einsiedelei aus zu jenem grandiosen Gemälde erhabener Natur (vgl. bes. Groh: 1991), welches die Korrespondenz von Mensch und Natur beschwört und Rousseau gleichsam zum ersten “Landschaftsmaler” der Literaturgeschichte gemacht hat.
    2 references
    Der lyrische Ton seiner Confessions, die leidenschaftliche Erzählweise und die entscheidende Rolle der Natur, die enthusiastisch besungen wird, machen Rousseau zum Wegbereiter der Romantik.
    Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18. Jahrhunderts auf eine qualitativ neue Stufe heben.
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    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    die Erinnerung an ihre Jugend und an vergangenes Glück und löse dadurch eine depressive Reaktion aus. «La musique alors n’agit point précisément comme musique, mais comme signe mémoratif.» - Der Unterschied zur Auffassung Montesquieus ist offensichtlich. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Dictionnaire erst 1767 gedruckt wurde, achtzehn Jahre nach dem Entwurf der Artikel für die Encyclopédie. ob die Musik der Griechen besser sei als die moderne Musik.
    Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur /’origine et les fondements de l inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloïse verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité” wahren und doch die Stimme der Natur vermitteln, bewahrheiten muß.
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    Aus solchen räumlich betonten Erfahrungen von der Belebtheit der Natur ergibt sich für Rousseau eine direkte Beziehung zu seinen eigenen seelischen Zuständen.
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    Die Macht der stummen Bergwelt, ihrer Weiträumigkeit und Höhe, über die innere Gemütslage des Menschen wird von Rousseau gerade der moralisierenden, rein hirnmäßig ausgerichteten Philosophie gegenüber besonders hervorgehoben und zwar als ein körperliches und geistiges Ganzheitserlebnis.
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    Die Macht der stummen Bergwelt, ihrer Weiträumigkeit und Höhe, über die innere Gemütslage des Menschen wird von Rousseau gerade der moralisierenden, rein hirnmäßig ausgerichteten Philosophie gegenüber besonders hervorgehoben und zwar als ein körperliches und geistiges Ganzheitserlebnis.
    1 reference
    Rousseau ist reiner Romantiker in dieser wesenhaften Reaktivierung des gesamten Ich aus der Natur heraus. Aber als Kind seiner Zeit, als Aufklärer, ist es ihm darum zu tun, die véritable cause seiner Erlebnisse verstandesmäßig zu erfassen:
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    Auch im Émile (1762) verbindet Rousseau didaktische Argumentation und literarische Fiktion.
    In dem weiten Spektrum von pointierten Imaginationstheorien, die im 18. Jahrhundert eruptionsartig Gestalt gewinnen, kommt Rousseaus Vorstellungen über die Funktion und Leistungskraft der Imagination eine markante Sonderstellung zu.
    Zusammen mit den großen Aufklärern von Voltaire bis Samuel Johnson vollzieht er eine Neu-Fokussierung der Imagination in dem Sinne, dass sie als ein natürliches Vermögen gefasst wird, das nicht per se der Pathologisierung unterworfen ist, vielmehr eine gleichsam edukative Zurüstung herausfordert und schließlich, aus aktueller Perspektive gesehen, als Erzeuger eines die Gesellschaft strukturierenden Imaginären zu fungieren vermag.
    Im Einzelnen ist als gemeinsame Schnittmenge auszumachen, dass der Imagination von Rousseau – wie von etlichen seiner Zeitgenossen – nicht mehr nur die Kraft der Rückerinnerung, sondern auch die des Vorgriffs in einen unrealisierten Möglichkeitsraum und also eine neue temporale Dimension zugesprochen wird.
    und selbst die notorisch mit Rousseau assoziierte kulturkritische Polemik gegen eine ausschweifende Imagination ist mehr ein Signum der Zeit als bloß ein Erkennungszeichen seiner eigenen Philosophie.
    La Nouvelle Héloïse – drittens – bildet per se die intensivste künstlerische Inszenierung, die Rousseau, in pygmalionesker Manier, von der Leistungskraft der Imagination hinterlassen hat und ist insofern zusammen zu sehen mit der vierten Textgruppe, den autobiographischen Schriften (insbesondere: Les Confessions, Quatre Lettres à Malesherbes, Rêveries), die gemeinsam als zentrales Explorationsfeld der Imagination und des Imaginären zu betrachten sind, wobei vor allem die Rêveries gemeinhin als Höhepunkt einer imaginationsgestützten Annäherung an vollkommenes Glück gelesen werden.
    Die auffallend ambivalente Besetzung, welche die Imagination in Rousseaus Werk prägt, lässt sich nicht zuletzt historisch verorten:
    Solange die Imagination für Rousseau durch das aus der moralistischen Tradition des 17. Jahrhunderts übernommene Konzept des 'amour-propre' an die negative Anthropologie gebunden bleibt, stehen ihre Äußerungsformen im Vorzeichen von stets drohender Entfremdung und Selbstverfehlung.
    Wirkungsgeschichtlich ist diese Aufwertung des „état fictif“ gegenüber dem „état réel“ äußerst folgenreich nicht zuletzt dadurch geworden, dass Rousseau dieser Position sowohl in Julie ou La Nouvelle Héloïse als auch in den Rêveries eine Schlüsselfunktion zugewiesen hat. Zu der vielleicht bekanntesten Passage seines Romans ist die Feier der Imagination geworden, mit der Julie im berühmten 'chant de cygne' – dem letzten großen Brief, den sie kurz vor ihrem Tod schreibt -gleichsam eine Summe ihrer Lebens- und Liebeserfahrung zieht.
    Nun nämlich erst ist das Fundament dafür geschaffen, in Rousseaus Inszenierung der Imagination einen Vorgriff auf den mit der Romantik einsetzenden Siegeszug der Imagination zu sehen.
    Rousseaus Werk Émile, das zugleich Theorie, Fiktion und Erzählung ist, thematisiert die individuelle Menschwerdung, während der etwa gleichzeitig entstandene politische Traktat Du contrat social die kollektive Menschwerdung als Bürger eines aufgeklärten republikanischen Gemeinwesens analysiert.
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    Dieses Heraustreten aus einer vorgegebenen Ordnung bedeutet eine Verirrung, für die Rousseau das drastische Wort 'monstre' wählt.
    So deutlich er als Manifestation des Eintritts in die Geschichte die Proklamation und Anerkennung von Eigentumsverhältnissen benennt, die Ursachen, die zu diesem Übergang – wie auch zu dem aus dem Naturzustand ins Goldene Zeitalter – geführt haben, werden lediglich als 'Zufälle' bezeichnet, mit dem signifikanten Unterschied allerdings, dass der Erschließung des Goldenen Zeitalters ein „heureux hazard“, dem Eintritt in die Geschichte aber ein „funeste hazard“ zugrunde gelegt wird. So spärlich also die Angaben über die näheren Ursachen sind, die Phänomenologie des Übergangs wird, gerade was die Entwicklung und Aktivierung einzelner Vermögen angeht, sehr intensiv thematisch gemacht. Ausgangspunkt ist dabei die Bestimmung der Qualität, die den beiden – nach der 'perfectibilité' – entscheidenden anthropologischen Grundvermögen, der Selbsterhaltung ('amour de soi') und dem Mitleid ('pitié'), zugesprochen wird: [...] deux principes antérieurs à la raison, dont l’un nous intéresse ardemment à notre bien-être et à la conservation de nous mêmes, et l’autre nous inspire une répugnance naturelle à voir perir ou souffrir tout être sensible et principalement nos semblables. Die Selbstliebe hat dem Mitleid gegenüber eine gleichsam genealogische Priorität, rückt in der hier maßgeblichen Diskussion aber zunächst in den Hintergrund. Entscheidend für uns ist, dass die Imagination, wenn sie auch als Grundvermögen der Selbstliebe und dem Mitleid nachgeordnet ist, ihren ursprünglichen Status bloßer Virtualität zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgibt und – sobald dies geschehen ist – ihre gleichermaßen gestaltgebende und ambivalente Kraft gerade im Einwirken auf die ihr vorgängigen Grundvermögen zur Geltung zu bringen vermag. Dabei steht vorab das Mitleid im Vordergrund des Interesses. Besonders pointiert heißt es im Essai sur l’origine des langues:
    Die für Rousseaus Texte typische Figur der syntaktischsemantischen Klimax, die sich aufblähenden Sätze und die Forcierung des Vokabulars (“émotion ... terreur ... frayeur soudaine ... tremblante et prête à tomber en défaillance; pureté ... dignité ... sainteté”) suggerieren nachhaltig die Magie des Kirchenraums und die zeremonielle Choreographie:
    Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloïse eine “Préface”, und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloïse: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousseau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner Länge und Komplexität erst mit der 2. Auflage veröffentlicht wurde (vgl. J, 7-30, dazu de Man: 1979, 199-210).
    Nie schrieb der wortgewaltige Rousseau lakonischer als es hier Jean-Jacques in seiner ersten Beichte tut, die ihm fast die Worte absterben läßt, um das eine, nie an die Mutter adressierte Wort “maman” in die spätere, durchaus ödipale Liebesbeziehung zu Madame de Warens zu verschieben, die vor allem in Buch 2 und Buch 6 eindringlich geschildert wird.
    4 references
    Sie wird – vermittelt über den Erzieher – von Rousseau unter das doppelte Vorzeichen gestellt, dass „la raison trop nüe“, also alle Formen deklamatorischer Belehrung, weitgehend ins Leere laufen, „la langue des signes qui parlent à l’imagination“ hingegen die Durchdringung und Umbildung des avisierten Gegenstands selbst zu gewährleisten vermag.
    Rousseaus Werk Émile, das zugleich Theorie, Fiktion und Erzählung ist, thematisiert die individuelle Menschwerdung, während der etwa gleichzeitig entstandene politische Traktat Du contrat social die kollektive Menschwerdung als Bürger eines aufgeklärten republikanischen Gemeinwesens analysiert.
    lange nicht-fiktionale essayistische Passagen werden in den Kontext einer Erzählung eingebettet (Rousseau, Sade).
    Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
    2 references
    Ein – in dieser Eindeutigkeit – sicherlich seltenes Beispiel für eine positivierte Perspektive auf den 'amour-propre' findet sich in einem Brief Rousseaus aus dem Jahre 1764, in welchem er seine Adressatin zu überzeugen bestrebt ist, dass der Mensch in sich selbst das Potential eines nicht entfremdeten Lebens trägt:
    Rousseau (Lettre sur la providence, 1756) hält dagegen, das Erdbeben sei eine verhängnisvolle Folge menschlicher Zivilisation und menschlicher Manipulationen an der Natur; er sei nicht bereit, den Trost des Optimismus durch Voltaires Skepsis und Sarkasmus zerstören zu lassen.
    1 reference
    Die autobiographisch-apologetischen und meditativen Spätwerke, die alle postum erscheinen, beziehen sich so offenkundig auf berühmte Vorbilder wie Augustinus, Petrarca und Montaigne, dass man von einer Selbstkanonisierung Rousseaus sprechen kann.
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    In diesem Sinne ist Hans Rudolf Picard Recht zu geben, der in Rousseaus Naturkonzeption ein Humanitätsideal erkennt.
    Zweifellos schreibt Rousseau der Natur damit ein außerordentliches Potenzial zu, er sieht sie gleichsam als Spiegel und Motor empfindsamer Regungen, die inmitten des gesellschaftlichen Lebens manipuliert oder unterdrückt würden.
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    Seitdem Rousseau den Roman zu einem Tendenzwerke ausgestaltet hat, in dem der Autor seine Ansichten über eine Menge von Dingen, Vorgängen, Verhältnissen des Lebens äussert und seinen Lesern beizubringen sucht, fühlt sich denn auch jeder, der einen Roman schreibt, zum Lehrer der Menschheit berufen.
    Rousseau gibt seinem Roman einen offen aufklärerischen Sinn:
    Niemand anderer als Jean-Jacques Rousseau – jener Aufklärer, der als einer der schärfsten Kritiker der “philosophes” à la Voltaire zu gelten hat und der früh die Widersprüche der bürgerlichen Aufklärung offenlegte – gibt zu Beginn seines Discours sur les sciences et les arts von 1750 eine der besten zeitgenössischen Definitionen der gesamteuropäischen Aufklärung und damit des programmatischen Selbstverständnisses einer Epoche, die sich schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts daran gewöhnt hat, sich stolz und selbstbewußt als das “siècle des lumières” und als “siècle éclairé” zu benennen.
    Er zitiert damit metaphernreich – in mehrfacher Variation der aufklärerischen Lichtmetaphorik – die Idee des philosophischen und (natur)wissenschaftlichen Fortschritts und benennt nicht zuletzt das letzte und oberste anthropologische Ziel der aufklärerisch-kritischen Bemühungen: die Selbsterkenntnis des Menschen und seiner Bestimmung.
    Auch wenn Rousseau selbst, der in der besprochenen Passage seines Discours die vernunftgestützte Aufklärung nur zitiert, um sie besser in Frage stellen zu können, einen wesentlich anderen Weg zum Glück der Menschheit empfiehlt: Fortschritt durch die Aktivierung der von Vorurteilen befreiten, kritischen Ratio und auf der Basis einer kaum ernstlich in Frage gestellten geistigen und moralischen Perfektibilität des Menschen (Toleranz und Würde des Menschen, “égalité”-Denken, Freiheit des Individuums usw.), dies ist der Leitgedanke des aufklärerischen Humanismus, der auch in den äußerst zahlreichen pädagogischen Schriften des 18. Jahrhunderts dominiert.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
    Rousseau ist reiner Romantiker in dieser wesenhaften Reaktivierung des gesamten Ich aus der Natur heraus. Aber als Kind seiner Zeit, als Aufklärer, ist es ihm darum zu tun, die véritable cause seiner Erlebnisse verstandesmäßig zu erfassen:
    Von zentraler Bedeutung für die Aufklärung ist die Anthropologie, die einen starken Akzent auf die vergleichende Ethnologie setzt (der zivilisierte Mensch im Gegensatz zum ›barbare‹ oder zum ›bon sauvage‹) und mit neuem Interesse das Rätsel der Sprachentstehung zu lösen versucht (wie in den Sprachentstehungstheorien bei Condillac oder Rousseau).
    Dabei propagiert Rousseau eine natürliche Religion in dem Einschub:
    Rousseaus Erziehungskonzept will die guten Anlagen des Kindes fördern, um dessen moralische und natürliche Freiheit zu garantieren.
    Gleichwohl liegt es aus heuristischen Gründen nahe, die von Rousseau freigesetzte Imaginationsproblematik im Rekurs auf vier zentrale Gruppierungen seiner Schriften zu erörtern: So sind erstens die Arbeiten über den hypothetischen Ursprung der Gesellschaft (Discours sur l’inégalité, Essai sur l’origine des langues) – bei aller internen Spannung – sicherlich als Einheit zu sehen, sind sie doch geeignet, eine anthropologische und kulturkritische Perspektive im Vorzeichen der Imagination vor Augen zu führen; zweitens wird man den Émile zusammen mit etlichen der großen politischen Schriften im wörtlichen Sinn als Erziehungsroman bzw. -traktat in dem Sinne lesen, dass im Ringen um eine soziale Fruchtbarmachung der Imagination Rousseau die Kräfte der Mäßigung sammelt, die, wenn auch verstreut, sein ganzes Werk entscheidend mitprägen.
    Sie wird – vermittelt über den Erzieher – von Rousseau unter das doppelte Vorzeichen gestellt, dass „la raison trop nüe“, also alle Formen deklamatorischer Belehrung, weitgehend ins Leere laufen, „la langue des signes qui parlent à l’imagination“ hingegen die Durchdringung und Umbildung des avisierten Gegenstands selbst zu gewährleisten vermag.
    Rousseau trat unter anderem hervor als Verfasser der beiden berühmten kulturkritischen Discours, eines romanartigen Erziehungstraktats (Émile), von musiktheoretischen Schriften und von Encyclopédie-Artikeln, einer staatstheoretischen Schrift (Du contrat social), eines empfindsamen Briefromans (Julie, ou La Nouvelle Héloïse) und autobiographischer Texte (Les confessions, Rousseau juge de Jean-Jacques, Les rêveries du promeneur solitaire).
    Während die großen Autoren des 17. Jahrhunderts (etwa Descartes oder Leibniz) ihr Wissen vornehmlich unter ihresgleichen publik machten und daher teilweise noch auf Lateinisch schrieben, wollen ihre Nachfolger im 18. Jahrhundert (Montesquieu, Voltaire, Diderot, Rousseau) das Wissen allgemein verfügbar machen.
    Auch im Émile (1762) verbindet Rousseau didaktische Argumentation und literarische Fiktion.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours, seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer ›Selbstaufklärung der Aufklärung‹.
    In seinem Erziehungstraktat und Erziehungsroman Émile beschreibt er, der Analogie von Menschheitsgeschichte und individueller Entwicklung folgend, eine exemplarische Bildungsbiographie des fiktiven Jungen Émile, dem er später eine Gefährtin namens Sophie zur Seite stellt: die exemplarische Erziehung des individuellen natürlichen Menschen zur Zivilisation.
    Es soll darum hier an Rousseaus musiktheoretischen Beiträgen zur Encyclopédie gezeigt werden, welches Verhältnis zu den Künsten und Wissenschaften er vor dem Vincennes-Erlebnis hatte, jedoch ohne auf seine (erst viel später entstandenen) autobiographischen Schriften zurückzugreifen.
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    Er erzählt nicht allein; er will belehren und aufklären.
    Ihre ideologischen und künstlerischen Kulminationspunkte werden wir bei Rousseau und Diderot finden. Diese Wende ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß jetzt die Romane und Erzählungen zielgerichtet die Propagierung einer vorgestellten bürgerlichen Moral übernehmen.
    Bernardin folgt hierbei den Grundsätzen Rousseaus, wonach sich der Mensch aus dem Abgrund seines verbildeten Wesens, nur durch einen Akt äußerster Konzentration seiner moralischen Kräfte erheben kann.
    Er hält die Vertreter des enzyklopädistischen Flügels der Aufklärung für moralisch unglaubwürdig.
    Rousseaus Anliegen besteht nicht darin, den Menschen zum Genuß aller irdischen Güter zu verhelfen, sondern er will sie in die Lage versetzen, ihre Würde als Menschen zurückzugewinnen.
    Rousseaus Anliegen, durch ein hohes moralisches Bewußtsein geprägte Menschen in ihren alltäglichen bürgerlichen Verhältnissen zu zeigen und damit ein verbindliches Leitbild für die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft zu geben, hat auch insofern Konsequenzen für seinen Roman, als er keine „romanesken“ äußeren Verwicklungen benötigt.
    Diese Position vertritt auch Rousseau, der in „Emile ou De l'éducation” (1762) den Geschmack als fundamentale moralische Urteilsinstanz definiert und das Geschmacksurteil als Folge von Erfahrungsaustausch und gesellschaftlicher Prägung betrachtet.
    Der Kampf gegen Vorurteile und Intoleranz im Namen der raison einerseits und die Aufwertung des sentiment andererseits sind die Koordinaten des Romans der zweiten Jahrhunderthälfte, die Rousseau bereits 1761 mit „Julie ou La nouvelle Héloïse“ zugunsten eines culte du moi verschiebt.
    Auch wenn Rousseau selbst, der in der besprochenen Passage seines Discours die vernunftgestützte Aufklärung nur zitiert, um sie besser in Frage stellen zu können, einen wesentlich anderen Weg zum Glück der Menschheit empfiehlt: Fortschritt durch die Aktivierung der von Vorurteilen befreiten, kritischen Ratio und auf der Basis einer kaum ernstlich in Frage gestellten geistigen und moralischen Perfektibilität des Menschen (Toleranz und Würde des Menschen, “égalité”-Denken, Freiheit des Individuums usw.), dies ist der Leitgedanke des aufklärerischen Humanismus, der auch in den äußerst zahlreichen pädagogischen Schriften des 18. Jahrhunderts dominiert.
    Doch von der Régence an ist die Aufklärung, von Fontenelle, Bayle und anderen vorbereitet, nicht mehr aufruhalten, sowenig sie auch – und zwar von Anfang an – als eine einheitliche Bewegung mit gleichen und gleichbleibenden Zielen zu gelten hat Allein im religionsphilosophischen Bereich fallen eklatante Unterschiede etwa zwischen Atheisten wie dem Curé Meslier, Materialisten wie Diderot und La Mettrie, Deisten wie Voltaire und Vertretern der Gefühlsreligion wie Rousseau auf.
    Die Macht der stummen Bergwelt, ihrer Weiträumigkeit und Höhe, über die innere Gemütslage des Menschen wird von Rousseau gerade der moralisierenden, rein hirnmäßig ausgerichteten Philosophie gegenüber besonders hervorgehoben und zwar als ein körperliches und geistiges Ganzheitserlebnis.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    Rousseau und Sophie von La Roche beziehen sich sowohl in der Wahl der Briefform als auch des Motivs der verfolgten Tugend auf ihren Vorgänger.
    Unabhängig von der Frage, mit welchen Mitteln er seinen Lebensunterhalt stattdessen bestreitet, wird die Haltung, laut der sich ein tugendhafter Mensch insbesondere dadurch auszeichnet, nicht käuflich zu sein, von Rousseau grundsätzlich unterstützt.
    Obschon ich Firges Auffassung von Rousseaus bipolarem Denkstil grundsätzlich zustimme, liegt m. E. mit dem Begriffspaar Tugend/Leidenschaft lediglich eine scheinbare Opposition vor.
    Im Vergleich zu Samuel Richardson vertritt Rousseau zweifellos eine andere Vorstellung von Empfindsamkeit. Obwohl durchaus Parallelen zwischen den Konzepten zu verzeichnen sind, decken sich sensibility und sensibilité keinesfalls. Aufgrund der vorangehenden Analyse lassen sich Natur, Tugend und Leidenschaft als zentrale Komponenten des französischen Entwurfs einer gefühlszentrierten Weltanschauung ableiten.
    Das Ungeschminkte - der sincérité verhaftete Charakteristika, wie Aufrichtigkeit, Offenheit und Authentizität - ist wiederum Teil von Rousseaus Tugendverständnis.
    Rousseaus Tugendbegriff weicht insofern stark von dem Richardsons ab, als letzterer durch die Figur der Clarissa Tugend mit sexueller Unberührtheit gleichsetzt und damit gesellschaftlich hergebrachte Moralvorstellungen goutiert, während Rousseau mit Julie eine Heldin zeichnet, der trotz ihrer sexuellen Erfahrung das Prädikat „tugendhaft“ anhaftet.
    Rousseaus Romanheldin sieht sich insbesondere den konfligierenden Ansprüchen ihrer individuellen Leidenschaft und der ständestaatlichen Moral ausgesetzt.
    Solange die Imagination für Rousseau durch das aus der moralistischen Tradition des 17. Jahrhunderts übernommene Konzept des 'amour-propre' an die negative Anthropologie gebunden bleibt, stehen ihre Äußerungsformen im Vorzeichen von stets drohender Entfremdung und Selbstverfehlung.
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
    denn Rousseau übernahm in den Artikel Musique einen ganzen Abschnitt aus dem Esprit des Lois, in dem die politische und moralische Relevanz der Musik in der Antike erörtert wird.
    Er übernahm nicht nur ein Kapitel daraus in seinen Artikel Musique, sondern übte auch Kritik an Montesquieus Theorie vom Einfluß der Musik auf die Sitten eines Volkes.
    Montesquieu hebt die moralische Funktion der Musik hervor, und auch Rousseau referiert in mehreren Artikeln die Auffassung der Griechen von der Bedeutung der Musik für die Erhaltung und Besserung der Sitten.
    Platon, auf den sich Rousseau mehrmals beruft, habe manche Musikarten verdammt, weil sie die Sitten verdürben, und andere gelobt, weil sie die Sitten bewahrten.
    In den Artikeln über Musik beantwortete Rousseau die Frage nach dem sittlichen Einfluß der Musik (als Teildisziplin der Künste und Wissenschaften) noch nicht explizit,
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    H. Dörrie hat auf eine Reihe von Motiven in den 'Heroides’ hingewiesen, die die Verwandtschaft dieser Gattung zum Briefroman zeigen: das Festhalten am Dokumentarischen; die »»vorausgesetzte Intimität« des Briefschreibens; der Brief als Mittel zur Darstellung psychischer Situationen »»liebender Frauen, deren Liebe von äußeren oder inneren Gefahren bedroht ist«, oder das Motiv des Liebesverzichts bzw. der Sublimierung körperlicher Liebe in »»einer im rein Seelischen begründeten Freundschaft«, das zuerst in Alexander Popes ‘Eloisa to Abelard’ (1717) auftaucht und seitdem auf eine Reihe anderer Briefdichtungen wirkt, nicht zuletzt auf die Briefromane Rousseaus und Goethes.
    Die Formulierungen erinnern an Richardson, und es ergeben sich ohne Zweifel Parallelen zu den voluminösen Briefromanen Richardsons, Rousseaus oder Hermes’, die in der minutiösen Selbstdarstellung ihrer Figuren im Zusammenhang detaillierter Schilderungen der äußeren Umstände eine möglichst lückenlose Motivation und Kausalkette zu entwickeln versuchen".
    Die sensualistische Begründung des sozialkonformen Verhaltens wird allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von komplexeren Darstellungen psychischer Motivationen oder der Interdependenz zwischen Tugend und Verstand unterminiert- man denke an Rousseaus Julie ou La Nouvelle Héloïse, de Laclos’ Les Liaisons dangereuses, an de Sades Juliette.
    Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
    Die Korrespondenz von Naturstimmung und Seelenstimmung, die er immer wieder ins Licht setzt, weist voraus in die Romantik, und sie ist Medium und Motor der erzählten Geschichte. Während nämlich einerseits die Unbezwingbarkeit der Berge die Passion der Liebenden spiegelt, repräsentiert andererseits der Garten jene sentimentalische Idylle, um die Julie nach ihrer Heirat kämpft und die Saint-Preux bildverloren bestätigt.
    Aus solchen räumlich betonten Erfahrungen von der Belebtheit der Natur ergibt sich für Rousseau eine direkte Beziehung zu seinen eigenen seelischen Zuständen.
    In Frankreich markiert Rousseaus Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) den Höhepunkt der Gattung des empfindsamen Briefromans.
    Rousseau gewährt seinem Publikum einen tiefen Einblick in seine Persönlichkeit im Laufe der schonungslosen Analyse seiner Psyche und der Preisgabe seines Inneren mit aller Größe, aber auch mit allen Schwächen (maßloser Ehrgeiz und Geltungssucht, gepaart mit Schüchternheit, Ängsten und Komplexen).
    Erneut offenbart und analysiert er seine Gefühlswelt.
    Mit diesen Lebenserinnerungen begründet Rousseau die Autobiographie (Art. 114), die wegen der Rückbesinnung auf das Ich und die eigene Vergangenheit, der psychologischen Analyse der Gefühle, des Hangs zu Träumereien, Einsamkeit und Naturschwärmerei den Beginn jener als tournant des Lumières bezeichneten Phase (1770 bis 1820/30) markiert, die parallel zur rationalistischen Strömung der Aufklärung entsteht.
    Obschon ich Firges Auffassung von Rousseaus bipolarem Denkstil grundsätzlich zustimme, liegt m. E. mit dem Begriffspaar Tugend/Leidenschaft lediglich eine scheinbare Opposition vor.
    Im Vergleich zu Samuel Richardson vertritt Rousseau zweifellos eine andere Vorstellung von Empfindsamkeit. Obwohl durchaus Parallelen zwischen den Konzepten zu verzeichnen sind, decken sich sensibility und sensibilité keinesfalls. Aufgrund der vorangehenden Analyse lassen sich Natur, Tugend und Leidenschaft als zentrale Komponenten des französischen Entwurfs einer gefühlszentrierten Weltanschauung ableiten.
    Rousseaus Empfindsamkeitskonzeption impliziert damit den Kampf Julies, Raison und Leidenschaft ineinander aufzulösen.
    Insofern vertritt Rousseau eine relativ starre Vorstellung von Liebe, innerhalb derer nur zwei einander konträr gegenüberstehende Modelle existieren, der amour passion und die Vernunftehe.
    Rousseaus Romanheldin sieht sich insbesondere den konfligierenden Ansprüchen ihrer individuellen Leidenschaft und der ständestaatlichen Moral ausgesetzt.
    Die erfolgte Betrachtung prominenter Romane des 18. Jahrhunderts, Richardsons Clarissa, or the History of a Young Lady, Rousseaus Julie ou La Nouvelle Héloïse und La Roches Geschichte des Fräuleins von Sternheim, lässt den Schluss zu, dass der gynozentrische Roman vor 1800 die Opposition von Verstand und Gefühl zwar durchaus thematisiert, seine Heldinnen diesen Widerspruch aber nicht zur Gänze ausagieren lässt.
    Rousseau trat unter anderem hervor als Verfasser der beiden berühmten kulturkritischen Discours, eines romanartigen Erziehungstraktats (Émile), von musiktheoretischen Schriften und von Encyclopédie-Artikeln, einer staatstheoretischen Schrift (Du contrat social), eines empfindsamen Briefromans (Julie, ou La Nouvelle Héloïse) und autobiographischer Texte (Les confessions, Rousseau juge de Jean-Jacques, Les rêveries du promeneur solitaire).
    Der ganze Aufwand, den Rousseau im V. Buch des Émile betreibt, zielt darauf, die Einheit von Liebe und Passion in einer die Unbeständigkeit der Passion überdauernden Ehe zu stiften.
    Rousseau wirft den Theoretikern vor, sich auf unbewiesene Behauptungen zu stützen und darüberhinaus die daraus gezogenen Folgerungen zu manipulieren. Später findet er eine andere, subtilere Erklärung, die zwar die Relativierungen der Encyclopedisten aufnimmt und konsequent weiterführt, aber doch in eine Art psychologischer Individualreaktion zurückfällt. Im Dictionnaire de Musique entwickelt er seine Vorstellungen von der Gewalt der Musik am Beispiel des Schweizer Kuhreigens. Ihr Klang wecke in ihnen tiefes Heimweh,
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    »Philosophisch < verstanden als objektivierende (Richardson), einstimmende (Goethe) kritisch-reflektierende (Rousseau) oder auch ironisch-satirische (Hermes) Haltung des Herausgebers, der in Vorreden, Nachworten oder Eingriffen in den Erzählzusammenhang den Briefwechsel oder die Brieffolge begleitet.
    Niemand anderer als Jean-Jacques Rousseau – jener Aufklärer, der als einer der schärfsten Kritiker der “philosophes” à la Voltaire zu gelten hat und der früh die Widersprüche der bürgerlichen Aufklärung offenlegte – gibt zu Beginn seines Discours sur les sciences et les arts von 1750 eine der besten zeitgenössischen Definitionen der gesamteuropäischen Aufklärung und damit des programmatischen Selbstverständnisses einer Epoche, die sich schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts daran gewöhnt hat, sich stolz und selbstbewußt als das “siècle des lumières” und als “siècle éclairé” zu benennen.
    Mit dieser im Verlauf des Discours aus der Perspektive der menschlichen Sittlichkeit und Authentizität problematisierten und angesichts der Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit bzw. der in des “citoyen de Genève” Augen desaströsen “Nebenwirkungen” weitgehend revozierten Hymne verweist Rousseau in der Jahrhundertmitte auf zentrale Anliegen und Zielvorstellungen aufklärerischen Denkens und Handelns und auf den Optimismus, der diesem zugrunde liegt:
    Rousseau, der seinerseits zur Reintegration der Natur in die Zivilisation – nicht aber zum “retour à la nature” – auffordert, formuliert damit die Grundidee der Aufklärung als fortwährende Tat des autonomen und autarken Menschen, der keiner numinosen Hilfe bedarf, sondern kraft eigener Potenzen, wie ein Riese, die ihm von der Tradition gesetzten Grenzen zu überschreiten vermag.
    Er zitiert damit metaphernreich – in mehrfacher Variation der aufklärerischen Lichtmetaphorik – die Idee des philosophischen und (natur)wissenschaftlichen Fortschritts und benennt nicht zuletzt das letzte und oberste anthropologische Ziel der aufklärerisch-kritischen Bemühungen: die Selbsterkenntnis des Menschen und seiner Bestimmung.
    Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert.
    Die Macht der stummen Bergwelt, ihrer Weiträumigkeit und Höhe, über die innere Gemütslage des Menschen wird von Rousseau gerade der moralisierenden, rein hirnmäßig ausgerichteten Philosophie gegenüber besonders hervorgehoben und zwar als ein körperliches und geistiges Ganzheitserlebnis.
    In die Hochaufklärung fallen zentrale Schriften Diderots, Rousseaus, Turgots, d’Alemberts, Helvétius’ und so bedeutende Einzelwerke wie Voltaires Candide (1759).
    In Rousseaus Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) zeigt sich deutlich, wie Bukolik und Utopie einander überlagern.
    Erst nach der empirischen Erfahrung und Beobachtung der Umwelt gemäß der philosophischen Lehre des Sensualismus (s. S. 21) darf der Zögerling an abstrakte moralische und religiöse Vorstellungen herangeführt werden. Dabei propagiert Rousseau eine natürliche Religion in dem Einschub:
    Neben der ideologischen Umarbeitung klassischer Stücke von Corneille, Racine oder Molière entstehen in den ersten Jahren der Revolution außerdem Dramen, in denen große Denker der Aufklärung – z. B. Voltaire, Rousseau – oder die negativen Seiten des Ancien Régime dargestellt werden wie in Lemierre d'Argys Calas ou Le fanatisme (1790), Layas Jean Calas (1790) und schließlich lean Calas ou L’école des luges (1791) von Marie-Joseph Chénier (zur Affaire Calas s. Autorenportrait Voltaire).
    Vor allem ist es aber die „Encyclopédie“, die unter der Leitung von Diderot und d’Alembert ab 1750 erscheint und zum Symbol der Aufklärung wird. Für die Mitarbeit können die beiden Herausgeber so berühmte Autoren wie Voltaire, Montesquieu, Rousseau, Marmontel, d’Holbach sowie den Ökonomen Quesnay gewinnen.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.
    und selbst die notorisch mit Rousseau assoziierte kulturkritische Polemik gegen eine ausschweifende Imagination ist mehr ein Signum der Zeit als bloß ein Erkennungszeichen seiner eigenen Philosophie.
    Solange die Imagination für Rousseau durch das aus der moralistischen Tradition des 17. Jahrhunderts übernommene Konzept des 'amour-propre' an die negative Anthropologie gebunden bleibt, stehen ihre Äußerungsformen im Vorzeichen von stets drohender Entfremdung und Selbstverfehlung.
    Im Folgenden soll die aus dieser Wechselwirkung resultierende Begegnung von Literatur und Wissenschaft (beziehungsweise Philosophie) anhand zweier zentraler Autoren des französischen 18. Jahrhunderts beispielhaft etwas genauer untersucht werden: Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot.
    Denn Rousseaus negative Antwort auf die Preisfrage wirkt wie ein Paukenschlag in der république des lettres. Damit nimmt der aus Genf stammende Außenseiter ganz bewusst eine Gegenposition zur herrschenden Meinung des Jahrhunderts der Aufklärung und des Glaubens an den Fortschritt ein.
    Wenn Rousseaus Denken die Grenzen der binären Logik überschreitet, so korreliert dies mit dem Status seiner Texte, in denen sich philosophisch-wissenschaftliche mit literarisch-fiktionalen Darstellungsmodi verschränken.
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours, seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer ›Selbstaufklärung der Aufklärung‹.
    Diese Abhandlungen beschränkten sich allerdings auf die Untersuchung der philosophisch-politischen Arbeiten Rousseaus und berücksichtigten kaum seine Schriften vor dem „ersten“ Werk.
    Rousseau war schon vor dem Erlebnis von Vincennes ein scharfsinniger Kritiker der Systèmes, deren Anspruch auf eine vollständige Erklärung der Welt er zurückwies, indem er - als echtes Kind der Aufklärung - zeigte, daß sich ihre Behauptungen auf unbewiesene und sogar unbeweisbare Vermutungen gründeten.
    Rousseau nahm das Problem auf, behandelte sehr ausführlich seine materiellen Voraussetzungen - die Wirkung der Musik -, ging aber nicht auf die moralischen Konsequenzen ein. Der soziale Aspekt der Musik ist auch später für ihn unwichtig, denn sein politisch-philosophisches Denkmodell setzt einen Staat von emanzipierten Bürgern voraus, in dem ein solcher Faktor keine sozialen Funktionen mehr erfüllen kann.
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    In den natürlichen Romanen, wie denen Rousseaus, Richardsons, Marmontels und La Bretonnes, ist sic immer wahrheitsgetreu.
    Alle Romane der Männer, die ich soeben angeführt habe, sind also historisch.
    Rousseau möchte damit den Wirklichkeitsbezug unterstreichen.
    Mit der politisch-moralischen Wandlung zu einer realistischeren Einstellung ändert Rousseau auch seinen literarischen Stil; greift er zum Genre des Romans:
    Die eigentliche Blütezeit der Aufklärung, die Zeit, in welcher Voltaire und sein Antipode Rousseau sich um die Führerschaft der aufgeklärten und halbaufgeklärten Welt stritten, beginnt erst nach den Jahren, welche Raynal’s Korrespondenz schildert.
    Gleichwohl liegt es aus heuristischen Gründen nahe, die von Rousseau freigesetzte Imaginationsproblematik im Rekurs auf vier zentrale Gruppierungen seiner Schriften zu erörtern: So sind erstens die Arbeiten über den hypothetischen Ursprung der Gesellschaft (Discours sur l’inégalité, Essai sur l’origine des langues) – bei aller internen Spannung – sicherlich als Einheit zu sehen, sind sie doch geeignet, eine anthropologische und kulturkritische Perspektive im Vorzeichen der Imagination vor Augen zu führen;
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
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    Die Fragwürdigkeit einer derartigen Interpretation wird bereits deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Rousseau 1762, ein Jahr nach dem Erscheinen der Nouvelle Héloïse, den Contrat social („Gesellschaftsvertrag“) veröffentlicht und auch in späteren Arbeiten, wie in den Lettres sur la législation de la Corse (1764; „Briefe über die Verfassung Korsikas“) und in den Considérations sur le gouvernement de Pologne (1772; „Betrachtungen über die Regierung Polens“), erneut politische Reformprogramme entwickelt.
    Die moralisch-politische Grundlage des Staats der freien und gleichen Bürger wird von Rousseau im Contrat social (1762; „Gesellschaftsvertrag“) herausgearbeitet. (Vgl. Kap. VIII.)
    Die bürgerliche Aufklärung hat — so kann man vielleicht die sehr kontrovers geführte Diskussion der Forschung deshalb synthetisieren – zwar einen grundlegenden Mentalitätswandel bewirkt und den weiteren faktischen und ideologischen Verlauf der Französischen Revolution wesentlich instrumentiert – man denke nur an die Umsetzung von Montesquieus Konzept von der Gewaltenteilung in der Verfassungsgebung oder den Einfluß von Rousseaus Staatslehre (Volkssouveränität, Gleichheitsidee) vor allem auf die radikaleren republikanischen Positionen.
    Auch die europaweit einflussreichsten Hauptwerke der französischen politischen Philosophie des 18. Jh.s, Montesquieus De l’esprit des lois (1748) und Rousseaus Du contrat social (1762), sind dieser Zeit zuzurechnen.
    Damit wendet Rousseau sich dezidiert gegen die Vorstellung, die soziale Ungerechtigkeit sei gott- oder naturgegeben.
    In dem romanhaften Erziehungstraktat Emile ou De l'éducation (1762) führt Rousseau, wie oben angedeutet, seine philosophischen und politischen Überlegungen zu einer Synthese.
    In vier Büchern entwickelt Rousseau die Idee eines Gesellschaftsvertrags, demzufolge jeder Mensch als Teil der Gesellschaft und nach freiem Willen einem Herrscher die Aufgabe überträgt, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zu garantieren.
    In zehn Spaziergängen lässt der einsame und von der Gesellschaft abgelehnte Rousseau seine Erinnerungen an glückliche Momente seines Lebens, seine moralphilosophischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen sowie seine Empfindungen, etwa für die Natur, Revue passieren.
    In seinem Briefroman Le paysan perverti (1775) spielt Rétif auf die eigene Biografie, aber auch auf Marivaux' Roman Le paysan parvenu, Richardsons Briefromane und Rousseaus Zivilisationskritik an:
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern.
    Bis zu seinem Zerwürfnis mit den Enzyklopädisten in den Jahren 1756 bis 1758 und wegen seiner harschen Kritik an den Mißständen des Ancien Régime gehört Rousseau einerseits zu den Aufklärern. Andererseits finden sich jedoch bereits in seinem ersten bedeutenden zivilisationskritischen Werk, dem „Discours sur les sciences et les arts“ (1750), deutliche Zweifel am Fortschrittsoptimismus der Aufklärer, den er im „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755) erneut beweisen will;
    Ebenfalls 1762 publiziert Rousseau seine staatstheoretische Abhandlung „Du contrat social“.
    In diesem Werk, das zu den Hauptwerken der Aufklärung zählt, entwickelt Rousseau das Konzept eines Gesellschaftsvertrages, das in der Folgezeit eine kaum zu überschätzende Wirkung auf die demokratische Verfassung der Revolution und aller modernen Staaten ausübt.
    Gegen diese Vorwürfe hat Rousseau sich von Anfang an zur Wehr gesetzt, und in dieser Argumentationslinie findet sich die zweite, konträre Antwort auf die oben gestellte Frage: Man solle sich davor hüten, die Bibliotheken zu verbrennen und die Universitäten und Akademien zu zerstören, weil dadurch Europa in den Zustand der Barbarei versetzt werde, nicht aber der verlorene Naturzustand wiederhergestellt werden könne:
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.
    Es gibt gute Gründe, Rousseaus Gesamtwerk von seinem zweiten Discours, seiner Zivilisationstheorie und Geschichtsphilosophie, her zu lesen, einem Text, den er selbst für seinen radikalsten hält. Die so unterschiedlichen Diskurstypen seiner Werke, seine politische Theorie, Erziehungstheorie, Religionsphilosophie, seine literarischen und autobiographischen Schriften lassen sich aus dieser Perspektive schlüssig als Verzweigungen einer einheitlichen Grundintention darstellen.
    Rousseaus Staatstheorie ist republikanisch bzw. basisdemokratisch angelegt.
    Diese Abhandlungen beschränkten sich allerdings auf die Untersuchung der philosophisch-politischen Arbeiten Rousseaus und berücksichtigten kaum seine Schriften vor dem „ersten“ Werk.
    denn Rousseau übernahm in den Artikel Musique einen ganzen Abschnitt aus dem Esprit des Lois, in dem die politische und moralische Relevanz der Musik in der Antike erörtert wird.
    Im folgenden soll gezeigt werden, wieweit sich Rousseau hier auf Montesquieu stützt, und welche Bedeutung diese Gedanken für die erste politische Schrift Rousseaus, nämlich für den Discours sur les Sciences et les Arts besitzen.
    Rousseau nahm das Problem auf, behandelte sehr ausführlich seine materiellen Voraussetzungen - die Wirkung der Musik -, ging aber nicht auf die moralischen Konsequenzen ein. Der soziale Aspekt der Musik ist auch später für ihn unwichtig, denn sein politisch-philosophisches Denkmodell setzt einen Staat von emanzipierten Bürgern voraus, in dem ein solcher Faktor keine sozialen Funktionen mehr erfüllen kann.
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    Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
    Im Zusammenhang mit der Überwindung ständischem Denkens ist auch Rousseaus Kritik am französischen Theater zu sehen, der ein ganzer Brief seiner Nouvelle Héloïse gewidmet ist.
    Er greift insbesondere von seinem Standpunkt aus Werke an, in denen „das Landvolk nichts gilt“, jene Autoren, in deren „Erzählungen, Romanen, Theaterstücken alles die Provinzler aufs Korn nimmt, alles die Einfachheit der ländlichen Sitten verspottet, alles die Manieren und Vergnügen der vornehmen Welt predigt“.
    Doch geht es ihm auch in diesem Werk nicht in erster Linie darum – wie es etwa noch bei Marivaux und Prévost der Fall war –, ein umfassendes Sittenbild der Zeit mit einem vorwiegend kritischen Akzent zu gestalten.
    Aufgrund seiner Studien der Regierungsformen und der Gesellschaft kommt Rousseau zu einer pointiert negativen Einschätzung des gegenwärtigen Daseins der Menschen.
    Rousseau bricht diese ideologische Perspektive mit einer totalen Kulturkritik auf.
    Rousseaus Angriff richtet sich nicht mehr ausschließlich gegen die Feudalhierarchie, sondern gegen die Reichen überhaupt;
    Rousseau möchte in dem Menschen, der bereits durch Erziehung, Sitten und den falschen Verlauf der Vergesellschaftung depraviert ist, das Naturgegebene, Ursprüngliche vom Künstlichen unterscheiden, das die Zivilisation hinzugefügt hat. Er weiß, daß dieser Versuch schwierig und problematisch ist, denn der ursprüngliche Zustand der menschlichen Gattung ist in weite Feme gerückt, historisch kaum mehr zu verifizieren. Trotzdem müsse es versucht werden, »sichere und unveränderliche Prinzipien« der menschlichen Natur, ihre vorzivilisatorische, »himmlische und erhabene Einfachheit« festzuhalten (Discours sur l’origine de l’inégalité, S. 34). Der Naturzustand, der »nicht mehr besteht, der vielleicht nicht bestanden hat, der wahrscheinlich niemals bestehen wird« (ebd., S. 35), wird nicht dargestellt, um die Menschheitsgeschichte und die politischen Institutionen zu legitimieren, sondern um den Prozeß der Vergesellschaftung grundsätzlich zu kritisieren und in Frage zu stellen.
    Indem Rousseau diese besondere menschliche Eigenschaft festhält, vermag er die Unterwerfung des Menschen unter ungleiche Besitzverhältnisse, den unwürdigen versklavenden Gesellschaftsvertrag anzuprangern, der am Anfang der fatalen Entartung steht.
    Durch eine historische Verkürzung erblickt Rousseau in diesem neuen Zustand die Prinzipien der Konkurrenzgesellschaft und des Kampfes aller gegen alle.
    Diese deutliche Kritik des gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustandes erinnert uns an Rousseau.
    Niemand anderer als Jean-Jacques Rousseau – jener Aufklärer, der als einer der schärfsten Kritiker der “philosophes” à la Voltaire zu gelten hat und der früh die Widersprüche der bürgerlichen Aufklärung offenlegte – gibt zu Beginn seines Discours sur les sciences et les arts von 1750 eine der besten zeitgenössischen Definitionen der gesamteuropäischen Aufklärung und damit des programmatischen Selbstverständnisses einer Epoche, die sich schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts daran gewöhnt hat, sich stolz und selbstbewußt als das “siècle des lumières” und als “siècle éclairé” zu benennen.
    Auch wenn Rousseau selbst, der in der besprochenen Passage seines Discours die vernunftgestützte Aufklärung nur zitiert, um sie besser in Frage stellen zu können, einen wesentlich anderen Weg zum Glück der Menschheit empfiehlt: Fortschritt durch die Aktivierung der von Vorurteilen befreiten, kritischen Ratio und auf der Basis einer kaum ernstlich in Frage gestellten geistigen und moralischen Perfektibilität des Menschen (Toleranz und Würde des Menschen, “égalité”-Denken, Freiheit des Individuums usw.), dies ist der Leitgedanke des aufklärerischen Humanismus, der auch in den äußerst zahlreichen pädagogischen Schriften des 18. Jahrhunderts dominiert.
    Es sind die Schweizer Berge, die der Genfer Bürger und politisch Verfolgte Jean-Jacques Rousseau sich erwandert, erträumt und geformt hat als utopische Gegenwelt der von ihm verhaßten Zivilisation, welche er verantwortlich macht für das Unglück seines eigenen Lebens und das der von Natur aus guten Menschheit.
    Der “retour à la nature” nämlich, der sich in der Tat topographisch manifestiert als Inszenierung der freien Bergwelt und motorisch im Gleichschritt von Wandern und Schreiben (vgl. Les Rêveries du promeneur solitaire), ist die Chiffre für Rousseaus fundamentale Kulturkritik, welche die Fortschritte der menschlichen Zivilisation in Zweifel zieht und damit auch den Optimismus der Aufklärung durchkreuzt (vgl. Horowitz: 1987; Jurt: 1998).
    Rousseau errichtet hier ein durchaus geschlechtsspezifisches Lektüreprogramm, das namentlich jene Tradition zu bestätigen scheint, die den Roman als tränentreibendes Lesefutter für Frauen geringschätzte. Und doch codiert er die normative Gattungskritik deshalb um, weil er die Romanlektüre nicht nur deklariert als geliebtes mütterliches Erbe, sondern auch, weil er es als zwar nicht ungefährlichen, aber doch fruchtbaren Impuls der “sensibilité” formuliert:
    Diesbezüglich spielt Rousseaus Zivilisations- und Aufklärungsskepsis eine zentrale Rolle.
    Doch so optimistisch die Fortschrittstheorie der Hochaufklärung bis hin zu Condorcet auch sein mag, so unüberhörbar warnen Zivilisationsskeptiker wie Rousseau vor der Kehrseite der Perfektionierung des Menschen und vor den Risiken der Überzivilisiertheit.
    Auch in seiner Kritik an den Missständen des Ancien Régime ist er dem Lager der philosophes zuzuordnen.
    Wegen seiner harschen Kritik erhält Rousseau in diesem Wettbewerb keinen Preis.
    Rousseau trat unter anderem hervor als Verfasser der beiden berühmten kulturkritischen Discours, eines romanartigen Erziehungstraktats (Émile), von musiktheoretischen Schriften und von Encyclopédie-Artikeln, einer staatstheoretischen Schrift (Du contrat social), eines empfindsamen Briefromans (Julie, ou La Nouvelle Héloïse) und autobiographischer Texte (Les confessions, Rousseau juge de Jean-Jacques, Les rêveries du promeneur solitaire).
    Denn Rousseaus negative Antwort auf die Preisfrage wirkt wie ein Paukenschlag in der république des lettres.
    Die Menschheitsgeschichte ist für Rousseau eine Geschichte des Niedergangs.
    Abschließend diskutiert Rousseau Probleme des Vertragscharakters, den die Gesellschaft besitzt.
    So stellt er in seiner Antwort auf die vom polnischen König Stanislaus geübte Kritik die Frage:
    Man hat ihm allerdings immer wieder vorgeworfen, dass er, der so grundsätzliche Kritik an Kultur und Gesellschaft geübt habe, sich seinerseits der fortgeschrittensten und mit dem Roman auch der populärsten Techniken dieser Kultur bedient habe.
    Erneut betont Rousseau jedoch auch, dass man nicht hinter den gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung zurück könne:
    Dank seiner staats-, geschichts- und moralphilosophischen Schriften zählt JeanJacques Rousseau zu den bedeutendsten Philosophen der Aufklärung. Zugleich ist er einer der profiliertesten und einflussreichsten Aufklärungskritiker.
    Dieser deutlich aufklärungskritische Einspruch just in den Jahren des Beginns der Hochaufklärung und dessen Auszeichnung durch eine Provinzakademie mögen überraschen, ganz ohne Vorbilder ist Rousseaus Zivilisationsskepsis indes nicht;
    Mit diesem Abschnitt setzte sich Rousseau kritisch auseinander und hob hervor, daß der Begriff „Musik“ in der Antike neben der bloßen Tonkunst überhaupt alle Künste und Wissenschaften umfaßte.
    Er übernahm nicht nur ein Kapitel daraus in seinen Artikel Musique, sondern übte auch Kritik an Montesquieus Theorie vom Einfluß der Musik auf die Sitten eines Volkes.
    doch Rousseau nahm Anstoß daran.
    Er bezog sich in seiner Kritik nicht ausdrücklich auf Montesquieu,
    Auch Rousseau liebt den Kastratengesang nicht (allerdings aus klanglichen Gründen), und er schreibt wie Montesquieu, daß die einfachen Melodien besonders schwierig zu komponieren seien und daß Geschmack und Genie dazu nötig wären. Leider wagt er im Artikel Goût du Chant, en musique keine Definition des Geschmacks, sondern gibt sich mit allgemeinen Formulierungen über die Unbeständigkeit der Mode zufrieden.
    Rousseau bemüht sogar die Phonetik, um zu zeigen, daß die französische Sprache für die Oper denkbar ungeeignet ist, und betont immer wieder die Überlegenheit der italienischen Musik über die französische.
    Rousseau wirft den Theoretikern vor, sich auf unbewiesene Behauptungen zu stützen und darüberhinaus die daraus gezogenen Folgerungen zu manipulieren.
    Die zeitgenössische Musik scheine nicht die Kraft und Wirksamkeit der alten Musik zu haben, bemerkt Rousseau, und er wirft im Artikel Musique von neuem die Frage der Querelle des Anciens et des Modernes auf:
    Damit kritisiert Rousseau nicht nur Montesquieu, der den Begriff „Musik“ im engeren Sinne und also - nach Rousseaus Meinung - falsch verstanden hat, sondern er relativiert auch seine eigenen Aussagen.
    Rousseau war schon vor dem Erlebnis von Vincennes ein scharfsinniger Kritiker der Systèmes, deren Anspruch auf eine vollständige Erklärung der Welt er zurückwies, indem er - als echtes Kind der Aufklärung - zeigte, daß sich ihre Behauptungen auf unbewiesene und sogar unbeweisbare Vermutungen gründeten.
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    Zusammen mit Montesquieu, Voltaire und Diderot gehört Rousseau (1712-1778) zu den herausragenden Persönlichkeiten des 18. Jh. Sein Werk umspannt philosophische, staatstheoretische, pädagogische, musikwissenschaftliche und literarische Arbeiten, die zukunftsweisende Konzepte enthalten.
    Denn Rousseaus negative Antwort auf die Preisfrage wirkt wie ein Paukenschlag in der république des lettres. Damit nimmt der aus Genf stammende Außenseiter ganz bewusst eine Gegenposition zur herrschenden Meinung des Jahrhunderts der Aufklärung und des Glaubens an den Fortschritt ein.
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    Mit dieser Darstellung der Korrespondenz zwischen Naturschauspiel und Bewegungen der Seele begründet Rousseau nahezu eine literarische Tradition und wirkt stilbildend auf die folgende Schriftstellegeneration.
    Rousseaus Tugendbegriff weicht insofern stark von dem Richardsons ab, als letzterer durch die Figur der Clarissa Tugend mit sexueller Unberührtheit gleichsetzt und damit gesellschaftlich hergebrachte Moralvorstellungen goutiert, während Rousseau mit Julie eine Heldin zeichnet, der trotz ihrer sexuellen Erfahrung das Prädikat „tugendhaft“ anhaftet.
    Rousseau (1712—1778) erregte 1751 Aufsehen durch seinen Discours sur les sciences et les arts, mit dem er ein Jahr zuvor den ersten Preis eines von der Académie de Dijon ausgeschriebenen Wettbewerbs gewonnen hatte.
    Rousseau (1712—1778) erregte 1751 Aufsehen durch seinen Discours sur les sciences et les arts, mit dem er ein Jahr zuvor den ersten Preis eines von der Académie de Dijon ausgeschriebenen Wettbewerbs gewonnen hatte. Die Preisfrage lautete: In seiner Autobiographie erinnert Rousseau sich an die Situation, in der die Idee zu diesem Werk entstand (Confessions, VIII. Buch).
    Wenn Rousseaus Denken die Grenzen der binären Logik überschreitet, so korreliert dies mit dem Status seiner Texte, in denen sich philosophisch-wissenschaftliche mit literarisch-fiktionalen Darstellungsmodi verschränken.
    Rousseau zieht sich 1756 nach Montmorency zurück, wo in rascher Folge seine großen philosophischen, pädagogischen und literarischen Werke entstehen, die vernunft-, zivilisations- und aufklärungskritische Impulse enthalten, durchaus noch im Spektrum einer ›Selbstaufklärung der Aufklärung‹.
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    Die auffallend ambivalente Besetzung, welche die Imagination in Rousseaus Werk prägt, lässt sich nicht zuletzt historisch verorten: