Lettres de deux amans, habitans d’une petite ville au pied des Alpes (Q1429): Difference between revisions

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(‎Added reference to claim: about (P36): family (Q2907), Adding references Hülk_2006a Und während Rousseau in seinem Emile durch die “natürliche Erziehung'' genau diese Gefühlsbildung aus zweiter Hand zu verhindern sucht, scheint gleichwohl in der romanesken Gedächtnisschrift der frühen Kindheit bereits das Herzensprogramm der Nouvelle Héloise auf, deren begeisterte Leserin die Mutter des Autors gewesen wäre, wenn er sie nicht bereits bei der Geburt “geopfert' hätte.)
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  • Julie, or the New Heloise
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Lettres de deux amans, habitans d’une petite ville au pied des Alpes
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Statements

Lettres de deux amans, habitans d’une petite ville au pied des Alpes, recueillies et publiées par J .-J. Rousseau (français)
407, 319, 255, 331, 311, 312p. (français)
Suisse, Paris, Saint-Preux (français)
intrigue sentimentale, aventures merveilleuses et allégoriques (français)
27 references
Die beiden hier wiedergegebenen Erlebnisse aus der Nouvelle Héloïse lassen sich als Höhepunkte zwischenmenschlicher Beziehungen erkennen. In ihnen klingen durch das raum-zeitliche Empfinden hindurch Natur, Ich und Liebe zu einer Einheit zusammen.
Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“22 Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“23 Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie.
Dem Roman ist eine Romanpoetik vorangestellt: »Preface de La Nouvelle Heloise ou Entretien sur les romans, entre l'editeur et un homme de lettres«. Im bukolischen Ambiente der Schweizer Alpen beginnt und endet die nicht standesgemäße Liebesgeschichte zwischen der adeligen, tugendhaft-frommen Julie d'Etanges und ihrem bürgerlichen Hauslehrer Saint-Preux, der auf Julie verzichten muss und ins Ausland, nach Paris und nach England, übersiedelt.
Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
Es ist eine als Epitaph zu lesende Inschrift, die Rousseau hier einsetzt, Petrarcas Sone 338 auf den Tod seiner Gelicbten Laura entnommen, das damit auch, als ein Beispiel aus der europäischen Geschichte der Liebenden und der Liebesgeschichten, fungier als ein Prätext für diesen Roman, der sich bcreits mit seinem Titel einschreibt in die Tradition von Darstellungen der Schicksale unglückscliger Liebespaare — unglück- seliger Liebespaare zumal, die einander schreiben und über ihr Schicksal schreiben. Julie ou La Nouvelle Héloise nämlich zitiert jene ebenfalls aus dem Hochmittelalter.
II, Paris 1964 (Pléiade). )ean-)acques Rousseau 171 geworfene Frage nach dem rechten Gebrauch der Sprache auch Rousseau umtrieb, als das mit der rhetorischen Verpflichtung (ars dictandi) verbundene grundlegende Problem des Bezugs von Worten und Dingen, des Ursprungs der Sprache und der Möglichkeiten von Benennung überhaupt — der Liebe namentlich, und von ihr ist die Rede, sie spricht in Julie ou la Nouvelle Héloise.
Die Lettres de deux amans ... beginnen, dem Titel gemäß und auch dem Geschmack des damaligen Publikums, mit einem Liebesbrief, und die ersten Worte der dann auf 6 Bände mit 172 Briefen anwachsenden gewaltigen Korrespondenz versetzen die Leserinnen und Leser in medias res einer Liebesgeschichte, die längst schicksalhaft begonnen hat: Il faut vous fuir, Mademoiselle, je le sens bien: j'aurois dû beaucoup moins attendre, ou plutôt il faloit ne vous voir jamais.
Saint-Preux, Hauslehrer und Erzieher des schönen Fräuleins Julie d'Etange, hat sich in seine Schülerin verliebt — so wie vor ihm eben Abaelard, so wie allerdings auch Robert Lovelace, der Hauslehrer und gewaltsame Verführer der Clarissa Harlowe in Samuel Richardsons siebenbändigem Briefroman von 1748, Clarissa, Or the History of a Ioung Lad, comprehending the Most Important concerns of Private Life, der gleichfalls den Akzent auf die Intimität der Briefe setzte und seinerseits die Indiskretion der Leserschaft herausforderte.
Saint-Preux also erin- nert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel', die naissance'' und den *charme' Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, omer de quelques fleurs un si beau naturel' (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist. Verfallen aber ist er ihr nicht, weil sie schön ist, das auch, sondern weil er in ihr eine sensibilité si vive' (J, I, 1, 32) verspürt, die sie seinem eigenen gefühlvollen Herzen verwandt macht. moi, vous fuir!
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
und ehe sich Saint-Preux und Julie versehen, kommt es zu einem scheuen Kuß, der dargestellt ist auf dem ersten der von Rousseau parallel zum Erstdruck veröffent- )ean-)acques Rousseau 173 lichten Kupferstiche (vgl. Ed. qu'as-tu fait, ma Julie?
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Während Saint-Preux mit seinem englischen Freund und auf dessen Rat hin eine große Reise unternimmt und vor allem aus Paris endlose Briefe schreibt, geschieht im Hause d'Etange Verhängnisvolles: Die Mutter nämlich entdeckt den Briefwechsel; längst kränkelnd, stirbt sie aus Kummer über das Liebesverhältnis der Tochter — ein Zitat sicherlich des ganz ähnlichen Mutter-Tochter-Schicksals in Madame de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves von 1678.
So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekon- struieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind. das Schreiben. Ce fut là mon crime, et tout le reste fut forcé.
So ist nun eigentlich gar nichts anders geworden, ist die Bildhaftigkeit der Geliebten, die ja auch schon vor- und zurückblickend im Grabspruch des Mottos beschworen wurde, die Matrix dieser unmöglichen Liebe selbst und auch die Grundbedingung des Briefwechsels, der die seit dem Anfang periodisch wiederholte Fluchtbewegung Saint-Preux' suspendiert und die stets abwesende, immer schon verlorene Julie hinüberrettet in die Literatur.
Die Intensität aber dieser ganz und gar zeichenhaften, in die Schrift transpo- nierten Liebe ebenso wie Julies Leben zum Tode hin werden gesteigert in der Wahrnehmung und durch die Wirkungsmacht jener Landschaft, als deren Erfinder' Rousseau gelten kann, einer Landschaft, die biographischer Ausgangs- und Bezugspunkt mehrerer seiner Schriften ist und die hier Eingang gefunden hat in den Titel des Textes: Lettres de deu amans habitans d 'une petite ville au pied des Alpes.
Während nämlich einerseits die Unbezwingbarkeit der Berge die Passion der Liebenden spiegelt, repräsentiert andererseits der Garten jene sentimentalische Idylle, um die Julie nach ihrer Heirat kämpft und die Saint-Preux bildverloren bestätigt.
Das immer wieder aufgerufene “azile', auch “retraite isoléen, “réduit' (J, IV, 17, 518), das der erhabenen Natur (torrent ... chaine de roches inaccessibles ... glacie- res ... énormes sommets de glace ... ces grands et superbes objets'') abgerungen ist, bewahrte in der Einbildungskraft des Liebenden stets die “chere image' (J, IV, 17, 519) Julies, die Spur ihres verlorenen Körpers, die Saint-Preux einschricb in Bäume und Felsen, “son chiffre gravé dans mille endroits' (J, IV, 17, 519), während der Wind die Schriftzeichen ihrer Briefe forttrug, die er, “ausgesetzt auf den Bergen des Herzens' (Rainer Maria Rilke), immer und immer wieder las und bedeckte mit Küssen.
Die Fetischisierung der Briefe, die metonymisch für den ganzen Körper ste- hen, das Wissen, daß die eigenen Briefe das Herz der Geliebten berühren, sowie die Kontemplation des Wolmarschen Anwesens aus der Ferne ermöglichten so für Saint-Preux die Dauerhaftigkeit einer Liebe, welche die Grenzen seiner Identität nicht antastete und sie bewahrte in der ungetrübten Korrespondenz zweier merk- würdig abstrakter, ineinander gespiegelter Bilder. Julie selbst hatte dies ganz ähnlich ausgesprochen in dem schon genannten Erinnerungsbrief: “et j'aimai dans vous, moins ce que j'y voyois que ce que je croyois sentir en moi-mêmen (J, III, 18, 340).
Teils, auch die ausgedehnten Natur- und Landschaftsschilderungen des Romans, und die grandiosen Sturzfluten der Schneeschmelze, von denen gerade noch die Rede war, ergießen sich in jene 182 Walburga Hülk “torens de larmes'' (J, VI, 17, 521), die schmerzlich und rettend zugleich Saint- Preux' Wissen um die Aporien seiner Liebe zu Julie zum Ausdruck bringen.
Es ist ein Brief, der über sich selbst und den Tod hinausweist, ein testamentarischer Liebesbrief, der die Erfüllung der Liebe nur über die Leiche Julies'' (vgl.
Auch die Nouvelle Héloise fand, wie gesagt, Gefallen bei den Frauen, auch sie erzählt von Liebe, stellt dieses schlecht- 184 Walburga Hülk hinnige Thema aber nicht dar aus der Sicht eines fabulierenden Erzählers, sonder gleichsam aus der (fingierten) Unvermitteltheit der Briefform: Alle Personen de Briefromans (*roman par lettres'' oder “roman épistolaire') sprechen als “Ich- reflektieren sich, ihre Gefühle, Gedanken und Erlebnisse im Medium deI Korrespondenz aus der Eigenperspcktive (Sender, “destinateur'') und im Blick des Adressaten (Empfänger, *destinataire''), der in zweiter Instanz auch der Leser des ganzen Briefromans ist.
Daß es natürlich genau diese Rezeptur war, die den überwältigenden Erfolg der Nouvelle Héloise bewirkte, dürfte der durchaus kokette Rousseau gewußt haben, der, verkleidet als “éditeur', diese “Mängel'' rechtfertigt mit dem Gebot der Wahrhaftigkeit der Charaktere, die einander verfallen seien in einem aussichtslosen, gänzlich imaginären Liebesdelirium.
Es ist dieser Rausch der Liebespassion, in dem sich die jungen Leute erfahren als singuläre, empfindende und deshalb natürliche Menschen, die in einen unlösbaren Konflikt geraten müssen mit den Codierungen und Konventionen einer subtilen Gesellschaft, die ihre Ordnung den Liebenden einschreibt als naturgemäße Vernunft. Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
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Saint-Preux nun, um auf ihn zurückzukommen, nimmt brieflich teil am Heranwachsen der Kinder, die in Harmonie von Gefühl und Verstand erzogen wer- den, also schon ganz nach den pädagogischen Prinzipien des Erziehungsromans Emile, der dann 1762 erschien und gleich vom Pariser Parlament verboten wurde — so wie wenige Wochen zuvor bereits der Contrat social von der Genfer Republik: Beide Schriften nämlich galten als “téméraires, scandaleux, impies, tendant à détui- re la religion chrétiennc ct tous les gouvernements'' (Euvres complètes III, XVI) und wurden deshalb zensiert, während die gleichermaßen aufrührerischen Themen der Nouvelle Héloise, in der “Préface'' erzählstrategisch geschickt vorbereitet.
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Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
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Das aus innerer Sammlung erwachsene Erlebnis des Gleichklangs zwischen dem eigenen Ich und dem geliebten Menschen findet einen weiteren Höhepunkt in der Nouvelle Héloïse in dem 17. Brief: Le Lac2. Wichtig für beide seelische Empfindungslagen erscheint die Tatsache, daß das Raumerlebnis ein konkretes an die äußere Umgebung gebundenes Moment und zugleich eine innerseelische zwischenmenschliche Relation ist.
Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
In einem unbewachten Augenblick, als der Ehemann, der den Namen pompös', “lächerlich' findet, nicht zuhört, gesteht Julie ihrem Geliebten: “En vérité, mon ami, me dit-elle d'une voix émue, des jours ainsi passés tiennent du bon- heur de l'autre vie, et ce n'est pas sans raison qu'en y pensant j'ai donné d'avance à ce lieu le nom d'Elisée' (J, IV, 11, 485486). Der verger' erfüllt ganz die auch aus der Antike entlehnten Topoi des locus amoenus (Schatten, Wiese und Blumen, murmelndes Wasser, zwitschernde Vögel), welcher aber Saint-Preux nicht erscheint als kulturalisierte Kulisse für ein geselliges Zusammensein, sondem als ursprüngli- cher, paradiesischer Zufluchtsort einer die Einsamkeit suchenden Seele.
Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Deren Opfer ist Julie.
Von Beginn an war seine Utopie, die Saint-Preux in Julies Seele stellvertretend für die ame humaine'' (J, I. 21, 73) ver- wirklicht sah als “ce divin accord de la vertu, de l'amour, et de la nature' (J, l, 21, 73), nichts als ein “pays des chimeres', “en ce monde le scul digne d'être habité (J, VI, 8, 693), wie Julie in ihrem vorletzten Brief an Saint-Preux schrieb.
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Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
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Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
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Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“22 Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“23 Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie.
Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte. Rousseau hebt hervor, in welch hohem Grade die Gedanken der Menschen ihre Sprache und ihr Verhalten den Interessen der Körperschaften, Zünfte und Stände untergeordnet sind: „Wenn ein Mensch spricht, ist es sozusagen sein Gewand und nicht er, der eine Meinung hat; und er wird sie ohne weiteres ebenso häufig wie den Stand wechseln ...
Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten. In einem endlosen, bereits erwähnten Brief an Saint- Prcux (vgl. Die für Rousseaus Texte typische Figur der syntaktisch- semantischen Klimax, die sich aufblähenden Sätze und die Forcierung des Vokabulars (émotion ... terreur ... frayeur soudaine ... temblante et prête à tomber en défaillance; pureté ... dignité ... sainteté) suggerieren nachhaltig die Magie des Kirchenraums und die zeremonielle Choreographie: 1 Vous êtes depuis si longtems le dépositaire de tous les secrets de mon cœur, qu'il ne sauroit plus perdre une si douce habitude.
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Roman Briefroman Kommentar Wirkung Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen.
Saint-Preux, Hauslehrer und Erzieher des schönen Fräuleins Julie d'Etange, hat sich in seine Schülerin verliebt — so wie vor ihm eben Abaelard, so wie allerdings auch Robert Lovelace, der Hauslehrer und gewaltsame Verführer der Clarissa Harlowe in Samuel Richardsons siebenbändigem Briefroman von 1748, Clarissa, Or the History of a Ioung Lad, comprehending the Most Important concerns of Private Life, der gleichfalls den Akzent auf die Intimität der Briefe setzte und seinerseits die Indiskretion der Leserschaft herausforderte.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Als aber Julie dieses an ihren Geliebten schreibt, in einem langen Brief, der die bis- herige Geschichte noch einmal erzählt, ist längst alles verloren, hatte der Himmel keine Gnade gezeigt und in Gestalt des Vaters ein furchtbares Strafgericht gehalten, das Julie bereits am Ende des ersten Teils in einem Brief an Claire aufzeichnet als unerhört theatralische, infame Szene: Dem Vater sind, so berichtet sie Claire, die bruits de ville dont tu parles' (J, I, 53, 174) zu Ohren gekommen.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Während Saint-Preux mit seinem englischen Freund und auf dessen Rat hin eine große Reise unternimmt und vor allem aus Paris endlose Briefe schreibt, geschieht im Hause d'Etange Verhängnisvolles: Die Mutter nämlich entdeckt den Briefwechsel; längst kränkelnd, stirbt sie aus Kummer über das Liebesverhältnis der Tochter — ein Zitat sicherlich des ganz ähnlichen Mutter-Tochter-Schicksals in Madame de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves von 1678.
Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten. In einem endlosen, bereits erwähnten Brief an Saint- Prcux (vgl.
So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekon- struieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind.
Saint-Preux erfährt, wie die Leser und Leserinnen des Romans, aus langen Briefen, die teilweise Moraltraktaten ähneln (J, III, 20; VI, 6 u.a.), von der Mustergültigkeit dieser kleinen, weltabge- schiedenen Gesellschaft, deren Mitglieder sich einander auf fast unheimliche Weise offenbaren, vertrauen, aber auch kontrollieren in einem exemplarischen Vor-Leben jener heiklen Allianz von Einzel- und Allgemeinwillen, die der Contrat social ent- wirft (vgl.
Das immer wieder aufgerufene “azile', auch “retraite isoléen, “réduit' (J, IV, 17, 518), das der erhabenen Natur (torrent ... chaine de roches inaccessibles ... glacie- res ... énormes sommets de glace ... ces grands et superbes objets'') abgerungen ist, bewahrte in der Einbildungskraft des Liebenden stets die “chere image' (J, IV, 17, 519) Julies, die Spur ihres verlorenen Körpers, die Saint-Preux einschricb in Bäume und Felsen, “son chiffre gravé dans mille endroits' (J, IV, 17, 519), während der Wind die Schriftzeichen ihrer Briefe forttrug, die er, “ausgesetzt auf den Bergen des Herzens' (Rainer Maria Rilke), immer und immer wieder las und bedeckte mit Küssen.
Die Fetischisierung der Briefe, die metonymisch für den ganzen Körper ste- hen, das Wissen, daß die eigenen Briefe das Herz der Geliebten berühren, sowie die Kontemplation des Wolmarschen Anwesens aus der Ferne ermöglichten so für Saint-Preux die Dauerhaftigkeit einer Liebe, welche die Grenzen seiner Identität nicht antastete und sie bewahrte in der ungetrübten Korrespondenz zweier merk- würdig abstrakter, ineinander gespiegelter Bilder. Julie selbst hatte dies ganz ähnlich ausgesprochen in dem schon genannten Erinnerungsbrief: “et j'aimai dans vous, moins ce que j'y voyois que ce que je croyois sentir en moi-mêmen (J, III, 18, 340).
Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
Es ist ein Brief, der über sich selbst und den Tod hinausweist, ein testamentarischer Liebesbrief, der die Erfüllung der Liebe nur über die Leiche Julies'' (vgl.
Authentizität, Eigentümlichkeit, “sensibilité'' — mit diesen Stichworten lassen sich Struktur und Funktion der Nouvelle Héloise als eines Paradigmas des Briefromans fassen, der als literarische Gattung seinerseits exemplarisch die kulturellen Dispositive der 2.
Auch die Nouvelle Héloise fand, wie gesagt, Gefallen bei den Frauen, auch sie erzählt von Liebe, stellt dieses schlecht- 184 Walburga Hülk hinnige Thema aber nicht dar aus der Sicht eines fabulierenden Erzählers, sonder gleichsam aus der (fingierten) Unvermitteltheit der Briefform: Alle Personen de Briefromans (*roman par lettres'' oder “roman épistolaire') sprechen als “Ich- reflektieren sich, ihre Gefühle, Gedanken und Erlebnisse im Medium deI Korrespondenz aus der Eigenperspcktive (Sender, “destinateur'') und im Blick des Adressaten (Empfänger, *destinataire''), der in zweiter Instanz auch der Leser des ganzen Briefromans ist.
Die dicke Post freilich, die mit der Nouvelle Héloise geliefert wurde, ist kein zufälliges Briefpaket, und der Effekt der Echtheit der Lettres de deux amans ... verdankt sich seinerseits dem Geschick eines Autors, der als Erzähler im Text abwesend ist und gleichwohl in Anmerkungen z den Briefen — die unbedingt zum Romantext dazugehören — kommentierend und reflektierend die Geschichte zusammenhält.
Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloise eine Préface', und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloise: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousscau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner ean-)acques Rousseau 185 Länge und Komplexität erst mit der 2.
In Rousseaus Roman ist sie das Vorwort eines “éditeur'', der vorgibt, eine Sammlung von Briefen herauszugeben, aber nicht sagt, woher er sie hat — im Gegensatz zur Editorfigur in Marivaux' Roman La Vie de Marianne (1741—44) und in Laclos' Les Liaisons dangereuses: Dort nämlich behauptet ein “rédacteur'', die nachfolgende Korrespondenz von diskreterweise nicht namentlich genannten Personen bekommen und dann geordnet zu haben, während zugleich ein *éditeur'' behauptet, das Ganze sei nichts als ein Roman.
Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
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der Richter nimmt ein adliges Gehabe an, der Finanzmann spielt den Seigneur, der Bischof spricht galant, der Hofmann spricht über Philosophie, der Staatsmann über schöngeistige Dinge, und selbst der einfache Handwerker, der keinen anderen Ton als den seinen annehmen kann, kleidet sich sonntags schwarz, um vornehm auszusehen.“25 Rousseau greift hier äußere Symptome der in Auflösung begriffenen Ständegesellschaft auf, ist sich aber bewußt, daß damit das von der Ständegesellschaft geprägte Denken vieler Menschen noch in keiner Weise erschüttert, sondern nach wie vor in Vorurteilen befangen ist: „. .. ihre Meinungen dringen nicht aus ihrem Herzen, ihre Einsichten wurzeln nicht in ihrem Geist, ihre Worte stehen nicht für ihre Gedanken .. ,“26 Im Zusammenhang mit der Überwindung ständischem Denkens ist auch Rousseaus Kritik am französischen Theater zu sehen, der ein ganzer Brief seiner Nouvelle Héloïse gewidmet ist.
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Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
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Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten.
Es ist eine Frage, die hier, wie schon in den philosophischen Schriften und der Nouvelle Héloise, verhandelt wird vor dem Hintergrund des Problems von Schuld und Unschuld, Urteil und Freispruch.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar. Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt. Als Hindernisse bei der Rezeption, die zu überwinden den Leser Mühe kosten, erweisen sich insbesondere die übersteigerte „Empfindsamkeit“ der Romanfiguren, die breite Darlegung subtiler Gefühle, das aufdringlich wirkende Moralisieren, Elemente also, die Ausdruck der enthusiastischen Konstituierung des bürgerlichen Individuums in der Literatur des 18. Jahrhunderts und des Versuchs zu seiner sozialen Integration in einer erneuerten Gesellschaft sind. Das neue Wirklichkeitsverständnis und die Perspektive der sozialen Veränderung in Diderots Erzählprosa Während Rousseau einen bedeutenden Einfluß auf die Erzählprosa der Spätaufklärung ausübte, blieb Diderots Romanen diese Wirkung versagt, da sie zu Lebzeiten des Dichters nicht publiziert wurden.
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(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
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Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloise eine Préface', und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloise: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousscau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner ean-)acques Rousseau 185 Länge und Komplexität erst mit der 2.
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Die Schilderung der Wirtschaft der Familie Wolmar nimmt in diesem Roman einen bedeutenden Platz ein.
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So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekon- struieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind. das Schreiben.
Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
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Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
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Der Zustand der inneren Sammlung ist nicht nur unerläßlich für das Erlebnis des Gleichklangs zwischen Mensch und Natur, sondern auch für das des Gleichklangs von Mensch zu Mensch. Hierfür erscheint eine Stelle aus der Nouvelle Héloïse sehr charakteristisch : Il est sur que cet état de contemplation fait un des grands charmes des hommes sensibles .... 1 J.
Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte. Rousseau hebt hervor, in welch hohem Grade die Gedanken der Menschen ihre Sprache und ihr Verhalten den Interessen der Körperschaften, Zünfte und Stände untergeordnet sind: „Wenn ein Mensch spricht, ist es sozusagen sein Gewand und nicht er, der eine Meinung hat; und er wird sie ohne weiteres ebenso häufig wie den Stand wechseln ...
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Brief Saint-Preux' nun an Julie bleibt unbeantwortet: ein Brief, der eine expositorische Funktion hat in einem Roman, der aus nichts als Briefen besteht und mit den ersten Worten eine Fluchtbe- wegung andeutet, die ebenso notwendig wie unmöglich ist. Saint-Preux also erin- nert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel', die naissance'' und den *charme' Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, omer de quelques fleurs un si beau naturel' (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Julie de Wolmar nämlich, die mit ihrem Mann eine gute Ehe führt. ist mittlerweile Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie und einer 178 Walburga Hülk gerecht geführten, mithin zufriedenen und treuen Dienerschaft, still und fern der Stadt, in Clarens am Ufer des Genfer Sees.
Vargas: 1997), die als Zweifel am Gelingen der Familie auch die “Nouvelle Heloise'' durchzieht: Chaque famille devint une petite Société [...] ce fut alors que s'établit la premiére différence dans la maniére de vivre des deux Séxes, qui jusqu'ici n'en 2 Die Sigle D und Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf die folgende Ausgabe: Jean-Jacques Rousseau, Discours sur l'origine et l'inégalité parmi les hommes, in: ders., Euwres complètes, hrsg.
Und während Rousseau in seinem Emile durch die “natürliche Erziehung'' genau diese Gefühlsbildung aus zweiter Hand zu verhindern sucht, scheint gleichwohl in der romanesken Gedächtnisschrift der frühen Kindheit bereits das Herzensprogramm der Nouvelle Héloise auf, deren begeisterte Leserin die Mutter des Autors gewesen wäre, wenn er sie nicht bereits bei der Geburt “geopfert' hätte.
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