Lettres de deux amans, habitans d’une petite ville au pied des Alpes (Q1429): Difference between revisions
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- La nouvelle Héloi͏̈se
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English | Lettres de deux amans, habitans d’une petite ville au pied des Alpes |
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Statements
Lettres de deux amans, habitans d’une petite ville au pied des Alpes, recueillies et publiées par J .-J. Rousseau (français)
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407, 319, 255, 331, 311, 312p. (français)
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Suisse, Paris, Saint-Preux (français)
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intrigue sentimentale, aventures merveilleuses et allégoriques (français)
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In Frankreich markiert Rousseaus Julie ou La nou-velle Heloise (1761) den Höhepunkt der Gattung des empfindsamen Briefromans.
Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar. Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt. Als Hindernisse bei der Rezeption, die zu überwinden den Leser Mühe kosten, erweisen sich insbesondere die übersteigerte „Empfindsamkeit“ der Romanfiguren, die breite Darlegung subtiler Gefühle, das aufdringlich wirkende Moralisieren, Elemente also, die Ausdruck der enthusiastischen Konstituierung des bürgerlichen Individuums in der Literatur des 18. Jahrhunderts und des Versuchs zu seiner sozialen Integration in einer erneuerten Gesellschaft sind.
Der 1. Brief Saint-Preux nun an Julie bleibt unbeantwortet: ein Brief, der eine expositorische Funktion hat in einem Roman, der aus nichts als Briefen besteht und mit den ersten Worten eine Fluchtbewegung andeutet, die ebenso notwendig wie unmöglich ist. Saint-Preux also erinnert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel”, die “naissance” und den “charme” Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, “orner de quelques fleurs un si beau naturel” (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist. Verfallen aber ist er ihr nicht, weil sie schön ist, das auch, sondern weil er in ihr eine “sensibilité si vive” (J, I, 1, 32) verspürt, die sie seinem eigenen gefühlvollen Herzen verwandt macht.
Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
Authentizität, Eigentümlichkeit, “sensibilité'' — mit diesen Stichworten lassen sich Struktur und Funktion der Nouvelle Héloise als eines Paradigmas des Briefromans fassen, der als literarische Gattung seinerseits exemplarisch die kulturellen Dispositive der 2.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
Rousseaus oben erwähnter Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse“ steht exemplarisch für die zwei dominierenden Tendenzen des Romans in der zweiten Jahrhunderthälfte, da sich hier der sentimentale Roman mit dem narrativen Muster des Briefromans verbindet.
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Die beiden hier wiedergegebenen Erlebnisse aus der Nouvelle Héloïse lassen sich als Höhepunkte zwischenmenschlicher Beziehungen erkennen. In ihnen klingen durch das raum-zeitliche Empfinden hindurch Natur, Ich und Liebe zu einer Einheit zusammen.
Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“22 Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“23 Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie.
Dem Roman ist eine Romanpoetik vorangestellt: »Preface de La Nouvelle Heloise ou Entretien sur les romans, entre l'editeur et un homme de lettres«. Im bukolischen Ambiente der Schweizer Alpen beginnt und endet die nicht standesgemäße Liebesgeschichte zwischen der adeligen, tugendhaft-frommen Julie d'Etanges und ihrem bürgerlichen Hauslehrer Saint-Preux, der auf Julie verzichten muss und ins Ausland, nach Paris und nach England, übersiedelt.
Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
Es ist eine als Epitaph zu lesende Inschrift, die Rousseau hier einsetzt, Petrarcas Sone 338 auf den Tod seiner Gelicbten Laura entnommen, das damit auch, als ein Beispiel aus der europäischen Geschichte der Liebenden und der Liebesgeschichten, fungier als ein Prätext für diesen Roman, der sich bcreits mit seinem Titel einschreibt in die Tradition von Darstellungen der Schicksale unglückscliger Liebespaare — unglück- seliger Liebespaare zumal, die einander schreiben und über ihr Schicksal schreiben. Julie ou La Nouvelle Héloise nämlich zitiert jene ebenfalls aus dem Hochmittelalter.
II, Paris 1964 (Pléiade). )ean-)acques Rousseau 171 geworfene Frage nach dem rechten Gebrauch der Sprache auch Rousseau umtrieb, als das mit der rhetorischen Verpflichtung (ars dictandi) verbundene grundlegende Problem des Bezugs von Worten und Dingen, des Ursprungs der Sprache und der Möglichkeiten von Benennung überhaupt — der Liebe namentlich, und von ihr ist die Rede, sie spricht in Julie ou la Nouvelle Héloise.
Die Lettres de deux amans ... beginnen, dem Titel gemäß und auch dem Geschmack des damaligen Publikums, mit einem Liebesbrief, und die ersten Worte der dann auf 6 Bände mit 172 Briefen anwachsenden gewaltigen Korrespondenz versetzen die Leserinnen und Leser in medias res einer Liebesgeschichte, die längst schicksalhaft begonnen hat: Il faut vous fuir, Mademoiselle, je le sens bien: j'aurois dû beaucoup moins attendre, ou plutôt il faloit ne vous voir jamais.
Saint-Preux, Hauslehrer und Erzieher des schönen Fräuleins Julie d'Etange, hat sich in seine Schülerin verliebt — so wie vor ihm eben Abaelard, so wie allerdings auch Robert Lovelace, der Hauslehrer und gewaltsame Verführer der Clarissa Harlowe in Samuel Richardsons siebenbändigem Briefroman von 1748, Clarissa, Or the History of a Ioung Lad, comprehending the Most Important concerns of Private Life, der gleichfalls den Akzent auf die Intimität der Briefe setzte und seinerseits die Indiskretion der Leserschaft herausforderte.
Der 1. Brief Saint-Preux nun an Julie bleibt unbeantwortet: ein Brief, der eine expositorische Funktion hat in einem Roman, der aus nichts als Briefen besteht und mit den ersten Worten eine Fluchtbewegung andeutet, die ebenso notwendig wie unmöglich ist. Saint-Preux also erinnert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel”, die “naissance” und den “charme” Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, “orner de quelques fleurs un si beau naturel” (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist. Verfallen aber ist er ihr nicht, weil sie schön ist, das auch, sondern weil er in ihr eine “sensibilité si vive” (J, I, 1, 32) verspürt, die sie seinem eigenen gefühlvollen Herzen verwandt macht. Unfähig, von sich aus zu gehen, bittet Saint-Preux seine Schülerin, ihn fortzuschicken, um augenblicklich sein Recht auf Liebe zu verteidigen:
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
und ehe sich Saint-Preux und Julie versehen, kommt es zu einem scheuen Kuß, der dargestellt ist auf dem ersten der von Rousseau parallel zum Erstdruck veröffent- )ean-)acques Rousseau 173 lichten Kupferstiche (vgl. Ed. qu'as-tu fait, ma Julie?
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Während Saint-Preux mit seinem englischen Freund und auf dessen Rat hin eine große Reise unternimmt und vor allem aus Paris endlose Briefe schreibt, geschieht im Hause d'Etange Verhängnisvolles: Die Mutter nämlich entdeckt den Briefwechsel; längst kränkelnd, stirbt sie aus Kummer über das Liebesverhältnis der Tochter — ein Zitat sicherlich des ganz ähnlichen Mutter-Tochter-Schicksals in Madame de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves von 1678.
So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekonstruieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind, das Schreiben, das Lesen und die Kommunikation über die Liebe:
So ist nun eigentlich gar nichts anders geworden, ist die Bildhaftigkeit der Geliebten, die ja auch schon vor- und zurückblickend im Grabspruch des Mottos beschworen wurde, die Matrix dieser unmöglichen Liebe selbst und auch die Grundbedingung des Briefwechsels, der die seit dem Anfang periodisch wiederholte Fluchtbewegung Saint-Preux' suspendiert und die stets abwesende, immer schon verlorene Julie hinüberrettet in die Literatur.
Die Intensität aber dieser ganz und gar zeichenhaften, in die Schrift transpo- nierten Liebe ebenso wie Julies Leben zum Tode hin werden gesteigert in der Wahrnehmung und durch die Wirkungsmacht jener Landschaft, als deren Erfinder' Rousseau gelten kann, einer Landschaft, die biographischer Ausgangs- und Bezugspunkt mehrerer seiner Schriften ist und die hier Eingang gefunden hat in den Titel des Textes: Lettres de deu amans habitans d 'une petite ville au pied des Alpes.
Während nämlich einerseits die Unbezwingbarkeit der Berge die Passion der Liebenden spiegelt, repräsentiert andererseits der Garten jene sentimentalische Idylle, um die Julie nach ihrer Heirat kämpft und die Saint-Preux bildverloren bestätigt.
Das immer wieder aufgerufene “azile', auch “retraite isoléen, “réduit' (J, IV, 17, 518), das der erhabenen Natur (torrent ... chaine de roches inaccessibles ... glacie- res ... énormes sommets de glace ... ces grands et superbes objets'') abgerungen ist, bewahrte in der Einbildungskraft des Liebenden stets die “chere image' (J, IV, 17, 519) Julies, die Spur ihres verlorenen Körpers, die Saint-Preux einschricb in Bäume und Felsen, “son chiffre gravé dans mille endroits' (J, IV, 17, 519), während der Wind die Schriftzeichen ihrer Briefe forttrug, die er, “ausgesetzt auf den Bergen des Herzens' (Rainer Maria Rilke), immer und immer wieder las und bedeckte mit Küssen.
Die Fetischisierung der Briefe, die metonymisch für den ganzen Körper ste- hen, das Wissen, daß die eigenen Briefe das Herz der Geliebten berühren, sowie die Kontemplation des Wolmarschen Anwesens aus der Ferne ermöglichten so für Saint-Preux die Dauerhaftigkeit einer Liebe, welche die Grenzen seiner Identität nicht antastete und sie bewahrte in der ungetrübten Korrespondenz zweier merk- würdig abstrakter, ineinander gespiegelter Bilder. Julie selbst hatte dies ganz ähnlich ausgesprochen in dem schon genannten Erinnerungsbrief: “et j'aimai dans vous, moins ce que j'y voyois que ce que je croyois sentir en moi-mêmen (J, III, 18, 340).
Teils, auch die ausgedehnten Natur- und Landschaftsschilderungen des Romans, und die grandiosen Sturzfluten der Schneeschmelze, von denen gerade noch die Rede war, ergießen sich in jene 182 Walburga Hülk “torens de larmes'' (J, VI, 17, 521), die schmerzlich und rettend zugleich Saint- Preux' Wissen um die Aporien seiner Liebe zu Julie zum Ausdruck bringen.
Es ist ein Brief, der über sich selbst und den Tod hinausweist, ein testamentarischer Liebesbrief, der die Erfüllung der Liebe nur über die Leiche Julies'' (vgl.
Auch die Nouvelle Héloise fand, wie gesagt, Gefallen bei den Frauen, auch sie erzählt von Liebe, stellt dieses schlecht- 184 Walburga Hülk hinnige Thema aber nicht dar aus der Sicht eines fabulierenden Erzählers, sonder gleichsam aus der (fingierten) Unvermitteltheit der Briefform: Alle Personen de Briefromans (*roman par lettres'' oder “roman épistolaire') sprechen als “Ich- reflektieren sich, ihre Gefühle, Gedanken und Erlebnisse im Medium deI Korrespondenz aus der Eigenperspcktive (Sender, “destinateur'') und im Blick des Adressaten (Empfänger, *destinataire''), der in zweiter Instanz auch der Leser des ganzen Briefromans ist.
Daß es natürlich genau diese Rezeptur war, die den überwältigenden Erfolg der Nouvelle Héloise bewirkte, dürfte der durchaus kokette Rousseau gewußt haben, der, verkleidet als “éditeur', diese “Mängel'' rechtfertigt mit dem Gebot der Wahrhaftigkeit der Charaktere, die einander verfallen seien in einem aussichtslosen, gänzlich imaginären Liebesdelirium.
Es ist dieser Rausch der Liebespassion, in dem sich die jungen Leute erfahren als singuläre, empfindende und deshalb natürliche Menschen, die in einen unlösbaren Konflikt geraten müssen mit den Codierungen und Konventionen einer subtilen Gesellschaft, die ihre Ordnung den Liebenden einschreibt als naturgemäße Vernunft. Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
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Saint-Preux nun, um auf ihn zurückzukommen, nimmt brieflich teil am Heranwachsen der Kinder, die in Harmonie von Gefühl und Verstand erzogen wer- den, also schon ganz nach den pädagogischen Prinzipien des Erziehungsromans Emile, der dann 1762 erschien und gleich vom Pariser Parlament verboten wurde — so wie wenige Wochen zuvor bereits der Contrat social von der Genfer Republik: Beide Schriften nämlich galten als “téméraires, scandaleux, impies, tendant à détui- re la religion chrétiennc ct tous les gouvernements'' (Euvres complètes III, XVI) und wurden deshalb zensiert, während die gleichermaßen aufrührerischen Themen der Nouvelle Héloise, in der “Préface'' erzählstrategisch geschickt vorbereitet.
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Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
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Das aus innerer Sammlung erwachsene Erlebnis des Gleichklangs zwischen dem eigenen Ich und dem geliebten Menschen findet einen weiteren Höhepunkt in der Nouvelle Héloïse in dem 17. Brief: Le Lac2. Wichtig für beide seelische Empfindungslagen erscheint die Tatsache, daß das Raumerlebnis ein konkretes an die äußere Umgebung gebundenes Moment und zugleich eine innerseelische zwischenmenschliche Relation ist.
Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
In einem unbewachten Augenblick, als der Ehemann, der den Namen pompös', “lächerlich' findet, nicht zuhört, gesteht Julie ihrem Geliebten: “En vérité, mon ami, me dit-elle d'une voix émue, des jours ainsi passés tiennent du bon- heur de l'autre vie, et ce n'est pas sans raison qu'en y pensant j'ai donné d'avance à ce lieu le nom d'Elisée' (J, IV, 11, 485486). Der verger' erfüllt ganz die auch aus der Antike entlehnten Topoi des locus amoenus (Schatten, Wiese und Blumen, murmelndes Wasser, zwitschernde Vögel), welcher aber Saint-Preux nicht erscheint als kulturalisierte Kulisse für ein geselliges Zusammensein, sondem als ursprüngli- cher, paradiesischer Zufluchtsort einer die Einsamkeit suchenden Seele.
Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Deren Opfer ist Julie.
Von Beginn an war seine Utopie, die Saint-Preux in Julies Seele stellvertretend für die ame humaine'' (J, I. 21, 73) ver- wirklicht sah als “ce divin accord de la vertu, de l'amour, et de la nature' (J, l, 21, 73), nichts als ein “pays des chimeres', “en ce monde le scul digne d'être habité (J, VI, 8, 693), wie Julie in ihrem vorletzten Brief an Saint-Preux schrieb.
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Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
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Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
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Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“22 Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“23 Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie.
Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte. Rousseau hebt hervor, in welch hohem Grade die Gedanken der Menschen ihre Sprache und ihr Verhalten den Interessen der Körperschaften, Zünfte und Stände untergeordnet sind: „Wenn ein Mensch spricht, ist es sozusagen sein Gewand und nicht er, der eine Meinung hat; und er wird sie ohne weiteres ebenso häufig wie den Stand wechseln ...
Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen polnischen Adligen, zu heiraten. In einem endlosen, bereits erwähnten Brief an Saint-Preux (vgl. J, III, 18, 340-365) erinnert sie noch einmal leidenschaftlich ihrer beider Geschichte und setzt ihn in Kenntnis von ihrem neuen gesellschaftlichen Stand, dessen moralische, väterliche wie göttliche Legitimation sich ihr in einem synästhetischen, ja mystischen Erschauern als lebenslängliches Urteil während der Trauung in der Kirche offenbarte.
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Roman Briefroman Kommentar Wirkung Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen.
Saint-Preux, Hauslehrer und Erzieher des schönen Fräuleins Julie d'Etange, hat sich in seine Schülerin verliebt — so wie vor ihm eben Abaelard, so wie allerdings auch Robert Lovelace, der Hauslehrer und gewaltsame Verführer der Clarissa Harlowe in Samuel Richardsons siebenbändigem Briefroman von 1748, Clarissa, Or the History of a Ioung Lad, comprehending the Most Important concerns of Private Life, der gleichfalls den Akzent auf die Intimität der Briefe setzte und seinerseits die Indiskretion der Leserschaft herausforderte.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Als aber Julie dieses an ihren Geliebten schreibt, in einem langen Brief, der die bis- herige Geschichte noch einmal erzählt, ist längst alles verloren, hatte der Himmel keine Gnade gezeigt und in Gestalt des Vaters ein furchtbares Strafgericht gehalten, das Julie bereits am Ende des ersten Teils in einem Brief an Claire aufzeichnet als unerhört theatralische, infame Szene: Dem Vater sind, so berichtet sie Claire, die bruits de ville dont tu parles' (J, I, 53, 174) zu Ohren gekommen.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Während Saint-Preux mit seinem englischen Freund und auf dessen Rat hin eine große Reise unternimmt und vor allem aus Paris endlose Briefe schreibt, geschieht im Hause d'Etange Verhängnisvolles: Die Mutter nämlich entdeckt den Briefwechsel; längst kränkelnd, stirbt sie aus Kummer über das Liebesverhältnis der Tochter — ein Zitat sicherlich des ganz ähnlichen Mutter-Tochter-Schicksals in Madame de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves von 1678.
Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten. In einem endlosen, bereits erwähnten Brief an Saint- Prcux (vgl.
So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekon- struieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind.
Saint-Preux erfährt, wie die Leser und Leserinnen des Romans, aus langen Briefen, die teilweise Moraltraktaten ähneln (J, III, 20; VI, 6 u.a.), von der Mustergültigkeit dieser kleinen, weltabge- schiedenen Gesellschaft, deren Mitglieder sich einander auf fast unheimliche Weise offenbaren, vertrauen, aber auch kontrollieren in einem exemplarischen Vor-Leben jener heiklen Allianz von Einzel- und Allgemeinwillen, die der Contrat social ent- wirft (vgl.
Das immer wieder aufgerufene “azile', auch “retraite isoléen, “réduit' (J, IV, 17, 518), das der erhabenen Natur (torrent ... chaine de roches inaccessibles ... glacie- res ... énormes sommets de glace ... ces grands et superbes objets'') abgerungen ist, bewahrte in der Einbildungskraft des Liebenden stets die “chere image' (J, IV, 17, 519) Julies, die Spur ihres verlorenen Körpers, die Saint-Preux einschricb in Bäume und Felsen, “son chiffre gravé dans mille endroits' (J, IV, 17, 519), während der Wind die Schriftzeichen ihrer Briefe forttrug, die er, “ausgesetzt auf den Bergen des Herzens' (Rainer Maria Rilke), immer und immer wieder las und bedeckte mit Küssen.
Die Fetischisierung der Briefe, die metonymisch für den ganzen Körper ste- hen, das Wissen, daß die eigenen Briefe das Herz der Geliebten berühren, sowie die Kontemplation des Wolmarschen Anwesens aus der Ferne ermöglichten so für Saint-Preux die Dauerhaftigkeit einer Liebe, welche die Grenzen seiner Identität nicht antastete und sie bewahrte in der ungetrübten Korrespondenz zweier merk- würdig abstrakter, ineinander gespiegelter Bilder. Julie selbst hatte dies ganz ähnlich ausgesprochen in dem schon genannten Erinnerungsbrief: “et j'aimai dans vous, moins ce que j'y voyois que ce que je croyois sentir en moi-mêmen (J, III, 18, 340).
Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
Es ist ein Brief, der über sich selbst und den Tod hinausweist, ein testamentarischer Liebesbrief, der die Erfüllung der Liebe nur über die Leiche Julies'' (vgl.
Authentizität, Eigentümlichkeit, “sensibilité'' — mit diesen Stichworten lassen sich Struktur und Funktion der Nouvelle Héloise als eines Paradigmas des Briefromans fassen, der als literarische Gattung seinerseits exemplarisch die kulturellen Dispositive der 2.
Auch die Nouvelle Héloise fand, wie gesagt, Gefallen bei den Frauen, auch sie erzählt von Liebe, stellt dieses schlecht- 184 Walburga Hülk hinnige Thema aber nicht dar aus der Sicht eines fabulierenden Erzählers, sonder gleichsam aus der (fingierten) Unvermitteltheit der Briefform: Alle Personen de Briefromans (*roman par lettres'' oder “roman épistolaire') sprechen als “Ich- reflektieren sich, ihre Gefühle, Gedanken und Erlebnisse im Medium deI Korrespondenz aus der Eigenperspcktive (Sender, “destinateur'') und im Blick des Adressaten (Empfänger, *destinataire''), der in zweiter Instanz auch der Leser des ganzen Briefromans ist.
Die dicke Post freilich, die mit der Nouvelle Héloise geliefert wurde, ist kein zufälliges Briefpaket, und der Effekt der Echtheit der Lettres de deux amans ... verdankt sich seinerseits dem Geschick eines Autors, der als Erzähler im Text abwesend ist und gleichwohl in Anmerkungen z den Briefen — die unbedingt zum Romantext dazugehören — kommentierend und reflektierend die Geschichte zusammenhält.
Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloise eine Préface', und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloise: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousscau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner ean-)acques Rousseau 185 Länge und Komplexität erst mit der 2.
In Rousseaus Roman ist sie das Vorwort eines “éditeur'', der vorgibt, eine Sammlung von Briefen herauszugeben, aber nicht sagt, woher er sie hat — im Gegensatz zur Editorfigur in Marivaux' Roman La Vie de Marianne (1741—44) und in Laclos' Les Liaisons dangereuses: Dort nämlich behauptet ein “rédacteur'', die nachfolgende Korrespondenz von diskreterweise nicht namentlich genannten Personen bekommen und dann geordnet zu haben, während zugleich ein *éditeur'' behauptet, das Ganze sei nichts als ein Roman.
Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
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der Richter nimmt ein adliges Gehabe an, der Finanzmann spielt den Seigneur, der Bischof spricht galant, der Hofmann spricht über Philosophie, der Staatsmann über schöngeistige Dinge, und selbst der einfache Handwerker, der keinen anderen Ton als den seinen annehmen kann, kleidet sich sonntags schwarz, um vornehm auszusehen.“25 Rousseau greift hier äußere Symptome der in Auflösung begriffenen Ständegesellschaft auf, ist sich aber bewußt, daß damit das von der Ständegesellschaft geprägte Denken vieler Menschen noch in keiner Weise erschüttert, sondern nach wie vor in Vorurteilen befangen ist: „. .. ihre Meinungen dringen nicht aus ihrem Herzen, ihre Einsichten wurzeln nicht in ihrem Geist, ihre Worte stehen nicht für ihre Gedanken .. ,“26 Im Zusammenhang mit der Überwindung ständischem Denkens ist auch Rousseaus Kritik am französischen Theater zu sehen, der ein ganzer Brief seiner Nouvelle Héloïse gewidmet ist.
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Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
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Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten.
Es ist eine Frage, die hier, wie schon in den philosophischen Schriften und der Nouvelle Héloise, verhandelt wird vor dem Hintergrund des Problems von Schuld und Unschuld, Urteil und Freispruch.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar. Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt. Als Hindernisse bei der Rezeption, die zu überwinden den Leser Mühe kosten, erweisen sich insbesondere die übersteigerte „Empfindsamkeit“ der Romanfiguren, die breite Darlegung subtiler Gefühle, das aufdringlich wirkende Moralisieren, Elemente also, die Ausdruck der enthusiastischen Konstituierung des bürgerlichen Individuums in der Literatur des 18. Jahrhunderts und des Versuchs zu seiner sozialen Integration in einer erneuerten Gesellschaft sind. Das neue Wirklichkeitsverständnis und die Perspektive der sozialen Veränderung in Diderots Erzählprosa Während Rousseau einen bedeutenden Einfluß auf die Erzählprosa der Spätaufklärung ausübte, blieb Diderots Romanen diese Wirkung versagt, da sie zu Lebzeiten des Dichters nicht publiziert wurden.
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(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
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Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloise eine Préface', und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloise: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousscau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner ean-)acques Rousseau 185 Länge und Komplexität erst mit der 2.
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Die Schilderung der Wirtschaft der Familie Wolmar nimmt in diesem Roman einen bedeutenden Platz ein.
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So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekon- struieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind. das Schreiben.
Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
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Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
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Der Zustand der inneren Sammlung ist nicht nur unerläßlich für das Erlebnis des Gleichklangs zwischen Mensch und Natur, sondern auch für das des Gleichklangs von Mensch zu Mensch. Hierfür erscheint eine Stelle aus der Nouvelle Héloïse sehr charakteristisch : Il est sur que cet état de contemplation fait un des grands charmes des hommes sensibles .... 1 J.
Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle-Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte. Rousseau hebt hervor, in welch hohem Grade die Gedanken der Menschen ihre Sprache und ihr Verhalten den Interessen der Körperschaften, Zünfte und Stände untergeordnet sind: „Wenn ein Mensch spricht, ist es sozusagen sein Gewand und nicht er, der eine Meinung hat; und er wird sie ohne weiteres ebenso häufig wie den Stand wechseln ...
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Brief Saint-Preux' nun an Julie bleibt unbeantwortet: ein Brief, der eine expositorische Funktion hat in einem Roman, der aus nichts als Briefen besteht und mit den ersten Worten eine Fluchtbe- wegung andeutet, die ebenso notwendig wie unmöglich ist. Saint-Preux also erin- nert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel', die naissance'' und den *charme' Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, omer de quelques fleurs un si beau naturel' (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Julie de Wolmar nämlich, die mit ihrem Mann eine gute Ehe führt. ist mittlerweile Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie und einer 178 Walburga Hülk gerecht geführten, mithin zufriedenen und treuen Dienerschaft, still und fern der Stadt, in Clarens am Ufer des Genfer Sees.
Vargas: 1997), die als Zweifel am Gelingen der Familie auch die “Nouvelle Heloise'' durchzieht: Chaque famille devint une petite Société [...] ce fut alors que s'établit la premiére différence dans la maniére de vivre des deux Séxes, qui jusqu'ici n'en 2 Die Sigle D und Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf die folgende Ausgabe: Jean-Jacques Rousseau, Discours sur l'origine et l'inégalité parmi les hommes, in: ders., Euwres complètes, hrsg.
Und während Rousseau in seinem Emile durch die “natürliche Erziehung'' genau diese Gefühlsbildung aus zweiter Hand zu verhindern sucht, scheint gleichwohl in der romanesken Gedächtnisschrift der frühen Kindheit bereits das Herzensprogramm der Nouvelle Héloise auf, deren begeisterte Leserin die Mutter des Autors gewesen wäre, wenn er sie nicht bereits bei der Geburt “geopfert' hätte.
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Aber gerade nach dieser Seite hin unterläßt man jede Einwirkung; eure elenden Schriftsteller haben nur für diejenigen Strafpredigten, die unterdrückt sind, und die Moral der Bücher wird stets erfolglos sein, weil sie nur in der Kunst besteht, dem Stärkeren den Hof zu machen.“ Und darüber hinaus betont Rousseau im Roman selbst: „Die Romane eignen sich vielleicht zum letzten Belehrungsmittel, das noch für ein Volk übrigbleibt, welches bereits so gesunken ist, daß cs sich für jedes andere unempfänglich zeigt.“ Der Inhalt der Nouvelle Héloïse ist grob skizziert folgender: Saint-Preux, aus den niederen Ständen, dem Volk stammend, als Lehrer im Haus einer adligen Familie angestellt, verliebt sich in die Tochter der Familie. Die Liebe wird erwidert, Julie wird jedoch einem anderen Mann versprochen, dem ihr Vater zu höchstem Dank verpflichtet ist. Da die Standesgrenzen eine offizielle Verbindung zwischen Saint-Preux und Julie verbieten und ein Zusammenleben nach den Wünschen ihrer Herzen nur in einem freieren Land möglich ist, müßten beide das Anerbieten eines reichen Engländers zur Flucht nach England bereitwilligst annehmen.
So ist nun eigentlich gar nichts anders geworden, ist die Bildhaftigkeit der Geliebten, die ja auch schon vor- und zurückblickend im Grabspruch des Mottos beschworen wurde, die Matrix dieser unmöglichen Liebe selbst und auch die Grundbedingung des Briefwechsels, der die seit dem Anfang periodisch wiederholte Fluchtbewegung Saint-Preux' suspendiert und die stets abwesende, immer schon verlorene Julie hinüberrettet in die Literatur.
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Aus der besonderen sozialen Position erklärt sich Rousseaus Idealismus, der eine sichtbare Ausprägung in der Nouvelle Héloïse erfährt.
Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar. Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt. Als Hindernisse bei der Rezeption, die zu überwinden den Leser Mühe kosten, erweisen sich insbesondere die übersteigerte „Empfindsamkeit“ der Romanfiguren, die breite Darlegung subtiler Gefühle, das aufdringlich wirkende Moralisieren, Elemente also, die Ausdruck der enthusiastischen Konstituierung des bürgerlichen Individuums in der Literatur des 18. Jahrhunderts und des Versuchs zu seiner sozialen Integration in einer erneuerten Gesellschaft sind.
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Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar.
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Der zweite Fall Julies, ihr durch die nicht beschönigte Grausamkeit des Vaters bedingter “faux pas'', annulliert mit der nachfolgenden Fehlgeburt jenen ersten, der für eine kurze Weile die familiale, genealogische Ordnung zu zersetzen, unstandes gemäß zu substituieren drohte und von dem der Vater gleichwohl noch nichts wußte.
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Unentrinnbar ist Julie verstrickt in die väterliche Ordnung, die fortan ihre ganze Macht entfalten kann. Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten.
Julie stürzt ihm nach, rettet ihn und sich, ist aber unterkühlt, völlig entkräftet und bekommt hohes Fieber.
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Den Effekt der Echtheit wie den der Romanhaftigkeit der Briefe vereitelt er wechselseitig, um statt dessen dezidiert die Sittenlosigkeit seiner Zeit anzuklagen und dem “siècle corompu'' mit der Nouvelle Héloise einen Spiegel vorzuhalten, der aber nach seinen Worten in sich so widersprüchlich sei, daß er sicherlich allen mißfallen werde: den Gebildeten wegen des exaltierten Stils, den Gestrengen wegen des skandalösen Stoffes, den Libertins des Geistes und der Lüste wegen des Sieges der Tugend.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar. Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt. Als Hindernisse bei der Rezeption, die zu überwinden den Leser Mühe kosten, erweisen sich insbesondere die übersteigerte „Empfindsamkeit“ der Romanfiguren, die breite Darlegung subtiler Gefühle, das aufdringlich wirkende Moralisieren, Elemente also, die Ausdruck der enthusiastischen Konstituierung des bürgerlichen Individuums in der Literatur des 18. Jahrhunderts und des Versuchs zu seiner sozialen Integration in einer erneuerten Gesellschaft sind.
Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen polnischen Adligen, zu heiraten. In einem endlosen, bereits erwähnten Brief an Saint-Preux (vgl. J, III, 18, 340-365) erinnert sie noch einmal leidenschaftlich ihrer beider Geschichte und setzt ihn in Kenntnis von ihrem neuen gesellschaftlichen Stand, dessen moralische, väterliche wie göttliche Legitimation sich ihr in einem synästhetischen, ja mystischen Erschauern als lebenslängliches Urteil während der Trauung in der Kirche offenbarte.
Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
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Unentrinnbar ist Julie verstrickt in die väterliche Ordnung, die fortan ihre ganze Macht entfalten kann. Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten.
Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen pol- nischen Adligen, zu heiraten.
Die Intensität aber dieser ganz und gar zeichenhaften, in die Schrift transpo- nierten Liebe ebenso wie Julies Leben zum Tode hin werden gesteigert in der Wahrnehmung und durch die Wirkungsmacht jener Landschaft, als deren Erfinder' Rousseau gelten kann, einer Landschaft, die biographischer Ausgangs- und Bezugspunkt mehrerer seiner Schriften ist und die hier Eingang gefunden hat in den Titel des Textes: Lettres de deu amans habitans d 'une petite ville au pied des Alpes.
Diesen Brief übergibt der tadellose Monsicur de Wolmar nach Julies Tod ihrem Geliebten Saint-Preux, und dieser wird auf ihren letten Wunsch hin der Erzieher der Kinder, während sich Wolmar, dessen Atheismus Julie Gewissensqualen beschert hatte, zum Christentum bekehrt.
Es ist ein Brief, der über sich selbst und den Tod hinausweist, ein testamentarischer Liebesbrief, der die Erfüllung der Liebe nur über die Leiche Julies'' (vgl.
Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
Julies Tod ist so die Rückkehr zum Schweigen, “nouvel Etat de Nature, “point extrême qui ferme le Cercle et touche au point d'où nous sommes partis' (D, II, 191).
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Rousseau Die ersten starken Anregungen auf dem Gebiet einer Erneuerung des inneren Menschen aus raum-zeitlichem Naturerleben heraus gehen auf Rousseau, besonders auf seine Werke La Nouvelle. Héloïse und Les Rêveries du Promeneur Solitaire zurück.
Die beiden hier wiedergegebenen Erlebnisse aus der Nouvelle Héloïse lassen sich als Höhepunkte zwischenmenschlicher Beziehungen erkennen. In ihnen klingen durch das raum-zeitliche Empfinden hindurch Natur, Ich und Liebe zu einer Einheit zusammen.
Das immer wieder aufgerufene “azile', auch “retraite isoléen, “réduit' (J, IV, 17, 518), das der erhabenen Natur (torrent ... chaine de roches inaccessibles ... glacie- res ... énormes sommets de glace ... ces grands et superbes objets'') abgerungen ist, bewahrte in der Einbildungskraft des Liebenden stets die “chere image' (J, IV, 17, 519) Julies, die Spur ihres verlorenen Körpers, die Saint-Preux einschricb in Bäume und Felsen, “son chiffre gravé dans mille endroits' (J, IV, 17, 519), während der Wind die Schriftzeichen ihrer Briefe forttrug, die er, “ausgesetzt auf den Bergen des Herzens' (Rainer Maria Rilke), immer und immer wieder las und bedeckte mit Küssen.
Teils, auch die ausgedehnten Natur- und Landschaftsschilderungen des Romans, und die grandiosen Sturzfluten der Schneeschmelze, von denen gerade noch die Rede war, ergießen sich in jene 182 Walburga Hülk “torens de larmes'' (J, VI, 17, 521), die schmerzlich und rettend zugleich Saint- Preux' Wissen um die Aporien seiner Liebe zu Julie zum Ausdruck bringen.
Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Deren Opfer ist Julie.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
Julies Tod ist so die Rückkehr zum Schweigen, “nouvel Etat de Nature, “point extrême qui ferme le Cercle et touche au point d'où nous sommes partis' (D, II, 191).
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Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert.
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Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen. Der Hauslehrer Saint-Preux verliebt sich in seine Schülerin Julie, die seine Liebe erwidert. Aus Standesgründen widersetzt sich Julies Vater jedoch der Heirat der beiden Liebenden. Saint-Preux verlässt die Familie und geht nach Paris. Sein englischer Freund, Milord Edouard, versucht vergeblich, Julies Vater umzustimmen. Als Julie auf Wunsch des Vaters M. de Wolmar heiratet, bricht Saint-Preux zu einer Weltreise auf. Vier Jahre später folgt Saint-Preux Wolmars Einladung, zu ihm und seiner Familie – Julie hat inzwischen zwei Kinder -nach Clärens zu kommen. Es gelingt Julie und Saint-Preux, tugendhaft zu bleiben. Bei einem Spaziergang am Genfer See rettet Julie ihr Kind vor dem Ertrinken, stirbt aber wenig später an den Folgen ihres Sprunges in den kalten See. Saint-Preux übernimmt nach ihrem Tod die Erziehung ihrer Kinder. Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Tugend und Leidenschaft, den beide Protagonisten mit allen Höhen und Tiefen durchleben und schließlich in einem Akt höchster Beherrschung zu Gunsten der „vertu“ überwinden.
(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Während nämlich einerseits die Unbezwingbarkeit der Berge die Passion der Liebenden spiegelt, repräsentiert andererseits der Garten jene sentimentalische Idylle, um die Julie nach ihrer Heirat kämpft und die Saint-Preux bildverloren bestätigt.
Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Deren Opfer ist Julie.
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So ist es nun das panoptische Auge des richtenden Gottes, das über Julies Handeln und Wollen wacht, ihr ganzes Wesen durchleuchtet und, neben den Vertrauten und den vielen Lesern, all jene geheimen Briefe mitlesen, gegen den Strich lesen, dekon- struieren wird, die noch geschrieben werden sollen, und das, obwohl Julie sich gleichzeitig darüber im klaren ist, daß der eigentliche Sündenfall diese Briefe selbst sind.
Julies Garten ist ein verschlossener, geheimer Garten, der jenes Paradiesgärtlein zitiert, das im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wiederholt zum Sinnbild der Unschuld Mariens wurde und hier für Julies Tugendhaftigkeit steht, die unbescha- det ihren Sündenfall überstanden hat und nun, wie der Garten, ganz im Verborgenen blüht: “Car la jouissance de la vertu est toute intérieure'' (J, IV, 11, 487).
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Dieser Leser aber ist allwissender als die einzelnen Briefpartner, liest er doch — indiskret eben — die gesamte PrivatkorrespondenZ während die Protagonisten jeweils nur einen Teil — und nicht immer (nur) den sie betreffenden — kennen und ihre Sicht auf die Geschichte folglich individuell begrenzt ist innerhalb der Polyphonie / Polylogie des Romans. Diese Vielstimmigkeit und Vieldeutigkeit sind Kennzeichen der Nouvelle Héloise und einer Reihe weiterer Briefromane vorher und nachher (so der schon genannten Clarissa Harlowe und der Liaisons dangereuses).
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In Rousseaus Julie ou La nouvelle Heloise (1761) zeigt sich deutlich, wie Bukolik und Utopie einander überlagern.
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Die Nouvelle Héloïse wurde in einen Gegensatz zu seinen politisch-philosophischen Arbeiten gestellt.21 Die Fragwürdigkeit einer derartigen Interpretation wird bereits deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Rousseau 1762, ein Jahr nach dem Erscheinen der Nouvelle Héloïse, den Contrat social („Gesellschaftsvertrag“) veröffentlicht und auch in späteren Arbeiten, wie in den Lettres sur la législation de la Corse (1764; „Briefe über die Verfassung Korsikas“) und in den Considérations sur le gouvernement de Pologne (1772; „Betrachtungen über die Regierung Polens“), erneut politische Reformprogramme entwickelt.
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Unentrinnbar ist Julie verstrickt in die väterliche Ordnung, die fortan ihre ganze Macht entfalten kann.
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Der Kampf gegen Vorurteile und Intoleranz im Namen der raison einerseits und die Aufwertung des sentiment andererseits sind die Koordinaten des Romans der zweiten Jahrhunderthälfte, die Rousseau bereits 1761 mit .Julie ou La nouvelle Héloïse” zugunsten eines culte du moi verschiebt.
Der 1. Brief Saint-Preux nun an Julie bleibt unbeantwortet: ein Brief, der eine expositorische Funktion hat in einem Roman, der aus nichts als Briefen besteht und mit den ersten Worten eine Fluchtbewegung andeutet, die ebenso notwendig wie unmöglich ist. Saint-Preux also erinnert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel”, die “naissance” und den “charme” Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, “orner de quelques fleurs un si beau naturel” (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist. Verfallen aber ist er ihr nicht, weil sie schön ist, das auch, sondern weil er in ihr eine “sensibilité si vive” (J, I, 1, 32) verspürt, die sie seinem eigenen gefühlvollen Herzen verwandt macht. Unfähig, von sich aus zu gehen, bittet Saint-Preux seine Schülerin, ihn fortzuschicken, um augenblicklich sein Recht auf Liebe zu verteidigen: gegen eine Welt der Vorurteile und Privilegien, ein Argument, das so die Liebenden der Alpen ganz hineinnimmt in Rousseaus ureigene politische, hier ungebrochen aufklärerische Philosophie:
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Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt.
Es ist dieser Rausch der Liebespassion, in dem sich die jungen Leute erfahren als singuläre, empfindende und deshalb natürliche Menschen, die in einen unlösbaren Konflikt geraten müssen mit den Codierungen und Konventionen einer subtilen Gesellschaft, die ihre Ordnung den Liebenden einschreibt als naturgemäße Vernunft. Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
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(J, I, 4, 38—39) Julies Geheimnis, ihre mit der Standesehre und -pflicht unversöhnbare Leidenschaft für Saint-Preux und mit dieser auch die Komplikationen des Briefgehcimnisses sind fortan der Stoff, aus dem der ca. 800 Seiten dicke Roman sich entwickelt, ein Konvolut von Briefen, geschrieben von Liebenden, die unablässig bekennen, Auskunft erteilen, sich Rechenschaft geben über die Angelegenheiten und den Stand ihres vollen Herzens und ihrer unzureichenden Vernunft, eine anschwcllende Massc von Briefen aber auch von Mitwissern, Vertrauten, Ratgebern, die besorgt eine wachsende Zahl von Gerüchten verzeichnen, die bis zu den Eltern und in die Stadt dringen.
Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
Es ist dieser Rausch der Liebespassion, in dem sich die jungen Leute erfahren als singuläre, empfindende und deshalb natürliche Menschen, die in einen unlösbaren Konflikt geraten müssen mit den Codierungen und Konventionen einer subtilen Gesellschaft, die ihre Ordnung den Liebenden einschreibt als naturgemäße Vernunft. Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
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Diese Wirklichkeit bildet Hintergrund und Rahmen seines Romans La Nouvelle Héloïse.
Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
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Die Nouvelle Héloïse wurde in einen Gegensatz zu seinen politisch-philosophischen Arbeiten gestellt.21 Die Fragwürdigkeit einer derartigen Interpretation wird bereits deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Rousseau 1762, ein Jahr nach dem Erscheinen der Nouvelle Héloïse, den Contrat social („Gesellschaftsvertrag“) veröffentlicht und auch in späteren Arbeiten, wie in den Lettres sur la législation de la Corse (1764; „Briefe über die Verfassung Korsikas“) und in den Considérations sur le gouvernement de Pologne (1772; „Betrachtungen über die Regierung Polens“), erneut politische Reformprogramme entwickelt.
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Es ist eine als Epitaph zu lesende Inschrift, die Rousseau hier einsetzt, Petrarcas Sone 338 auf den Tod seiner Gelicbten Laura entnommen, das damit auch, als ein Beispiel aus der europäischen Geschichte der Liebenden und der Liebesgeschichten, fungier als ein Prätext für diesen Roman, der sich bcreits mit seinem Titel einschreibt in die Tradition von Darstellungen der Schicksale unglückscliger Liebespaare — unglück- seliger Liebespaare zumal, die einander schreiben und über ihr Schicksal schreiben. Julie ou La Nouvelle Héloise nämlich zitiert jene ebenfalls aus dem Hochmittelalter.
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Julie aber lädt die Schuld an diesem Tod auf sich, und nach langen inneren Kämpfen, die ihrerseits schriftlich ausgetragen werden, beugt sie sich, an Blattern erkrankt, dem Ratschluß des Vaters, den 50jährigen Monsieur de Wolmar, einen zu Ehren gekommenen polnischen Adligen, zu heiraten. In einem endlosen, bereits erwähnten Brief an Saint-Preux (vgl. J, III, 18, 340-365) erinnert sie noch einmal leidenschaftlich ihrer beider Geschichte und setzt ihn in Kenntnis von ihrem neuen gesellschaftlichen Stand, dessen moralische, väterliche wie göttliche Legitimation sich ihr in einem synästhetischen, ja mystischen Erschauern als lebenslängliches Urteil während der Trauung in der Kirche offenbarte.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar. Gewiß hat der heutige Leser einige Schwierigkeiten, bei der Lektüre dieses Werkes zu den darin aufgeworfenen Problemen noch den entsprechenden Zugang zu finden, da es sich dabei ja um Probleme des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, des Kampfes gegen die ständische Ordnung und die mittelalterlich-religiöse Beengung des Lebens handelt. Jahrhunderts und des Versuchs zu seiner sozialen Integration in einer erneuerten Gesellschaft sind.
Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
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Rousseaus Nouvelle Héloïse ist in weiten Teilen der utopische Entwurf einer solchen im bürgerlichen Sinne harmonisierten Gesellschaft.
Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18.
Brief Saint-Preux' nun an Julie bleibt unbeantwortet: ein Brief, der eine expositorische Funktion hat in einem Roman, der aus nichts als Briefen besteht und mit den ersten Worten eine Fluchtbe- wegung andeutet, die ebenso notwendig wie unmöglich ist. Saint-Preux also erin- nert daran, daß ihn Julies Mutter ins Haus rief, sie, die ihm gewogen bleiben wird, während ihn der Vater seiner Schülerin mit Haß zu verfolgen beginnt und die Familien- und Gesellschaftsordnung mit tyrannischer Macht zu bewahren sucht; Saint-Preux lobt, in hohem Stil, das “beau naturel', die naissance'' und den *charme' Julies (J, I, 1, 31), welche standesgemäß zu bilden ihm, dem geringer Geborenen und Mittellosen, eine Ehre ist, omer de quelques fleurs un si beau naturel' (J, I, 1, 31), ein Fluch aber auch, da er sich auf sie keine Hoffnungen machen kann und ihr gleichwohl längst rettungslos verfallen ist.
Es ist dieser Rausch der Liebespassion, in dem sich die jungen Leute erfahren als singuläre, empfindende und deshalb natürliche Menschen, die in einen unlösbaren Konflikt geraten müssen mit den Codierungen und Konventionen einer subtilen Gesellschaft, die ihre Ordnung den Liebenden einschreibt als naturgemäße Vernunft. Die Obsession freilich des Schreibens, die Länge der auf bis zu 30 Seiten anwach- senden Briefe, die stetige Verfügbarkeit des Schreibzeugs — auf den Spaziergängen, beim ersten Kuß, bei der Fehlgeburt, auf dem Totenbett — bezeugen ein unausge- setztes und uneinlösbares Begehren nach Schrift und Lektüre als einer Bürgschaft der Gefühlsstärke, an der sich der Grad der Natürlichkeit, und damit der Erwähltheit, bemißt. Das Pathos aber, das Leiden an der Wirklichkeit sowie sein Ausdruck, der “gotische Ton' als pathetischer Stil, sind die Vollendung, “le subli- me' einer sensibilitén, die ihren Widerhall im Mit-Leid der Leserinnen und Leser fand. Wie die mythisierte Natur, die aufgerissen ist zwischen dem Paradiesgärtlein und dem urweltlichen Chaos der Gletscherströme, wird so der Pathos-Text des Sehnens und Mahnens zum Spiegel und Bildraum schöner Seelen, die verzweifeln am aporetischen Status ihrer Natürlichkeit, die sie zu passion'' und *vertu'' glei- chermaßen verpflichtet. Mit Julies Tod und Verklärung ist Rousseaus anthropologische Vision einer Versöhnung von “vertu', passion'' und “raison' in der Tat jener Welt entrückt, aus der er selbst schon geflüchtet war in die Abgeschiedenheit von Montmorency — so wie seine Protagonisten in jene von Clarens.
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immer mehr getragen von wehen Klagen, antwortet Julie: abweisend. Als dann aber Saint-Preux mit Selbstmord droht, gesteht sie, daß ihre Glcichgültigkeit nur eine Maske war: Il faut donc l'avouer enfin, ce fatal secret trop mal déguisé!
Julie selbst hatte dies ganz ähnlich ausgesprochen in dem schon genannten Erinnerungsbrief: “et j'aimai dans vous, moins ce que j'y voyois que ce que je croyois sentir en moi-mêmen (J, III, 18, 340). Auf dieser Basis aber muß die körperliche Präsenz der Geliebten für Saint-Preux zur Bedrohung werden, und außer sich vor Erregung — einer Erregung, die sich noch niederschlägt im Bericht an Milord Edouard —, entgeht er nur knapp einem Selbstmord: Faut-il me retrouver avec toi dans les mêmes lieux, et regretter le tems que j'y passois à gémir de ton absence?
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Der Kampf gegen Vorurteile und Intoleranz im Namen der raison einerseits und die Aufwertung des sentiment andererseits sind die Koordinaten des Romans der zweiten Jahrhunderthälfte, die Rousseau bereits 1761 mit .Julie ou La nouvelle Héloïse” zugunsten eines culte du moi verschiebt.
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Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
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In Rousseaus Julie ou La nouvelle Heloise (1761) zeigt sich deutlich, wie Bukolik und Utopie einander überlagern.
Rousseaus Nouvelle Héloïse ist in weiten Teilen der utopische Entwurf einer solchen im bürgerlichen Sinne harmonisierten Gesellschaft.
Julie, die Saint-Preux noch immer liebt, stirbt nach dem Verlust eines ihrer Kinder. Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück. 1764 nimmt Rousseau seine Arbeit an seiner Autobiographie (Les confessions de Jean-Jacques Rousseau) auf, deren Bericht bis zum Jahre 1766 fortschreitet, als er einer Einladung David Humes nach England Folge leistet.
“Se circonscrire'' (R, 1040) wird Rousseau dieses Unternehmen in den Rêveries du promeneur solitaire nennen, die er selbst als appendice'' (R, 1000) der Confessions bezeichnet und die wie jene seine Einsamkeit und Fremdheit intonieren: se circonscrire'', sich abgrenzen, sich beschränken, sich umschreiben als unendliche Schreibbewegung in Texten, die einer um den anderen fragmentarisch geblieben sind und jene Eigentümlichkeit und Ganzheit der Person umkreisen, die in der Gesellschaft der Anderen und im Leben überhaupt nicht zu erringen ist und die bereits in der Nouvelle Héloise als proble- matische Utopie erscheinen mußte.
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Die sensualistische Begründung des sozialkonforr*1^ Verhaltens wird allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von komplexe^ Darstellungen psychischer Motivationen oder der Interdependenz zwischen Tug«-’ und Verstand unterminiert — man denke an Rousseaus Julie ou la Nouvelle Hélo1 de Laclos’ Les Liaisons dangereuses, an de Sades Juliette.
Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen. Der Hauslehrer Saint-Preux verliebt sich in seine Schülerin Julie, die seine Liebe erwidert. Aus Standesgründen widersetzt sich Julies Vater jedoch der Heirat der beiden Liebenden. Saint-Preux verlässt die Familie und geht nach Paris. Sein englischer Freund, Milord Edouard, versucht vergeblich, Julies Vater umzustimmen. Als Julie auf Wunsch des Vaters M. de Wolmar heiratet, bricht Saint-Preux zu einer Weltreise auf. Vier Jahre später folgt Saint-Preux Wolmars Einladung, zu ihm und seiner Familie – Julie hat inzwischen zwei Kinder -nach Clärens zu kommen. Es gelingt Julie und Saint-Preux, tugendhaft zu bleiben. Bei einem Spaziergang am Genfer See rettet Julie ihr Kind vor dem Ertrinken, stirbt aber wenig später an den Folgen ihres Sprunges in den kalten See. Saint-Preux übernimmt nach ihrem Tod die Erziehung ihrer Kinder. Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Tugend und Leidenschaft, den beide Protagonisten mit allen Höhen und Tiefen durchleben und schließlich in einem Akt höchster Beherrschung zu Gunsten der „vertu“ überwinden.
Julies Garten ist ein verschlossener, geheimer Garten, der jenes Paradiesgärtlein zitiert, das im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wiederholt zum Sinnbild der Unschuld Mariens wurde und hier für Julies Tugendhaftigkeit steht, die unbescha- det ihren Sündenfall überstanden hat und nun, wie der Garten, ganz im Verborgenen blüht: “Car la jouissance de la vertu est toute intérieure'' (J, IV, 11, 487).
Er verdeutlicht somit noch einmal jene Aporie, die Rousseau im Konzept seines Romans wohl kaum übersehen haben konnte und die gerade des- halb in der unstillbaren Larmoyanz seines Textes ihre Wirkung erzielte. Julie stirbt als Märtyrerin einer “passion'', die Tugend und Untugend zugleich ist: Sie ist die allein aus dem empfindenden Herzen, der “sensibilité' (Baasner: 1988) der beiden jungen Menschen begründete und deshalb natürliche “vertu'', die keiner weiteren Beglaubigung bedarf und gleichwohl verstößt gegen die moralische Ordnung der Zeit, die das Allianzprinzip (Foucault: 1977, 128—130) aufrechterhält und legiti- miert wird als Vernunft.
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Es ist ein Brief, der über sich selbst und den Tod hinausweist, ein testamentarischer Liebesbrief, der die Erfüllung der Liebe nur über die Leiche Julies'' (vgl. Bronfen: 1996, 114—116) verspricht für ein Jenseits, das die Vanitas des materiellen Lebens, “les vers rongeront le visage'' (J. )ean-)acques Rousseau 183 VI, 13, 743), aufhebt.
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Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Während Saint-Preux mit seinem englischen Freund und auf dessen Rat hin eine große Reise unternimmt und vor allem aus Paris endlose Briefe schreibt, geschieht im Hause d'Etange Verhängnisvolles: Die Mutter nämlich entdeckt den Briefwechsel; längst kränkelnd, stirbt sie aus Kummer über das Liebesverhältnis der Tochter — ein Zitat sicherlich des ganz ähnlichen Mutter-Tochter-Schicksals in Madame de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves von 1678.
Saint-Preux schildert kurz nach dem Gartenspaziergang, auch diesmal dem Freund Milord Edouard, der immer wieder die Rolle eines gleichsam säkularisierten Beichtvaters einnimmt, die Etappen einer dramatischen Bootsfahrt auf dem Genfer See (vgl. J, IV, 17, 514-522) — einer Kahnpartie mit Julie, dic hciter beginnt und als Krise endet.
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Teils, auch die ausgedehnten Natur- und Landschaftsschilderungen des Romans, und die grandiosen Sturzfluten der Schneeschmelze, von denen gerade noch die Rede war, ergießen sich in jene 182 Walburga Hülk “torens de larmes'' (J, VI, 17, 521), die schmerzlich und rettend zugleich Saint- Preux' Wissen um die Aporien seiner Liebe zu Julie zum Ausdruck bringen.
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Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloise verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité'' wahren und doch die Stimme der Natur vermit- teln, bewahrheiten muß.
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Dem Roman ist eine Romanpoetik vorangestellt: »Preface de La Nouvelle Heloise ou Entretien sur les romans, entre l'editeur et un homme de lettres«. Im bukolischen Ambiente der Schweizer Alpen beginnt und endet die nicht standesgemäße Liebesgeschichte zwischen der adeligen, tugendhaft-frommen Julie d'Etanges und ihrem bürgerlichen Hauslehrer Saint-Preux, der auf Julie verzichten muss und ins Ausland, nach Paris und nach England, übersiedelt.
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Dem Roman ist eine Romanpoetik vorangestellt: »Preface de La Nouvelle Heloise ou Entretien sur les romans, entre l'editeur et un homme de lettres«. Im bukolischen Ambiente der Schweizer Alpen beginnt und endet die nicht standesgemäße Liebesgeschichte zwischen der adeligen, tugendhaft-frommen Julie d'Etanges und ihrem bürgerlichen Hauslehrer Saint-Preux, der auf Julie verzichten muss und ins Ausland, nach Paris und nach England, übersiedelt.
Die leidenschaftliche Liebe freilich zwischen Julie und Saint- Preux entflammt nur umso heftiger an diesem “obstacle', das Anlaß bietet für eine Flut von Briefen, in denen die passion' zugleich kanalisiert und entfacht wird. Während Saint-Preux mit seinem englischen Freund und auf dessen Rat hin eine große Reise unternimmt und vor allem aus Paris endlose Briefe schreibt, geschieht im Hause d'Etange Verhängnisvolles: Die Mutter nämlich entdeckt den Briefwechsel; längst kränkelnd, stirbt sie aus Kummer über das Liebesverhältnis der Tochter — ein Zitat sicherlich des ganz ähnlichen Mutter-Tochter-Schicksals in Madame de Lafayettes Roman La Princesse de Clèves von 1678.
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Die sensualistische Begründung des sozialkonforr*1^ Verhaltens wird allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von komplexe^ Darstellungen psychischer Motivationen oder der Interdependenz zwischen Tug«-’ und Verstand unterminiert — man denke an Rousseaus Julie ou la Nouvelle Hélo1 de Laclos’ Les Liaisons dangereuses, an de Sades Juliette.
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in der genauen Vergegenwärtigung der einzelnen Phasen ihrer Veränderung und Entwicklung liegt -wenn man etwa an Clarissa, Julie oder Werther denkt - vielleicht das größte Verdienst des Briefromans.
in der genauen Vergegenwärtigung der einzelnen Phasen ihrer Veränderung und Entwicklung liegt -wenn man etwa an Clarissa, Julie oder Werther denkt - vielleicht das größte Verdienst des Briefromans. Die detaillierte Genauigkeit in der Schilderung innerer Motive und äußerer Handlungsabläufe hält Engel für ein entscheidendes Charakteristikum der dialogischen Form gegenüber der erzählenden.
Neben dieser scharfen Kritik verschwindet der Tadel des letzten Buches der „Confessions“, welches Grillparzer nicht ohne Grund als den vorhergehenden weit nachstehend ansieht und gegen die Verletzung des Schamgefühles in manchen sinnlich-erregten Schilderungen der „Nouvelle Heloise“.
Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück.
In der Tat stellt La Nouvelle Héloïse ein geradezu typisches Beispiel für den französischen Roman des 18. Jahrhunderts dar: Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
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Daß sich Briefromane als »charakterisierende und dialogirte Erzählungen« vielfach dramatischer Techniken und Mittel bedienen, um den Spielraum des Erzählens über die Grenzen des >bloß Epischen< hinaus zu erweitern, haben zeitgenössische Autoren und Kritiker immer wieder betont: viele Briefe der 'Clarissa’ seien »written in the dialogue or dramatic way«, Blanckenburg charakterisiert die dramatischen Eigenschaften 'Werthers', der den »Vorzug... [habe], uns die That selbst zu zeigen (an Statt, daß wir in dem erzehlenden Dichter nur die Beschreibung davon hören,...)«, und Goethe spricht von den »Romanen in Briefen« als »völlig dramatisch«.
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die Liebenden in der 'Nouvelle Héloise’ böten »un spectacle véritablement nouveau«; Blanckenburg charakterisiert die dramatischen Eigenschaften 'Werthers', der den »Vorzug... [habe], uns die That selbst zu zeigen (an Statt, daß wir in dem erzehlenden Dichter nur die Beschreibung davon hören,...)«, und Goethe spricht von den »Romanen in Briefen« als »völlig dramatisch«. Die szenische und dialogische Darstellungsweise im Briefroman spiegelt eine Tendenz »im Gang der Poesie«, in der »alles zum Drama, zur Darstellung des vollkommen Gegenwärtigen sich hindrängt«.
Dem Roman ist eine Romanpoetik vorangestellt:
Rousseau versteht es in der Nouvelle Héloïse, für die Gestaltung der Einheit von Ideal und Wirklichkeit, für die vertiefte Erschließung der seelischen Bereiche seiner Romanhelden und die Schilderung der in sozialer Harmonie gipfelnden Gesellschaftsbeziehungen auch neue sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, die die poetische Sprache des 18. Jahrhunderts auf eine qualitativ neue Stufe heben.
Die “Préface” der Nouvelle Héloïse hat, wie meistens die “Préfaces” oder “Prologues”, eine poetologische Schlüsselstellung, und sie ist strukturell und funktional Teil des nachfolgenden Textes.
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Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert. Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
La Nouvelle Héloïse – drittens – bildet per se die intensivste künstlerische Inszenierung, die Rousseau, in pygmalionesker Manier, von der Leistungskraft der Imagination hinterlassen hat und ist insofern zusammen zu sehen mit der vierten Textgruppe, den autobiographischen Schriften (insbesondere: Les Confessions, Quatre Lettres à Malesherbes, Rêveries), die gemeinsam als zentrales Explorationsfeld der Imagination und des Imaginären zu betrachten sind, wobei vor allem die Rêveries gemeinhin als Höhepunkt einer imaginationsgestützten Annäherung an vollkommenes Glück gelesen werden.
In der Tat stellt La Nouvelle Héloïse ein geradezu typisches Beispiel für den französischen Roman des 18. Jahrhunderts dar: Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
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Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert. Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
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Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert. Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück.
Authentizität, Eigentümlichkeit, “sensibilité” - mit diesen Stichworten lassen sich Struktur und Funktion der Nouvelle Héloïse als eines Paradigmas des Briefromans fassen, der als literarische Gattung seinerseits exemplarisch die kulturellen Dispositive der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts vermittelt.
Ausgehend von diesen Thesen, die Rousseaus Essai sur l'origine des langues entwickelt und als pessimistische Sprachphilosophie an den Discours sur /’origine et les fondements de l inégalité parmi les hommes anschließt, werden nun freilich auch noch einmal die Redefluten der Nouvelle Héloïse verständlich, der angestrengte Versuch der Liebenden der Alpen, sich ganz zu entblößen, Schriftspuren des Körpers, Tränen, Düfte und Berührung zu sichern auf dem Endlospapier der Korrespondenz, welche die Eigentümlichkeit der “sensibilité” wahren und doch die Stimme der Natur vermitteln, bewahrheiten muß.
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In Texten wie den Lettres persanes, Zadig, Candide, La Nouvelle Héloïse, Jacques le fataliste werden philosophisch-wissenschaftliche Inhalte auf unterhaltsame Art und Weise, transponiert ins Medium der romanesken Fiktion, vermittelt.
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In Texten wie den Lettres persanes, Zadig, Candide, La Nouvelle Héloïse, Jacques le fataliste werden philosophisch-wissenschaftliche Inhalte auf unterhaltsame Art und Weise, transponiert ins Medium der romanesken Fiktion, vermittelt.
La Nouvelle Héloïse – drittens – bildet per se die intensivste künstlerische Inszenierung, die Rousseau, in pygmalionesker Manier, von der Leistungskraft der Imagination hinterlassen hat und ist insofern zusammen zu sehen mit der vierten Textgruppe, den autobiographischen Schriften (insbesondere: Les Confessions, Quatre Lettres à Malesherbes, Rêveries), die gemeinsam als zentrales Explorationsfeld der Imagination und des Imaginären zu betrachten sind, wobei vor allem die Rêveries gemeinhin als Höhepunkt einer imaginationsgestützten Annäherung an vollkommenes Glück gelesen werden.
Wirkungsgeschichtlich ist diese Aufwertung des „état fictif“ gegenüber dem „état réel“ äußerst folgenreich nicht zuletzt dadurch geworden, dass Rousseau dieser Position sowohl in Julie ou La Nouvelle Héloïse als auch in den Rêveries eine Schlüsselfunktion zugewiesen hat. Zu der vielleicht bekanntesten Passage seines Romans ist die Feier der Imagination geworden, mit der Julie im berühmten 'chant de cygne' – dem letzten großen Brief, den sie kurz vor ihrem Tod schreibt -gleichsam eine Summe ihrer Lebens- und Liebeserfahrung zieht.
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Der umfangreiche und mehrstimmige Briefroman verbindet die tragische Geschichte einer empfindsamen, doch sentimentalisch getönten Liebe über Standesgrenzen hinweg mit lyrischem Landschaftstableau, der Schilderung eines idealen Naturzustands, einer Gesellschaftsutopie, der Evokation des anfänglichen (zweiten) Naturzustands, des Inbegriffs von Glück.
In der Tat stellt La Nouvelle Héloïse ein geradezu typisches Beispiel für den französischen Roman des 18. Jahrhunderts dar: Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
Die Vorstellung von einem ursprünglichen Naturzustand, zu dem es für den durch die Zivilisation korrumpierten Menschen zurückzukehren gilt, durchzieht Rousseaus gesamtes Werk.
Eine ebenso zentrale Rolle wie das Paradigma der Natur, das La Nouvelle Héloïse nahezu leitmotivisch prägt, spielen die Begriffe Tugend und Leidenschaft.
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In der Tat stellt La Nouvelle Héloïse ein geradezu typisches Beispiel für den französischen Roman des 18. Jahrhunderts dar: Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
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In der Tat stellt La Nouvelle Héloïse ein geradezu typisches Beispiel für den französischen Roman des 18. Jahrhunderts dar: Thematisch werden hier die Natur und das Gefühl beschworen, dagegen erfährt das städtische Leben eine harsche Kritik, im Romanzusammenhang werden sowohl künstlerische, soziale, als auch philosophische Probleme diskutiert und auch Rousseaus Gebrauch der zeitgemäßen Erzählform des Briefromans zeugt von der Einbettung des Texts in zeitaktuelle Gepflogenheiten.
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Wie fast alle Briefromane der Zeit hat die Nouvelle Héloïse eine “Préface”, und sie hat zudem ein zweites Vorwort, Préface de la Nouvelle Heloïse: ou Entretien sur les romans, das in der Form eines von Rousseau selbst wie seinen Zeitgenossen gepflegten philosophisch-poetologischen Dialogs gehalten ist und wegen seiner Länge und Komplexität erst mit der 2. Auflage veröffentlicht wurde (vgl. J, 7-30, dazu de Man: 1979, 199-210).
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in der genauen Vergegenwärtigung der einzelnen Phasen ihrer Veränderung und Entwicklung liegt -wenn man etwa an Clarissa, Julie oder Werther denkt - vielleicht das größte Verdienst des Briefromans. Die detaillierte Genauigkeit in der Schilderung innerer Motive und äußerer Handlungsabläufe hält Engel für ein entscheidendes Charakteristikum der dialogischen Form gegenüber der erzählenden.
Die sensualistische Begründung des sozialkonformen Verhaltens wird allerdings in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von komplexeren Darstellungen psychischer Motivationen oder der Interdependenz zwischen Tugend und Verstand unterminiert- man denke an Rousseaus Julie ou La Nouvelle Héloïse, de Laclos’ Les Liaisons dangereuses, an de Sades Juliette.
Zum fast unangefochtenen formalen und thematischen Modell der Romanliteratur bis weit über die Revolution hinaus wurde bekanntlich Rousseaus Briefroman Julie ou La Nouvelle Héloïse (1761), eine Art “roman philosophique”, der die Bedrohung der rationalisierten Welt durch das Irrationale in einer Welt der gestörten Harmonie von Natur und Gesellschaft illustriert. Die Art und Weise, wie Rousseau, von Richardson lernend, die Möglichkeiten der Briefform (psychologische Analyse, Konvergenz der wechselnden Perspektiven, Authentizität der mitgeteilten Gefühle, stoffliche Entgrenzung, Dramatisierung) ausnutzt, wirkt geradezu normbildend.
In Frankreich markiert Rousseaus Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) den Höhepunkt der Gattung des empfindsamen Briefromans.
Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen. Der Hauslehrer Saint-Preux verliebt sich in seine Schülerin Julie, die seine Liebe erwidert. Aus Standesgründen widersetzt sich Julies Vater jedoch der Heirat der beiden Liebenden. Saint-Preux verlässt die Familie und geht nach Paris. Sein englischer Freund, Milord Edouard, versucht vergeblich, Julies Vater umzustimmen. Als Julie auf Wunsch des Vaters M. de Wolmar heiratet, bricht Saint-Preux zu einer Weltreise auf. Vier Jahre später folgt Saint-Preux Wolmars Einladung, zu ihm und seiner Familie – Julie hat inzwischen zwei Kinder -nach Clärens zu kommen. Es gelingt Julie und Saint-Preux, tugendhaft zu bleiben. Bei einem Spaziergang am Genfer See rettet Julie ihr Kind vor dem Ertrinken, stirbt aber wenig später an den Folgen ihres Sprunges in den kalten See. Saint-Preux übernimmt nach ihrem Tod die Erziehung ihrer Kinder. Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Tugend und Leidenschaft, den beide Protagonisten mit allen Höhen und Tiefen durchleben und schließlich in einem Akt höchster Beherrschung zu Gunsten der „vertu“ überwinden. Die leidenschaftliche Liebe („amour passion“) und enge freundschaftliche Beziehungen sind Ausdruck der sensibilité und werden zugleich in moralistischer Form behandelt.
Eine ebenso zentrale Rolle wie das Paradigma der Natur, das La Nouvelle Héloïse nahezu leitmotivisch prägt, spielen die Begriffe Tugend und Leidenschaft.
Leidenschaft, wie sie die Nouvelle Héloïse porträtiert, ist ein sichtbares Zeichen einer generellen Empfänglichkeit für Emotionen, jenseits aller Regulierungen und Zwänge.
Die Identifikationsfiguren des Romans, Julie und Saint-Preux, kommen nicht ohne Tugend und Leidenschaft aus, insofern schließen sich die Konzepte also nicht aus.
Die erfolgte Betrachtung prominenter Romane des 18. Jahrhunderts, Richardsons Clarissa, or the History of a Young Lady, Rousseaus Julie ou La Nouvelle Héloïse und La Roches Geschichte des Fräuleins von Sternheim, lässt den Schluss zu, dass der gynozentrische Roman vor 1800 die Opposition von Verstand und Gefühl zwar durchaus thematisiert, seine Heldinnen diesen Widerspruch aber nicht zur Gänze ausagieren lässt.
Die psychologische Darstellung des Romans weist allerdings über diese naive Verherrlichung der Tugend hinaus.
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Ein Grundzug von Rousseaus Roman La Nouvelle Héloïse ist seine komplexe Kritik an der Ständeordnung des Ancien régime und den ständischen Vorurteilen, an denen ja die legitime Verbindung von Julie und Saint-Preux scheitern sollte.
Im Zusammenhang mit der Überwindung ständischem Denkens ist auch Rousseaus Kritik am französischen Theater zu sehen, der ein ganzer Brief seiner Nouvelle Héloïse gewidmet ist.
3.3. Kritik des Standesdünkels in Julie ou la Nouvelle Heloi:Se (1761)
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Rousseau gibt seinem Roman einen offen aufklärerischen Sinn:
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Diese Wirklichkeit bildet Hintergrund und Rahmen seines Romans La Nouvelle Héloïse.
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Mit ihrer inhaltlichen Aussage zu allen wichtigen Problemen der Aufklärung, die die Nouvelle Héloïse, wie man gesagt hat, zu einer „Summe“ der Rousseauschen Ideen macht, mit ihrer künstlerischen Form, die als Musterbeispiel für die spätaufklärerische Prosa gelten kann, stellt sie den wohl bedeutendsten Roman der Aufklärung dar.
In Rousseaus Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) zeigt sich deutlich, wie Bukolik und Utopie einander überlagern.
In Texten wie den Lettres persanes, Zadig, Candide, La Nouvelle Héloïse, Jacques le fataliste werden philosophisch-wissenschaftliche Inhalte auf unterhaltsame Art und Weise, transponiert ins Medium der romanesken Fiktion, vermittelt.
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Diese Selbsterkenntnis, »aller menschlichen Weisheit Anfang«, stellt sich in den ersten beiden Teilen des Romans, die von glühender Liebe und Entsagung berichten, als eine Art »Höllenfahrt« durch die Regionen der Triebunterdrückung dar; strenge und unerbittliche Führerin ist die Tugend.
Auch in dem Briefroman Julie ou La nouvelle Héloïse (1761) verarbeitet Rousseau seine zentralen Thesen. Der Hauslehrer Saint-Preux verliebt sich in seine Schülerin Julie, die seine Liebe erwidert. Aus Standesgründen widersetzt sich Julies Vater jedoch der Heirat der beiden Liebenden. Saint-Preux verlässt die Familie und geht nach Paris. Sein englischer Freund, Milord Edouard, versucht vergeblich, Julies Vater umzustimmen. Als Julie auf Wunsch des Vaters M. de Wolmar heiratet, bricht Saint-Preux zu einer Weltreise auf. Vier Jahre später folgt Saint-Preux Wolmars Einladung, zu ihm und seiner Familie – Julie hat inzwischen zwei Kinder -nach Clärens zu kommen. Es gelingt Julie und Saint-Preux, tugendhaft zu bleiben. Bei einem Spaziergang am Genfer See rettet Julie ihr Kind vor dem Ertrinken, stirbt aber wenig später an den Folgen ihres Sprunges in den kalten See. Saint-Preux übernimmt nach ihrem Tod die Erziehung ihrer Kinder. Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen Tugend und Leidenschaft, den beide Protagonisten mit allen Höhen und Tiefen durchleben und schließlich in einem Akt höchster Beherrschung zu Gunsten der „vertu“ überwinden. Die leidenschaftliche Liebe („amour passion“) und enge freundschaftliche Beziehungen sind Ausdruck der sensibilité und werden zugleich in moralistischer Form behandelt.
Eine ebenso zentrale Rolle wie das Paradigma der Natur, das La Nouvelle Héloïse nahezu leitmotivisch prägt, spielen die Begriffe Tugend und Leidenschaft.
Die Identifikationsfiguren des Romans, Julie und Saint-Preux, kommen nicht ohne Tugend und Leidenschaft aus, insofern schließen sich die Konzepte also nicht aus.
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Diese Vielstimmigkeit und Vieldeutigkeit sind Kennzeichen der Nouvelle Héloïse und einer Reihe weiterer Briefromane vorher und nachher (so der schon genannten Clarissa Hariowe und der Liaisons dangereuses).
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